Auf die Frontseite der französischen Sportzeitung «L’Equipe» hat es Neymar an diesem Sonntag nicht geschafft. Dafür ist die Grande Nation trotz allen Aufhebens um den 222 Millionen Euro teuren Fussballer dann doch zu stolz. Die französischen Leichtathleten an der Weltmeisterschaft in London sind schliesslich so erfolgreich wie noch nie, ihnen gebührt das Cover.
Der brasilianische Flügelspieler, der vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain gewechselt hat, ist vor seinem ersten Spiel in der Ligue 1 natürlich trotzdem Thema in den Medien: Sogar im feuilletonistischen Radio «France Inter» wird über den 25-Jährigen berichtet – zwischen einer Reportage über ein Geburtshaus in Afghanistan und einer Gesprächsrunde, die die Zubereitung von rotem Fleisch und den dazu passenden Wein zum Thema macht, wie es nur die Franzosen können.
Neymars Premiere in einem Ort kaum grösser als Sissach
Fünf Stunden vor Neymars erstem Spiel und 50 Meter vom Stadion entfernt ist der Burger an einem Imbissstand nicht von der Qualität, die man sich von der französischen Küche gewohnt ist. Den Fussballfans in Guingamp ist das egal. Denn hier in der Bretagne wird der teuerste Fussballer aller Zeiten seinen ersten Schritte in der Ligue 1 machen. Im Stade Municipal de Roudoudou, das so gross ist wie die Luzerner Swissporarena und in einer Gemeinde liegt, die mit 7000 Einwohnern kaum grösser ist als Sissach.
«Viel mehr als Fussball gibt es hier nicht», sagt einer in den Strassen von Guingamp. Deswegen ist das Stadion regelmässig gut gefüllt, obwohl das Fassungsvermögen die Einwohnerzahl um mehr als das Doppelte übersteigt. «Die Bretonen sind fussballverrückt», sagt eine französische Journalistin – und die grossen Namen des Weltfussballs wollen sie sich wie alle sowieso nicht entgehen lassen.
Das Spiel der zweiten Meisterschaftsrunde gegen den PSG ist also ausverkauft, auf den Strassen bietet der Schwarzmarkt Tickets zu einem Preis im tiefen dreistelligen Bereich an. Nicht weil der Titelfavorit zu Gast ist, sondern vor allem wegen Neymar, dem neuen Gesicht dieses Championats.
Brasilianische Fahnen und Neymar überall
Vor dem Stadion tragen unzählige Menschen die brasilianische Flagge um die Schultern. Sie werden von den aus aller Welt angereisten Fernsehstationen interviewt, am meisten hört man den Satz: «Ich unterstütze Guingamp, aber ich bin vor allem hier wegen Neymar.»
Die Fussballwelt schaut auf das bretonische Dorf, oder wie es «L’Equipe» schreibt: «Guingamp nombril du Monde.» Guingamp, der Nabel der Welt.
Im Kader des französischen Vizemeisters stehen neben Neymar Namen wie Edinson Cavani, Angel Di Maria oder der in der Champions League gegen den FC Basel überragende Adrien Rabiot. Und bereits bei seiner Premiere ist Neymar der Nabel dieses Ensemble de rêve.
Sein erster Pass, ein langer Ball mit Unterschnitt auf den Argentinier Di Maria, wird nach wenigen Sekunden beinahe zur Torvorlage. Nach 20 Minuten verfehlt er selbst das Tor erstmals knapp, nach etwas mehr als einer halben Stunde flankt er zur Mitte, wo Marquinhos den Ball an die Latte köpfelt.
Die Ironie ist, dass nicht eine dieser Aktionen das Spiel in die Pariser Bahnen lenkt, sondern Jordan Ikokos unpräziser Rückpass, den der tadellose schwedische Schlussmann Karl-Johan Johnsson nicht erreicht und der ins bretonische Tor rollt.
Ein Gegenspieler wird kaum einschlafen können
Der Radiomann nebenan wagt für seine Hörer eine Prognose und sagt: «Tragisch ist nicht diese Niederlage, sondern, dass sie in einem solchen Tor gründet.»
Er hat damit nur bedingt recht. Denn was Neymar und seine millionenschwere Entourage auf dem Rasen zeigt, ist zuweilen allerfeinste Kost. Nach einer Stunde bereitet Neymar den zweiten Treffer mit einem starken Pass über vielleicht 30 Meter auf Cavani vor, zehn Minuten vor Schluss tauschen die beiden die Rollen und Neymar erzielt seinen ersten Treffer im neuen Arbeitsgewand zum 3:0-Endstand.
Der Auftritt des die Medien dominierenden Spielers ist derart gut, dass der defensive Mittelfeldakteur Luca Déaux über seinen neuen Gegenspieler sagt:
«Ich werde heute kaum schlafen können, derart beeindruckt bin ich von diesem Spieler. Wenn er und seine Mannschaft bei hundert Prozent ihrer Leistung angekommen sind, dann wünsche ich allen anderen Teams viel Glück. Für durchschnittliche Spieler, wie ich einer bin, ist es grossartig, gegen solche Fussballer anzutreten.»
Und sein Kompagnon Christophe Kerbrat fügt an:
«Neymar ist der beste Fussballer, gegen den ich in meiner Karriere je gespielt habe.»
Zu viel Medienauflauf: Interviews nur in der Kälte
Die beiden stehen nach dem Spiel in der Interviewzone dieses vergleichsweise provinziellen Stadions, draussen in der bretonischen Kälte, weil es drinnen für die ungewöhnlich vielen Journalisten keinen Platz hat.
Nach etwas mehr als einer Stunde taucht Neymar auf und stellt sich vor die brasilianischen Mikrophone. Im Fernsehen soll er gesagt haben: «Alle meinen, man sterbe, wenn man den FC Barcelona verlässt. Ich fühle mich aber sehr lebendig.» Und: «Ich fühle mich wie zu Hause», sagt er nach gerade mal 90 Minuten im neuen Dress.
In französischer Sprache gibt Neymar noch keine Auskunft. Auch kein einfaches «Merci» schenkt er den französischen Radios, die doch so darauf angewiesen wären, ihren Hörerinnen Neymar in Französisch zu präsentieren. Denn auch das ist Frankreich: ausländische Spieler gerne, fremde Sprachen wenn möglich lieber nicht.
Superlative in der ausgestorbenen Stadt
Neymar zieht mit goldenen Kopfhörern davon, steigt in den Bus und verlässt das kleine Dorf Guingamp über den beschaulichen Boulevard Mendès, der für die Ankunft des Brasilianers von den geparkten Autos der Gaingampais befreit wurde. Und diese sprechen am späten Sonntagabend im fast ausgestorbenen Stadtzentrum vom «besten Spieler aller Zeiten».
Wird auf höchstem Level Fussball gespielt, sind die Superlative nicht weit. Mit ihnen im Kopf und rotem Wein im Magen lässt es sich bestens einschlafen. Ausser man heisst Luca Déaux und hat eben gemerkt, welcher Wind den Gegnern von Neymars PSG von heute an entgegenweht.