Nackenschlag in der 94. Minute

75 Minuten läuft der FC Basel im Europa-League-Halbfinal einem Rückstand hinterher, erzwingt durch Fabian Schärs Elfmetertor den Ausgleich in der 87. Minute – um in der vierten Minute der Nachspielzeit doch noch den Nackenschlag zu erhalten. Chelsea geht mit einem 2:1-Vorsprung in das Rückspiel.

Basel's Fabian Schaer, left, reacts after losing the game, during the UEFA Europa League semifinal first leg soccer match between Switzerland's FC Basel 1893 and Britain's Chelsea FC at the St. Jakob-Park stadium in Basel, Switzerland, on Thursday, April (Bild: Keystone/SALVATORE DI NOLFI)

75 Minuten läuft der FC Basel im Europa-League-Halbfinal einem Rückstand hinterher, erzwingt durch Fabian Schärs Elfmetertor den Ausgleich in der 87. Minute – um in der vierten Minute der Nachspielzeit doch noch den Nackenschlag zu erhalten. Chelsea geht mit einem 2:1-Vorsprung in das Rückspiel.

Sechs Minuten lang währt die Hoffnung. Sechs Minuten lang darf der FC Basel darauf hoffen, dass er in seinem ersten Europacup-Halbfinal mit einem Ergebnis zum Rückspiel reist, das ihn nicht chancenlos erscheinen lässt. Sechs Minuten darf die Mannschaft für sich in Anspruch nehmen, sich belohnt zu haben für ein nimmermüdes Anrennen, nachdem sie früh in Rückstand geraten ist.

Dragovic im Rückspiel gesperrt

Zwei Akteure des Hinspiels werden nächste Woche gesperrt sein nach der dritten gelben Karte. Wobei das Fehlen von Aleksandar Dragovic in der Innenverteidigung des FCB schwerer wiegt als jenes von Ashley Cole auf der linken Abwehrseite von Chelsea.

36’000 Zuschauer im St.-Jakob-Park stehen in der 87. Minute und halten den Atem an, als Fabian Schär zum Penalty anläuft – und ein Urschrei löst die Anspannung auf: Der junge Verteidiger verwandelt einmal mehr ohne jeden Anflug von Nervosität aus elf Metern. Es scheint die späte Entschädigung zu sein für den vielleicht nicht brillanten, aber jederzeit beherzten Auftritt gegen ein Chelsea, das defensiv sehr gut steht, das den Basler Angreifern keine Luft und keinen Raum gewährt, ein Chelsea auch, das in der zweiten Halbzeit nur noch sehr wenig nach vorne unternimmt.

«Elfmeter? Welcher Elfmeter?»

Der Ausgleich entspringt einem Penalty, über den Rafael Benítez süffisant anmerkt: «Welcher Elfmeter?» Die Londoner fühlen sich nach einer Intervention von Cesar Azpilicueta gegen Valentin Stocker zu unrecht mit dem Penaltypfiff des schwachen tschechischen Schiedsrichters bestraft.

Und dann ist doch alles ganz anders. Der Champions-League-Sieger von 2012 schaltet, als auf Basler Seite die Erleichterung über den Ausgleich noch gross ist, einen Gang höher. Und legt noch einen weiteren Gang zu. Der eingewechselte Oscar muss es eigentlich schon machen, schiesst aber aus acht Metern drüber (88.). Dann rettet Yann Sommer mirakulös gegen John Terry, der aus zwei Metern köpft – und der FCB-Goalie bekommt irgendwie noch die Hand an den Ball.

Das 1:2 – ein Schuss, den Yann Sommer halten muss

Jener Yann Sommer, dem der FC Basel auf dem Weg zu diesem historischen Ereignis, dem ersten europäischen Halbfinal in 120 Jahren Clubgeschichte so viel zu verdanken hat. Ein toller Rückhalt war er, Elfmeter hat er gegen Sankt Petersburg und Tottenham pariert. Und dann tritt dieser David Luiz zum Freistoss an. Und erwischt Sommer in der Torwartecke. Für einmal hat der FCB-Goalie nicht das bessere Ende für sich. Es ist ein Schuss, den er halten kann, den er halten muss.

