Novak Djokovic: Die einsamste Nummer 1 seit Erfindung der Weltrangliste

Nichts weniger als die beste Saison, die ein Profi jemals im modernen Tennis gespielt hat – das ist die Bilanz von Novak Djokovic nach dem Sieg bei den ATP-Finals gegen Roger Federer. Der leistete noch den grössten Widerstand gegen den Serben, der sein Familienglück und Boris Becker als Quell der Motivation nennt.

epa05037727 epa05037717 Novak Djokovic of Serbia hugs his coach Boris Becker after winning against Roger Federer of Switzerland during the final at the ATP World Tour Finals in London, Britain, 22 November 2015. EPA/FACUNDO ARRIZABALAGA EPA/FACUNDO ARRIZABALAGA

(Bild: Reuters/FACUNDO ARRIZABALAGA)

Nichts weniger als die beste Saison, die ein Profi jemals im modernen Tennis gespielt hat – das ist die Bilanz von Novak Djokovic nach dem Sieg bei den ATP-Finals gegen Roger Federer. Der leistete noch den grössten Widerstand gegen den Serben, der sein Familienglück und Boris Becker als Quell der Motivation nennt.

Als Novak Djokovic im Januar sein Viertelfinalmatch in Katars Hauptstadt Doha gegen den Aufschlagriesen Ivo Karlovic verlor, war die Tenniswelt leicht verwundert über den Stolperer des Nummer 1-Spielers. Karlovic, der 2,11-Meter-Hüne, erlebte danach eine starke Saison, er machte seinem Namen als «Herr der Asse» alle Ehre, passierte sogar als neuer Weltrekordler für Centre-Court-Volltreffer den alten Heroen Goran Ivanisecic.

Doch was Djokovic, der Überraschungs-Verlierer, nach dem frühen Fauxpas am Golf auf die Spielplätze rund um den Globus zauberte, war nichts weniger als die beste Saison, die ein Profi jemals in der modernen Tennisära zeigte. Der unaufhaltsame Serbe zog bei jedem folgenden Turnier ins Endspiel ein – 15 an der Zahl. Er gewann elf Trophäen, darunter drei Grand Slam- und sechs Masters-Pokale.

Und Sonntagabend setzte er sich und seiner funkelnden Saison 2015 noch die letzte Krone auf, mit seinem 6:3, 6:4-WM-Sieg in London gegen Roger Federer. «Ich hätte es mir nicht besser und schöner erträumen können», sagte Djokovic in der Nacht, die sein stärkstes Tennisjahr als Berufsspieler würdig beschloss.

Der winzige Schönheitsfehler von Paris

Knapp zwei Jahre nach dem Amtsantritt eines gewissen Boris Becker als Chefcoach grüsst London-Champion Djokovic als einsamster Nummer-1-Spieler seit Einführung des Computer-Weltranglistensystems – Andy Murray, Federer, Stan Wawrinka oder auch Rafael Nadal folgen dem 28-jährigen Frontmann mit massivem Abstand. Federer als Nummer 3 hat nur etwa die Hälfte von Djokovics Punkten, Nadal als Nummer 5 weniger als ein Drittel.

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Nichts zu wollen: Die Höhepunkte des Londoner ATP-Finals zwischen Novak Djokovic und Roger Federer:

Kein Wunder: Djokovic schnappte ihnen allen beinahe alles weg, was zählt und was Gewicht hat in der Tenniswelt, allem voran die Grand-Slam-Titel. Nur den French-Open-Thron bestieg Djokovic nicht – den holte sich Stan Wawrinka. Es war der einzige Schönheitsfehler bei der wilden Pokaljagd kreuz und quer über Kontinente und Zeitzonen hinweg.

«Ich war nahe dran an der absoluten Perfektion», sagte Djokovic am Sonntagabend, «Paris, der Titel dort, und eine olympische Goldmedaille, das sind jetzt die grössten Ziele.»

Federer leistete den grössten Widerstand

Es sei eine «verrückte Saison» gewesen für Djokovic, «absolut fantastisch», gab auch der geschlagene Federer zu Protokoll. Er, der alte Meister, konnte noch am ehesten Widerstand gegen den Allesgewinner leisten, drei Mal schlug er Djokovic sogar. Aber die ganz grossen Duelle gewann ausnahmslos der Weltranglisten-Erste. Ob in Wimbledon, ob bei den US Open in New York. Oder nun in London, beim Saisonfinale im Endspiel.

