Neuchâtel Xamax droht das Lichterlöschen

Vier Verfahren hat alleine die Swiss Football League gegen Neuchâtel Xamax am Laufen. Dazu kommen Untersuchungen der Staatsanwaltschaften Genf und Neuenburg. Und demnächst eine Klage aus Spanien, wo Almeria noch immer auf die Ablösesumme für Stürmer Uche wartet. Am schwersten aber wiegt: Wenn Präsident Tschagajew die Probleme nicht löst, steht niemand bereit, um den Club zu retten.

Auf dem Weg zum Staatsanwalt: Bulat Tschagajew (l.) und sein neuester Anwalt Jacques Barillon. (Bild: Keystone)

Vier Verfahren hat alleine die Swiss Football League gegen Neuchâtel Xamax am laufen. Dazu kommen Untersuchungen der Staatsanwaltschaften Genf und Neuenburg. Und demnächst eine Klage aus Spanien, wo Almeria noch immer auf die Ablösesumme für Stürmer Uche wartet. Am schwersten aber wiegt: Wenn Präsident Tschagajew die Probleme nicht löst, steht niemand bereit, um den Club zu retten.

Die gute Nachricht zuerst: Neuchâtel Xamax wird am Sonntag, 11. Dezember zum letzten Spiel der Vorrunde gegen den FC Basel antreten (16 Uhr, Maladière). Das wars dann aber leider auch schon, was vom Neuenburgersee an Positivem zu vermelden ist. In einem halben Jahr hat Präsident und Eigentümer Bulat Tschagajew das einst stolze Xamax bis kurz vor den Kollaps geführt. Und es ist nicht ganz einfach, bei all den offenen Baustellen den Überblick zu bewahren.

Da wäre zunächst der Umstand, dass es gar nicht selbstverständlich ist, dass die Profis von Xamax gegen den FCB auflaufen. Es ist nämlich zur unschönen Tradition geworden, dass die Spieler am Neuenburgersee nicht pünktlich bezahlt werden. Derzeit wartet das Team auf die Novemberlöhne. Und «L’Express» berichtet, Präsident Tschagajew habe eine Aussprache mit den Spielern am Donnerstag platzen lassen, obwohl er an diesem Tag auf der Geschäftsstelle gesichtet wurde.

Noch reagieren die Xamaxiens mit Galgenhumor. Noch singen sie bei ihrem Gang durch die wartenden Journalisten vor der Kabine: «Nicht bezahlt, nicht bezahlt, nicht bezahlt.» Aber auf Montag ist ein ernsthaftes Gespräch mit der Clubführung geplant. Danach sind drei Wochen Ferien angesagt – und die Profis wollen vorher wissen, wie es mit dem Verein weitergeht.

Resultate bleiben auch im Konkursfall bestehen

Das Problem an diesem Gespräch könnte sein, dass es Tschagajew längst nicht mehr in den eigenen Händen hat, wohin der Weg Xamax führt. Vier Verfahren sind vor der Disziplinarkommission der Swiss Football League (SFL) hängig, wie Ligasprecher Roger Müller der TagesWoche vorrechnet. Und die Theorie ist nicht völlig abwegig, dass die Liga mit den Urteilen nur wartet, damit Xamax wenigstens die Vorrunde beenden kann. Dann nämlich kann die SFL selbst dann alle Resultate der Xamax-Spiele in der Wertung belassen, wenn Xamax nach der Winterpause nicht mehr mitspielt.

Aus Sicht der Liga wiegt der Vorwurf am schwersten, Tschagajew habe einige Spieler schwarz bezahlt, über eine zypriotische Offshore-Gesellschaft mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln. Diese Verdächtigung hat das Westschweizer Fernsehen TSR im November ausgesprochen. Der Sender will im Besitz von Dokumenten sein, die den Verdacht erhärten. Die doppelten Verträge sollen am 7. November bei einer Durchsuchung der Xamax-Geschäftsstelle durch die Staatsanwaltschaft aufgetaucht sein.

Dazu kommt, dass Tschagajew auch der SFL jene berühmt-berüchtigte Bankgarantie über 35 Millionen Dollar vorgelegt hat, die angeblich von der Bank of America ausgestellt worden sein soll. Das Dokument wurde vom Neuenburger Staatsanwalt Pierre Aubert als Fälschung deklariert.

Es ist also durchaus möglich, dass die Liga Xamax die Lizenz entzieht, wenn sie zum Schluss kommt, dass der Verein seine Bilanz unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu schönen versuchte. Wahrscheinlicher scheinen vorerst hohe Bussen oder Punktabzüge.