Es ist ein Schlusspunkt, den einer der auffälligsten Spieler beim Gegner setzt. Der baumlange Brasilianer, sonst Innenverteidiger bei Chelsea, ist Teil der Strategie von Chelsea-Trainer Benítez, der hinterher sagt, man habe sehr genau hingeschaut bei den beiden Spielen des FCB gegen Tottenham. David Luiz spielt vor der Abwehr eine Art Vorstopper. Und weil die beiden Flügelspieler Ramires und Victor Moses diszipliniert nach hinten arbeiten, findet der FC Basel, speziell Mohamed Salah, keine Räume vor, wird Marco Streller im Dreieck der zentralen Verteidiger Terry, Ivanovic und Luiz zugedeckt.

Die Passquote des FCB ist gut, Räume findet er keine

Die Rechnung von Benítez geht lange Zeit auf in einem Spiel, das jederzeit offen ist, in dem der FC Basel 61 Prozent Ballbesitz hat, in dem er 482 Pässe spielt, von denen 80 Prozent ankommen. Ein guter Wert an und für sich. Chelsea beschränkt sich mit zunehmender Spieldauer darauf, auf Konter zu setzen, spielt nur 292 Pässe, von denen 75 Prozent den Adressaten finden.


Via Fourfourtwo.com die Passverteilung des Spiels.

Basel muss leiden, lässt aber nicht locker, angetrieben von einem fantastischen Publikum. Stocker trifft bei einer der wenigen Chancen aus dem Spiel heraus in der 48. Minuten nur den Pfosten. Sechs Minuten später tut es ihm auf der anderen Seite Fernando Torres gleich. Und Torres ist es auch, der in der 72. Minute aus fünf Metern am grossartig reagierenden Sommer scheitert.

Chelsea – lange Zeit nur einen Moment besser

Bis dahin ist Chelsea eigentlich nur einen einzigen Moment besser gewesen. In der zwölften Minute, als Frank Lampard den zweiten Corner zur Mitte bringt, Branislav Ivanovic sich von Bewacher Schär löst, einen weiten Weg zum ersten Pfosten geht, wo er den Ball mit dem Hinterkopf an den Kopf von Victor Moses lenkt. Von dort findet die Kugel den Weg ins Tor, Zentimeter über dem Scheitel von Mohamed Elneny. Der Nigerianer Moses weiss gar nicht, wie ihm geschehen ist, feiert sein elftes Saisontor, das dritte in der Europa League, unbeeindruckt mit einem Überschlag.

Dem FCB, der von Runde zu Runde in dieser Europa League ein Beispiel an Unerschrockenheit vor grossen Namen war, ist in der ersten Halbzeit ein gewisser Respekt vor der gewaltigen Bühne anzumerken, auf die er sich gespielt hat. Chelsea spielt so, wie es sich für einen Champions-League-Sieger aus dem Vorjahr gehört: abgeklärt. Aus einer tiefen Grundordnung löst sich diese Mannschaft immer wieder, auch dank der beeindruckenden individuellen Qualitäten. Eines Eden Hazard zum Beispiel. Das Chancenplus liegt in der ersten Halbzeit bei den Engländern.

In der Nachspielzeit an eine Grenze gestossen

Das Tempo der Partie ist hoch, die Präzision leidet darunter zuweilen. Nach dem Wechsel vergibt Salah nach brillantem Solo und Steilpass von Dragovic: Der diesmal glücklos und zu überhastet spielende Ägypter legt sich den Ball zu weit vor in der 77. Minute. Es ist in der zweiten Halbzeit eine Partie, die von der Spannung lebt, eine Partie mit dramatischen Momenten, so wie es sich für ein Halbfinal gehört, zu dem der Aussenseiter FC Basel vor allem seine Leidenschaft beiträgt «Wir haben nicht aufgegeben», sagt Murat Yakin nach Spielschluss.

Was der FCB-Trainer auch sagt: «Die Zuschauer sind auf ihre Kosten gekommen.» Yakin hat sich darüber gefreut, dass seine Mannschaft nach dem Ausgleich noch das Siegtor gesucht hat. «Sie hat einen grossen Offensivdrang, und den will ich nicht bremsen.» Aber wahrscheinlich hat sie damit das Schicksal herausgefordert. Mit einem 1:1 nach London zu reisen, wäre keine tolle Ausgangslage gewesen, aber eine bessere. In der Nachspielzeit ist diese Mannschaft, was man ihr nicht vorwerfen kann, doch noch an eine Art Grenze gestossen.

