Seit anderthalb Jahren arbeitslos, scheint Christian Gross vor einem zweiten Engagement in der Bundesliga zu stehen. Der 59-jährige Zürcher gilt als grosser Favorit auf den Cheftrainerposten beim 1.FC Nürnberg.
Das Aufkommen vertragsloser Fussballlehrer, die mit dem 1. FC Nürnberg in Verbindung gebracht werden, ist innert kürzester Zeit sprunghaft angestiegen, seit am Montag das seit einiger Zeit umstrittene Duo Michael Wiesinger und Armin Reutershahn entlassen worden ist. Von Felix Magath hiess es, er habe erwartungsvoll auf der Tribüne gesessen und das 0:5 gegen den HSV miterlebt; gleich nebenan der ehemalige Mainzer Trainer Jörn Andersen. Im Hilton-Hotel, neben Fanshop und Geschäftsstelle des «Club», logierte angeblich Bruno Labbadia just am vergangenen Samstag.
Die «Nürnberger Nachrichten» haben ihren Lesern 28 Kandidaten präsentiert und zu einer Abstimmung über den besten Club-Trainer aufgefordert. In der setzte sich sogleich Thomas Schaaf, der ehemalige Bremer, an die Spitze. Als grosser Favorit aber gilt Christian Gross, der beim VfB Stuttgart von Dezember 2009 bis Oktober 2010 ein erstes Bundesligaengagement hatte.
Der «Landbote», stets mit einem guten Draht ausgestattet zum Meistertrainer von GC und FC Basel, merkt zu den Mutmassungen gewitzt an: «Es sind Äusserungen aus Nürnberg tatsächlich zu deuten, als werde Gross neuer Chef beim Club, als werde er zum zweiten Mal Bundesligatrainer.»
Autoritärer Retter gesucht
Es dürfte kein Zufall sein, dass die Fans Trainer bevorzugen, denen ein autoritärer Führungsstil nachgesagt wird. Viele in Nürnberg wünschen sich einen «starken» Fussballlehrer, der mit einem Kader, der als extrem inhomogen und schwierig beschrieben wird, fertig werden kann. Alternde Platzhirsche haben das Sagen im Team, die Fraktion der jungen Spieler gilt als Gegenpol.
Vorerst ist das Projekt, das Nürnbergs Manager Martin Bader als eines «mit Charme« beschrieb, gescheitert. Wiesinger zu befördern lag im Trend, dem viele Vereine folgten, die Nachwuchstrainer oder andere junge Trainer zu Chefs machten wie zuletzt in Hoffenheim (Markus Gisdol), Stuttgart (Thomas Schneider), Schalke (Jens Keller) und Augsburg (Markus Weinzierl) geschehen. Einige sassen zusammen mit Wiesinger im gleichen Lehrgang zum Fussballlehrer-Schein.
Der Nürnberger Ex-Profi stand im Ruf zwar zurückhaltend zu sein, aber dafür mit ganzem Herzen beim «Club». Das war nicht genug. Wiesinger gelang diese Saison kein Sieg in acht Bundesliga-Spielen. Rückendeckung, um verkrustete Hierarchien im Team aufzubrechen, bekam er nie.
Die Angst geht in Nürnberg um
Im Moment leitet der U23-Coach Roger Prinzen das Training in einem Verein, der sich im Aufwind wähnte nach zweimal Platz 10 und einmal Platz 6 in der Bundesliga. Und das mit dem drittkleinsten Etat der Liga von 22 Millionen Euro.
Nun spürt der Pokalsieger von 2007, der sich in seiner Selbstwahrnehmung im «unteren Drittel der Liga» sieht, und viele Vereine mit besseren Möglichkeiten überholt zu haben schien, wieder alt bekannte Sorgen. Er steht weit unten in der Tabelle und im Vereinszentrum am Valznerweiherstrasse fürchtet man um den Klassenerhalt.
Ein Abstieg in die zweite Liga käme einem herben Rückschlag gleich. Die Wirkung des neuen Nachwuchszentrums könnte verpuffen und die Pläne für ein neues Stadion sich in Luft auflösen. Was bedeutet, dass Baders nächste Wahl ein Treffer sein muss, sonst gerät auch er unter Druck.
Bader bemängelte den nicht sichtbaren «kontinuierlichen Aufwärtstrend» unter Wiesinger, als sich am Montagabend Dutzende Journalisten vor der Sitzung von Aufsichtsrat und Präsidium eingefunden hatten. Der 40 Jahre alte Wiesinger war von Anfang eine Notlösung gewesen, als im Winter 2012 Dieter Hecking urplötzlich nach Wolfsburg wechselte.
Mit neuem Trainer Mitglieder beruhigen
Auch wenn bis zum nächsten Pflichtspiel am 19. Oktober in Frankfurt etwas Zeit bleibt: Wahrscheinlich wird der neue Trainer der Franken sehr rasch präsentiert werden. Kommenden Montag ist Mitgliederversammlung des Vereins. Die verläuft in der Fussballstadt Nürnberg traditionell sehr emotional. Ohne neuen Trainer, so wird befürchtet, könnte die Sache noch turbulenter werden.
Christian Gross, seit seiner Freistellung bei den Young Boys am 29. April 2012 ohne Job, könnte da Abhilfe schaffen. Die Nürnberger Zeitungen warnten die Club-Spieler schon mal vorab. Das vertraute «Du« zum Trainer gehöre der Vergangenheit an. Der 59-jährige Gross lässt sich siezen.