Nach Barbie folgt nun Schach: Saudischer Gelehrter verbietet dem «Schah den Tod»

Seit 1400 Jahren spielen Muslime Schach und brachten den Denksport einst nach Europa. Nun gibt es ein neues Rechtsgutachten, das die Sportler Schachmatt stellt.

(Bild: Wikimedia Commons / CC / Walter J. Pilsak, Waldsassen)

Seit 1400 Jahren spielen Muslime Schach und brachten den Denksport einst nach Europa. Nun gibt es ein neues Rechtsgutachten, das die Sportler Schachmatt stellt.

Hilft es, die Türme mit einem Minarett auszustatten? Müssen die Damen auf dem Brett künftig verhüllt werden und dürfen immer nur drei Felder hinter dem König herlaufen?

Schachspieler aus der westlichen Welt nahmen die Fatwa eines arabischen Grossmuftis gegen ihr Denkspiel mit Humor. Augenzwinkernd schlugen sie auf Facebook Änderungen beim Schach vor, um Scheich Abdulaziz al-Sheikh milde zu stimmen. Der oberste islamische Gelehrte in Saudi-Arabien hat Schach «verboten», weil es «süchtig» mache. Das sündige Spiel sei eine «Verschwendung von Zeit und Geld und verursacht Rivalität und Feindschaft».

Mit dem islamischen Rechtsgutachten, das der Geistliche in einer TV-Sendung verkündete, ist er reichlich spät dran. Seit rund 1400 Jahren spielen Muslime Schach, die Wurzeln liegen in Indien und Persien. «Schachmatt» – der Schah ist tot – stammt von dort. Die Araber brachten das Strategiespiel auch nach Europa.

Bekannt wurde die Fatwa von Al al-Sheikh, der bereits Barbie-Puppen und Pokémon-Karten verteufelt hat, jetzt erst richtig, weil vor Wochenfrist in Mekka ein Schachturnier ausgetragen wurde. Der kleine saudische Verband liess sich jedoch nicht ins Bockshorn jagen und befand, dem Grossmufti mangele es schlicht an Hintergrundwissen. Schach sei gewiss kein «Glücksspiel», betonte Musa Bandr laut der Deutschen Presseagentur. Der Verbandsvertreter fürchtet jedoch, dass die «Fatwa der Religionspolizei künftig im Königreich einen rechtmässigen Grund gibt, uns an der Organisation von Schachturnieren zu hindern».

Der kleine Aufreger in Basel

Sunnitische und schiitische Führer sind sich ausnahmsweise einig: Grossajatollah Ali al-Sistani vom Erzfeind Iran hat das königliche Spiel ebenfalls schon mit einem Rechtsgutachten verteufelt, weil es für Wetten eingesetzt werden könne. Von 1979 bis 1988 war es für Iraner gar verboten. Mittlerweile dürfen sie wieder ans Brett. Es bleibt jedoch ein brüchiger Frieden.

Vorsicht müssen die Iraner vor allem walten lassen, wenn Duelle gegen Israelis anstehen. So gab Grossmeister Ehsan Ghaemi Maghami in Basel zu Jahresbeginn gegen die Israelin Yuliya Naiditsch kampflos den Punkt ab. Die Organisatoren waren ihm in Runde zwei schon entgegengekommen und hatten durch eine neue Auslosung das brisante Duell verhindert.

Kurz vor Toreschluss konnte Organisator Bruno Zanetti aber keine Milde mehr walten lassen – schliesslich hätte eine neue Auslosung die Preisränge deutlich mehr beeinflussen können. «In der fünften Runde konnten wir nicht mehr anders. Ich erklärte es Ghaem. Er verstand es», berichtet Zanetti. Der Iraner verpasste so die Preisränge.

Unangefochten heimste danach der Gatte von Yuliya Naiditsch, der 2015 nach Aserbaidschan gewechselte deutsche Spitzenspieler Arkadij Naiditsch, Platz eins ein. «Ich wurde um alle Chancen gebracht», sagt Ghaem Maghami, der sich nicht daran gewöhnen kann. Der iranische Topspieler war bereits vor ein paar Jahren auf Korsika von einem Turnier ausgeschlossen worden, als der Grossmeister gegen einen Israeli nicht antreten durfte. «Selbst eine Petition gegen meinen Ausschluss half damals leider nichts», erinnert sich der 33-Jährige.

Und was ist mit Fussball?

Zanetti bedauert den politischen Unsinn, den wieder einmal eine Randsportart traf. «Ich würde gerne sehen, was die Iraner machen würden, wenn es im Fussball zu einem WM-Endspiel zwischen dem Iran und Israel käme…» Am besten 2022 in Katar: Die Ölscheichs sind als Ausrichter von Grossereignissen stets recht flexibel.

Ungeachtet der religiösen Vorbehalte in anderen arabischen Ländern richteten sie im Dezember in Doha eines der stärksten Open der Schach-Historie aus. Weil Geld keine Rolle spielt, wurde auch erstmals seit 1971 wieder der amtierende Weltmeister zu einem für das niedere Fussvolk offenen Turnier gelockt. Magnus Carlsen gewann den Wettbewerb, obwohl er in der Auftaktrunde gegen die Georgierin Nino Batsiaschwili remisierte.

Seine Siegesserie der letzten Monate baute der überragende Norweger am Sonntag in Wijk aan Zee aus. An der stürmischen niederländischen Küste störte kein religiöser Führer das Traditionsturnier So konnten die Lastersüchtigen das Können des 25-Jährigen geniessen. Carlsen blieb in den 13 Runden ungeschlagen und legte mit neun Punkten einen vollen Zähler zwischen sich und den Amerikaner Fabiano Caruana und Ding Liren. Der Chinese rettete sich gegen den Weltmeister nach 99 Zügen in ein Patt.

Ob der Grossmufti das ausbleibende Matt des «Schahs» auch ärgerte? Wahrscheinlich versteht er den Unterschied nicht. Ex-Weltmeister Garri Kasparow geisselte das Rechtsgutachten auf Twitter kurzerhand als «dumm».

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