Beide  Gegentore kassiert der FCB auf ruhende Bälle, und vor allem das zweite findet Yakin «unnötig». Er sagt, Chelsea sei doch mit dem 1:1 zufrieden gewesen, eine Einschätzung, die sich nicht mit den Chancen nach dem Ausgleich für die Engländer deckt. «Wir haben sehr gut reagiert auf den Ausgleich», sagt Benítez, «aber wir mussten hart arbeiten für diesen Sieg.»

Das Rückspiel wird zur Herkulesaufgabe

Für den FC Basel muss die erste Heimniederlage im Europacup unter Murat Yakin nicht das Ende aller Träume bedeuten. Aber sehr wahrscheinlich ist es so. Mit der Hypothek dieser 1:2-Niederlage wird es eine Herkulesaufgabe, kommenden Donnerstag das Blatt an der Stamford Bridge noch zu drehen. Dafür hat sich der Champions-League-Sieger als zu stark erwiesen. Es wird eines dieser viel bemühten Fussball-Wunder brauchen, damit der FC Basel seine wunderbare Europa-League-Kampagne doch noch krönen kann und am 15. Mai ins Endspiel von Amsterdam einzieht.

«Wir sind nicht chancenlos im Rückspiel», sagt Murat Yakin und räumt im gleichen Atemzug ein: «Aber wir brauchen zwei Tore, und zu Null zu spielen wird extrem schwer.» Nicht den geringsten Anflug von Selbstzufriedenheit verrät Rafael Benítez. «Wir wissen, zu was Basel fähig ist. Wir haben gegen Tottenham gesehen, dass diese Mannschaft auch auswärts Tore schiessen kann», sagt der Spanier.

Und dennoch: Man wird sich darauf einstellen müssen, dass die aussergewöhnliche Reise des FC Basel durch die Europa League in London enden wird gegen einen Gegner, der weiss, wie es in der dünnen Luft eines Halbfinals zugeht, der über noch mehr internationale Erfahrung verfügt als der Schweizer Meister.

Europa League, Halbfinal-Hinspiel

FC Basel–Chelsea FC 1:2 (0:1)

St.-Jakob.-Park. – 36’000 Zuschauer (ausverkauft). – SR Pavel Kralovec (Tsch).

Tore:
12. Moses 0:1 (den zweiten Eckball, hereingegeben von Lamprad, köpft Ivanovic aus fünf Metern an den Hinterkopf von Moses).
87. Schär 1:1 (Foulpenalty; Foul Azpilicueta an Stocker).
94. David Luiz 1:2 (ein flach getretener Freistoss aus 22 Metern flach in die rechte Ecke, wo er Yann Sommer erwischt).

Verwarnungen: 69. Cole (Zeitspiel, im Rückspiel gesperrt), 70. Dragovic (Foul, im Rückspiel gesperrt), 80. D. Degen (Foul), 84. David Luiz (Foul), 87. Azpilicueta (Foul), 89. Schär (Foul).

FCB (4-3-3): Sommer; P. Degen, Schär, Dragovic, Park; Frei; Elneny (65. Zoua), Serey Die (61. Diaz); Salah (78. D. Degen), Streller, Stocker. – Ersatz: Vailati (T), Sauro, Cabral, Steinhöfer.
Chelsea (4-2-3-1): Cech; Azpilicueta, Ivanovic, Terry, Cole; David Luiz, Lampard (79. Oscar); Ramires, Hazard (71. Mata), Moses; Torres. – Ersatz: Turnbull (T), Cahill, Bertrand, Mikel Obi, Benayoun.

Bemerkungen: Basel ohne Bobadilla (nicht spielberechtigt). Chelsea ohne Ba (nicht spielberechtigt), Marin, Ferreira und Aké (alle verletzt). – Gesperrt bei der nächsten gelben Karte, Chelsea: Obi Mikel, Bertrand; FCB: P. Degen (5), F. Frei, Dragovic, Stocker. – 48. Pfostenschuss Stocker, 54. Pfostenschuss Torres. – Der FCB mit der Einwechslung von Diaz im Mittelfeld und Zoua im Angriff in einem 4-4-2.

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Final: 15. Mai in der Amsterdam ArenA
Europa League, Halbfinals
  Hinspiel Rückspiel
FC BASEL Chelsea FC 1:2 2. Mai
Fenerbahçe Istanbul Benfica Lissabon 1:0 2. Mai

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