«Unser täglich Chelsea» – im Rahmen der Serie zum Halbfinal des FC Basel gegen den Chelsea FC (Donnerstag, 21.05 Uhr) hat sich unser London-Korrespondent mit dem Club-Historiker Rick Glanvill über die Wurzeln und Wesensmerkmale der «Blues» unterhalten.
Er trägt die Bezeichnung «Offizieller Chelsea-Historiker», legt Wert darauf, dass seine Sicht der Dinge nicht die des Clubs sein muss und hat die Geschichte des 1905 gegründeten Chelsea Football Club aufgeschrieben. Im Interview erklärt Rick Glanvill (@RickGlanvill) den mondänen Anstrich, den sich der Club gibt, und er erinnert an die Spiele gegen den FC St. Gallen und das Unglück, das Roberto Di Matteo damals im Jahr 2000 im Espenmoos widerfuhr. Ausserdem ist er einigermassen überzeugt davon, dass José Mourinho im Sommer als Trainer an die Stamford Bridge zurückkehren wird.
Mr Glanvill, erzählen Sie uns von den Ursprüngen des Vereins.
Rick Glanvill: Chelsea wurde 1905 von einer Gruppe von sehr vermögenden Unternehmern gegründet. Einer von ihnen, Henry Augustus Mears, besass das Land an der Stamford Bridge. Diese Herren liebten Sport und sie sahen, dass London in Sachen Fussball unterversorgt war. Chelsea wurde also ganz gezielt als Club aufgebaut, es war keiner dieser Vereine, die von Arbeitern oder Kirchengängern ins Leben gerufen wurden. Chelsea sollte die Massen unterhalten.
Gibt es dafür Belege?
In einer Presseerklärung von 1905 versprachen die Eigentümer, ein Stadion zu bauen, «das die Menschheit erschüttern» würde. Diese Ambition, diese Art von Leidenschaft steckt seitdem in den Genen dieses Vereins. Nur die besten Spieler, nur das beste ist gut genug, egal, was es kostet. Wir wurden von Millionären gegründet und werden heute von einem Milliardär geführt.
«Sportlich hat es etwas gedauert, bis wir dem Image gerecht wurden.»
Das heisst, man ist stolz auf diese elitäre Tradition?
Genau. Der Verein ist streng genommen nicht im Stadtteil Chelsea, sondern in Fulham, einer Arbeitergegend lokalisiert. Aber der Name war mit Bedacht gewählt. Er steht für das Mondäne, für Eleganz, für das Viertel der Künstler. Aber auch für London an sich. Nationalstürmer Jimmy Greaves (von 1957 bis 1961 im Trikot der Blauen; der Verf.) hat einmal gesagt, Chelsea sei «wahrscheinlich der beste Name in der Welt: er steht für den besten Teil in der grossartigsten Stadt in der Welt». Sportlich hat es etwas gedauert, bis wir diesem Image gerecht wurden.
Tottenham war in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts der erfolgreichste Verein, in den 30er Jahren dominierte dann der FC Arsenal.
Das stimmt. Aber wir waren schon nach kurzer Zeit der Club mit den meisten Fans in London, 1915 kamen durchschnittlich mehr als 30’000 Menschen zu den Spielen. Wir hatten zwar nicht den ganz grossen Erfolg, was die Trophäen anging. Aber wir waren ein Team, das die Leute von Anfang faszinierte. Wir haben in den Gazetten die Schlagzeilen bestimmt. Und 1935 kamen zu einem Match gegen den FC Arsenal 82’905 Zuschauer. Eine gewaltige Masse von Menschen.
Würden Sie sagen, dass Roman Abramowitsch nun mit hundert Jahren Verspätung die Vision von Mears und den anderen Gründungsvätern verwirklicht hat?
Wir hatten lange Zeit einen Minderwertigkeitskomplex. Den hat uns José Mourinho genommen, als er zwei Jahre nach der Übernahme durch Abramowitsch Meister wurde. Das war der erste Ligatitel in 50 Jahren. José gab uns das Selbstvertrauen, den Glauben an unseren Club.
«Wir werden Roberto Di Matteo immer dankbar sein.»
Mit dem Gewinn der Champions League erfüllte sich im vergangenen Jahr die grosse Sehnsucht des Eigentümers, der Spieler und aller Fans. Aber irgendwie hat man den Eindruck, dass diese Sache schon wieder vergessen ist.
Für uns nicht, das können Sie uns glauben. Wir sind noch immer euphorisch. Ich muss nur an Didier Drogbas verwandelten Elfer denken, und schon bin ich glücklich. Am 17. Mai gibt es ein Jubiläumsessen mit Frank Lampard. Diese Saison verlief zwar etwas enttäuschend, aber wir alle sind glücklich, dass durch den Gewinn des Europapokals das Team um Lampard, Drogba und Terry als eines der besten in Europa bestätigt wurde. Wir haben auch Roberto Di Matteo nicht vergessen, wir werden ihm immer dankbar sein.
Wird deshalb sein Name regelmässig an der Stamford Bridge gesungen?
Richtig. Ausserdem denken wir diese Woche oft an ihn. Das Spiel in Basel ist ja unser erstes Match gegen einen Club aus der Schweiz seit dem Spiel gegen St. Gallen im September 2000 – als Di Matteo sich einen dreifachen Beinbruch zuzog und später seine Karriere beenden musste. Ich erinnere mich gut an das Match, ich sass damals drei Reihen hinter Martina Hingis im Stadion. (Chelsea verlor seinerzeit im Espenmoos 0:2 und schied nach einem 1:0 im Rückspiel im Uefa-Cup aus; Anm. d. Red.)
Welchen Stellenwert hat die Europa League für Chelsea?
Einen sehr hohen, weil wir einer von nur vier Clubs (Juventus, Ajax, Bayern) werden können, die alle europäischen Wettbewerbe geworden haben. Es wäre nicht schlecht, zu dieser Gruppe zu gehören.
Und im Sommer kommt Mourinho zurück?
Vielleicht. Die meisten Fans würden ihn jedenfalls sofort mit Kusshand zurücknehmen. Mit ihm und dem Verein ist wie mit einer Affäre, die zu früh zu Ende ging. Schon kurz nach der Trennung haben meide Seiten gemerkt, dass ihnen etwas fehlt. Meiner Meinung nach war er der beste Trainer, den Chelsea je hatte. Ich würde mich sehr freuen.
Rick Glanvills Blog zur Geschichte des Chelsea FC.
Wie der aus Schaffhausen stammende Roberto Di Matteo bei Chelsea gefeiert wird:
Wie Chelseas Ausrüster für die Trikots der neuen Saison wirbt:
Und wer von den «Blauen» im Studio noch nicht genug hat: bitte schön, die Bilderschau.