Neymar – der blutarme Superstar

Es ist nur ein Freundschaftsspiel am Mittwoch (20.45 Uhr) im St.-Jakob-Park für die Nationalmannschaft, aber ein prestigeträchtiges gegen den Rekordweltmeister Brasilien, der erstmals seit 2006 wieder in der Schweiz zu Gast ist – mit Neymar, dem grossen Hoffnungsträger auf dem Weg zur WM 2014.

Der Star in der Schweiz: Neymar trainiert im St.-Jakob-Park, beobachtet von seinem Nationaltrainer Felipe Scolari. (Bild: GEORGIOS KEFALAS/Keystone)

Es ist nur ein Freundschaftsspiel am Mittwoch (20.45 Uhr) im St.-Jakob-Park für die Nationalmannschaft, aber ein prestigeträchtiges gegen den Rekordweltmeister Brasilien, der erstmals seit 2006 wieder in der Schweiz zu Gast ist – mit Neymar, dem grossen Hoffnungsträger auf dem Weg zur WM 2014.

Was es heisst, ein global player zu sein, hat Neymar da Silva Santos Júnior zuletzt am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Und was es bedeutet, für einen Weltklub wie den FC Barcelona Fussball zu spielen, noch dazu.

Rastlos spulte Barca mit seiner wertvollsten und teuersten Neuerwerbung für 70 Millionen Franken bei der Vorbereitung auf die neue Saison ein Reiseprogramm herunter, das Inhaber von Miles-and-More-Karten binnen kurzem zu einem Freiflug nach Wahl verholfen hätte. Kein Wunder, dass sich der 21 Jahre alte Brasilianer, der am 29. Juli in Katalonien ankam und Barcelona bisher nicht die Spur kennengelernt hat, zwischendurch reichlich müde fühlte.

Eine Nahost-«Peace-Tour», die den spanischen Meister nach Israel und in die Palästinensergebiete führte, und wenig später eine Südostasienreise nach Thailand und Malaysia, gekoppelt mit harten Trainingseinheiten unter dem neuen Trainer Gerardo Martino, schlauchte alle Beteiligten. Neymar ganz besonders, der im Juni ja Brasiliens Liebling war beim Gewinn des Confederations Cups, der Probe aufs Exempel Weltmeisterschaft 2014 im eigenen Land.

Basel – eine Station im prall gefüllten Kalender

Am Sonntag landeten die erschöpften Friedensbotschafter und Verkaufsstrategen des Hochglanzprodukts Barca wieder daheim, und schon am Montag düsten Neymar und die anderen Nationalspieler des Vereins, der «mehr als ein Club» sein will, wieder los in alle Welt, weil in dieser Woche Länderspiele auf dem international prall gefüllten Fussballkalender stehen. Neymar ist dabei in Zürich gelandet und von dort nach Basel weitergefahren, wo der Rekordweltmeister am Mittwoch ein Gastspiel und der schweizerischen Nationalmannschaft die Ehre gibt.

Ob der Shooting Star dieses Sommers im St.-Jakob-Park in jugendlicher Frische sein immenses Repertoire aus hohem Tempo, überragender Spielkunst und genialer Schusstechnik demonstrieren kann, ist die grosse Frage. Denn nicht nur die jüngsten Reisestrapazen und Fussball-Kraftakte haben Neymar belastet.

Der schmächtige Superstar leidet unter Anämie

Er, der gemeinsam mit dem Argentinier Lionel Messi, dem viermaligen Weltfussballer des Jahres, dem FC Barcelona zu noch mehr offensiver Durchschlagskraft verhelfen soll, kämpft dazu gegen eine organische Schwäche an, die in dem schmächtig anmutenden Linksaussen nistet. Der von seinem Heimatklub FC Santos zum dreimaligen Champions-League-Gewinner gewechselte Angreifer leidet unter Anämie.

Sein Vater, der auch ein Karriereberater für Neymar jr. ist, bestätigte dies, als er sagte: «Ich glaube, dass die Blutarmut von der Mandeloperation rührt, der sich mein Sohn nach dem Confed Cup unterziehen musste.» Sieben Kilogramm soll der sowieso schon schmächtige Kerl dabei verloren haben – ein Kraftverlust, den er inzwischen Pfund für Pfund wieder wettzumachen versucht.

Gespielt hat er trotzdem, da sein neuer Verein sein neues Juwel auch bei der Arbeit, die möglichst anstrengungslos ausschauen sollte, zeigen wollte. Also betrat Neymar auch an Tagen seine Bühne, da er sich nicht im Vollbesitz seiner Kräfte wähnte und schoss dabei seine ersten beiden Treffer für den FC Barcelona: eines in Thailand und eines in Malaysia.