Generaldirektorin belastet Tschagajew

Zu den Problemen des Clubs kommen noch Tschagajews persönliche Schwierigkeiten. Gegen ihn wird in der Schweiz wegen Betrugs, Urkundenfälschung, ungetreuer Geschäftsführung und Geldwäscherei ermittelt. Und langsam scheinen sich auch nahe Mitstreiter abzuwenden. Die Xamax-Generaldirektorin Barbara Perriard etwa widersprach während einer Polizeibefragung Tschagajew. Der behauptet, die ominöse Garantie der Bank of America nie selbst gesehen zu haben. Laut Perriard hat Tschagajew das Dokument durchaus gekannt.

Dummerweise verstrickt sich Perriard selbst gerade in Widersprüchen. Am 10. November gab sie der Polizei an, sie habe die Garantie erst am 25. Oktober gesehen. Damals wurde es vor Gericht verwendet, um den Konkurs von Xamax abzuwenden. An jenem Gerichtstermin selbst allerdings gab sie an, sie kenne das Papier seit drei Wochen. Und ein Journalist von «L’Express» berichtet, er selbst habe das Schreiben bereits am 19. September in Händen gehabt – im Beisein von Perriard. Sie selbst gibt nun an, sie habe unter Stress einige Dinge verwechselt.

Dazu ist unklar, wie lange Tschagajew überhaupt noch als XamaxPräsident amten kann: Der Tschetschene erhält in Neuenburg keine Arbeitserlaubnis und in Genf kein Niederlassungsrecht. Er braucht also jeweils ein Visum, um sich legal in der Schweiz aufzuhalten.

Böse Worte aus Tschetschenien

Und in seiner Heimat scheint er an massgeblicher Stelle auch nicht mehr genehm zu sein. Bei Ramsan Kadyrow, dem Oberhaupt der russischen Teilrepublik Tschetschenien, wollte sich Tschagajew einschmeicheln, indem er als Sponsor beim Fussballclub Terek Grosny einstieg. Wer in der kaukasischen Republik Einfluss haben will, muss sich an Kadyrow halten, einen von Moskau eingesetzten absolutistischen Herrscher, dem Morde, Erpressungen und Entführungen vorgeworfen werden.

Inzwischen ist Tschagajews Firma Dagmara Trading nicht mehr Trikotsponsor bei Terek. Kadyrow hat Tschagajew vorgeworfen, er sei seinen Pflichten nicht nachgekommen, er sei ein «Verräter». Und die Westschweizer Zeitung «Le Matin» will gar wissen, dass Kadyrow den in Ungnade gefallenen Landsmann «liquidieren» wolle.

Klage aus Almeria

Das jüngste Ungemach ereilt Xamax aus Spanien. Dort wartet UD Almeria noch immer auf den grössten Teil der Ablösesumme für Stürmer Kalu Uche. «Wir haben Uche für 1’025’000 Euro verkauft», sagt Almerias Pressesprecher Juanjo Moreno in «L’Express».

Die Rechnung hätte bis am 18. August beglichen sein sollen. Gesehen hat der Verein bislang nur rund 100’000 Euro. «Und Xamax reagiert nicht mehr auf unsere Anfragen», klagt Moreno. Deswegen hat sich der Verein entschlossen, den Weltfussballverband Fifa einzuschalten und durch einen Schweizer Anwalt auch zivilrechtlich Druck zu machen.

Wirklich dramatisch ist die Lage von Xamax aber vor allem deswegen, weil niemand bereit zu sein scheint, den Verein zu übernehmen, wenn Tschagajews Konstrukt in sich zusammenfällt. Fifa-Direktor Walter Gagg hat sich zwar am 15. November als Retter ins Gespräch gebracht. Er gab an, einige Neuenburger Unternehmer zusammengebracht zu haben, die im Notfall übernehmen würden.

Retter ohne Geld

Insider glauben allerdings nicht daran, dass die Gruppe auch nur annähernd genügend Geld hat, um alle Verbindlichkeiten von Xamax zu übernehmen. Schon ohne Almeria haben sich beim Betreibungsamt Neuchâtel knapp 70 Gläubiger gemeldet, die von Xamax rund vier Millionen Franken fordern.

So könnte es durchaus sein, dass der FC Basel am Sonntag an einer historische Begegnung teilnimmt: am letzten Spiel von Neuchâtel Xamax.

Nächster Artikel