Vier Weltmeisterschaften hat Djokovic hintereinander gewonnen – es ist eine neue Bestleistung unter vielen Bestwerten, die er inzwischen so selbstverständlich wie einst Federer und Nadal in die Geschichtsbücher seines Sports einträgt. Doch seine Erfolge beim Championat der Besten weisen auch und gerade auf seine inzwischen eiserne Physis und Psyche hin, schliesslich ist die WM am Ende langer, auszehrender Spielzeiten immer auch ein Charaktertest für die Stars.

Ein Ausdruck dessen, was sie auszeichnet als Spitzenkraft – oder eben nicht. «Djokovic steht wie ein Fels in jeder Brandung da», sagt der frühere englische Topmann Tim Henman, «bei ihm sind alle Puzzleteile zusammengefügt.»

«Er gibt dir keine Angriffsflächen»

Und tatsächlich: Djokovic, einst der Kränkelnde und Schwächelnde, ist heute so wehr- und standhaft, dass seine Kollegen an ihm verzweifeln. 82 Siege sind in Djokovics Jahreszeugnis aufgelistet, darunter auch sage und schreibe 31 Erfolge gegen Top Ten-Spieler (bei fünf Niederlagen). «Er gibt dir keine Angriffsflächen», sagte Matador Nadal in London und wünschte seinem Rivalen spassig «ein nicht ganz so gutes Jahr 2016.»



epa05037689 Serbia's Novak Djokovic with the ATP Tour Finals trophy points to his coach Boris Becker following his two sets win over Switzerland's Roger Federer at the ATP Tour tennis finals tournament at the O2 Arena in London, Britain, 22 November 2015. EPA/ANDY RAIN

Das French Open und eine olympische Goldmedaille – das sind die nächsten Ziele von Novak Djokovic. Den Rest hat er ja schon. (Bild: Reuters/ANDY RAIN)

Kurz nach seinem finalen Pokalcoup in Londons Tennistheater eilte Djokovic herüber zu seiner Entourage am Spielfeldrand. Die erste Umarmung galt dem Mann, der an diesem Abend seinen 48. Geburtstag feierte – Chefcoach Boris Becker. Als vor knapp zwei Jahren die Verpflichtung des Deutschen als verantwortlicher Übungsleiter bekannt wurde, waren Spott und Häme nicht weit, mehr noch nach ersten Enttäuschungen in der überraschenden Allianz.

Doch inzwischen lacht keiner mehr über «Beckovic», über das Zusammenwirken des aktuell besten Spielers mit dem aufregendsten Spieler der 80er-Jahre. In der Ära der «Supercoaches» kann der Anweiser Becker auf eine bemerkenswerte Bilanz zurückblicken, Djokovic hat in der Liaison mit dem dreimaligen Wimbledon-Champion 148 Spiele gewonnen, nur 14 verloren. Und 18 Titel gewonnen, darunter vier Grand Slams. In Wimbledon gelang ihm sogar das Kunststück, erstmals den wichtigsten aller Pokalsiege zu wiederholen – passender Weise in diesem Jahr, da sich Beckers erster Coup auf dem Heiligen Rasen zum 30. Mal jährte.

Das Familienglück als Quell der Motivation

Und ein Ende von Djokovics Alleinherrschaft ist noch nicht in Sicht. In keiner Beziehung, auch nicht durch eigene Motivationsprobleme. «Es ist die beste Zeit meines Lebens», sagt Djokovic und spielt damit auch auf seine neue Vaterrolle an, auf sein Familienglück mit Frau Jelena und Sohn Stefan, «das hat mir noch einmal einen neuen Schub gegeben.»

Schon vor seinen Grand Slam-Erfolgen im Sommer hatte Djokovic auf die Frage, ob einem Familienvater nicht der Ehrgeiz abhanden komme, den es für Topleistungen brauche, dies geantwortet: «Boris hatte, wie auch ich, gewisse Befürchtungen, wie es weitergehen würde als Papa. Aber die Geburt seines ersten Sohnes war für ihn dann eine Quelle des Glücks, keine Störung, nichts Negatives. Und das hat er mir immer wieder vermittelt. Dass ich das als Inspiration nehmen soll.» Gesagt, getan.

Novak Djokovic eindrückliche Stellung in der Weltrangliste:

Die ATP-Weltrangliste vom 23. November 2015. (Screenshot atpworldtour.com)

Die ATP-Weltrangliste vom 23. November 2015. (Screenshot atpworldtour.com)

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