Zwischen Flegenhaftigkeit und Demut

Ansonsten tat er alles, um bei den Goodwill-Aktionen, die auch der ohnehin schon fast perfekten Auslandsvermarktung der Katalanen dienten, die Rolle des wohlerzogenen jungen Mannes zu spielen, der vor allem dankbar dafür sei, an der Seite von Grössen wie Messi, Xavi und Iniesta mitkicken zu dürfen.

Diesen nahezu demütigen Neymar lernten sie in Brasilien erst beim Konföderationenpokal kennen, wo das Megatalent, dem so gut wie jeder eine Weltkarriere prophezeit, unter der Obhut seines väterlichen Trainers Felipe Scolari auch persönlich an Statur gewann, Verständnis für die im Juni durch das Riesenland schwappende Protestwelle gegen soziale und Bildungsmissstände zeigte («ich will, dass Brasilien ein sicheres, gesundes und ehrliches Land ist») und dazu in seinem Revier mit spektakulären Leistungen und mannschaftsdienlichem Verhalten derart glänzte, dass seine gelegentliche Fallsucht, um einen Penalty zu schinden, oder seine seltenen Frustfouls nicht weiter auffielen.

Johan Cruyffs Zweifel

In Barcelona sind nun alle gespannt, wie sich der neue und der alte Star, also Neymar und Messi, auf Dauer vertragen. Johan Cruyff, die frühere niederländische Ikone des Clubs als Spieler und Trainer, ist skeptisch: «Zwei Kapitäne auf einem Schiff», sagte er, «das kann Pobleme bringen.»

Die Protagonisten selbst versichern sich ihrer Symapthie. «Es gibt kein Problem zwischen uns», sagt Messi, der Platzhirsch, der in Barcelona ob seines Genies Exklusivrechte geniesst, «wir haben eine gute Beziehung zueinander und sind glücklich, gemeinsam für den FC Barcelona zu spielen.»

Neymar, der in Santos und in der Selecao zuletzt immer die Nummer eins unter den Offensivspielern war, hatte in den vergangenen Wochen derart viel mit sich selbst und seiner Gesundheit zu tun, dass gar keine Zeit blieb, den eigenen Stellenwert zu formulieren. Das wird kommen, wenn erst einmal die Pimera División ins Rollen kommt. Am kommenden Sonntag geht für den FC Barcelona der ganz gewöhnliche Meisterschaftsbetrieb mit einem Heimspiel gegen UD Levante los.

Umschwärmt von 14 Sponsoren

Davor fühlt sich Neymar da Silva Santos Júnior erst einmal wieder wohl im Kreise seiner Lieben. Die Nationalmannschaft ist, zumal ein knappes Jahr vor der WM daheim, für ihn so etwas wie ein Aktiv-Refugium, weil dort nur Freunde und «Papa Felipao» auf ihn warten.

Neymar, umschwärmt und in Anspruch genommen von 14 Sponsoren, will sein Spiel in Barcelona nicht verändern. «Fussball ist Fussball», hat er vor dem Confed-Cup-Finale gegen Welt- und Europameister Spanien (3:0) mit all den vertrauten Grössen aus seiner neuen Vereinsmannschaft gesagt, «ich sehe keinen Unterschied zwischen dem Fussball in Brasilien und Europa.»

Basel – für Neymar ein Erholungsort

Und wenn, dann sieht er sie demnächst aus der Sicht eines weiter gereiften Profis, der seine Flegeljahre, in denen er Trainer und Mitspieler nervte, hinter sich haben könnte. Barcelona ist ein wunderbarer Ort, um menschlich zu reifen, da dort ein Kollektivfussball auf zauberhaftem Niveau gelehrt und gelebt wird; Basel, das ist für Neymar nach all dem Stress einer Saisonvorbereitung, die zur Werbereise wurde, ein Erholungsort, weil er die Rückkehr zur Selecao wie ein Familientreffen geniesst.

Daraus dürfte er die Kraft ziehen, auch die Schweizer Fussballfans mit seiner betörenden Kunst zu bezirzen. In Basel geht es zwar auch um das Prestige, mehr aber noch um ein Spiel, das allen, die dabei zuschauen, Freude machen soll. Da auch noch Neymar dabei ist, kann an diesem Mittwoch eigentlich nichts schief gehen.

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