Ottmar Hitzfeld, das scheue Reh

In Nürnberg wird Ottmar Hitzfeld mit dem «Walther-Bensemann-Preis» für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Der 65-Jährige präsentiert sich bescheiden und sympathisch – und gestattet dennoch kaum einen Blick hinter seine Fassade.

Auszeichnung für das Lebenswerk: Ottmar Hitzfeld bei der Akademie für Fussballkultur in Nürnberg, wo er aus den Händen von «Kicker»-Herausgeber Rainer Holzschuh den Walther-Bensemann-Preis erhält. (Bild: Imago)

In Nürnberg wird Ottmar Hitzfeld mit dem «Walther-Bensemann-Preis» für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Der 65-Jährige präsentiert sich bescheiden und sympathisch – und gestattet dennoch kaum einen Blick hinter seine Fassade.

Einmal im Jahr trifft sich die «Akademie für Fussballkultur» in Nürnberg. Hinter dem nicht ganz unbescheidenen Namen verbirgt sich ein Zusammenschluss aus Fussballern, Politikern, Kulturschaffenden und Journalisten, die im Spätherbst ein paar Preise – unter anderem für das Fussballbuch des Jahres vergibt. Zweifelsfrei der Höhepunkt des geselligen Beisammenseins ist jedoch die Vergabe des «Walther-Bensemann-Preises», mit dem verdiente Persönlichkeiten für ihr Lebenswerk geehrt werden.

Namensgeber Bensemann, der wegen seines jüdischen Glaubens von den Nazis attackiert wurde und 1934 in Montreux starb, gründete ab 1889 zahlreiche Fussballvereine in der Schweiz, im Elsass und im Südwesten Deutschlands, als erster Bensemann-Club gilt der FC Montreux, den er als junger Internatsschüler am Genfer See aus der Taufe hob.

Bensemann ist zudem der Gründer von Deutschlands führendem Fussball-Magazin, dem «kicker», weshalb dessen Herausgeber Rainer Holzschuh traditionell die Laudatio hält. In diesem Jahr hatte er dabei keine leichte Aufgabe. Schliesslich war mit Ottmar Hitzfeld ein Mann auserkoren worden, der in Deutschland anerkannt und beliebt ist, der in der öffentlichen Wahrnehmung aber merkwürdig unkonturiert wirkt.

«Stratege auf hohem Niveau»

In der Nürnberger Tafelhalle, in der den vergangenen Jahren Menschen wie César Luis Menotti, Günter Netzer oder Bernd Trautmann ausgezeichnet wurden, hatte man sich dieses Jahr für einen Mann entschieden, über den Bayern-Manager Uli Hoeness einmal sagte: «Er steht wie ein Reh auf der Lichtung und hat Angst angegriffen zu werden.»

Oliver Kahn über den besten Trainer, den er hatte: «Ottmar Hitzfeld – der Wahnsinn»

Hoeness verbindet seit jeher ein gutes Verhältnis zu Hitzfeld, den er zweimal zum Bayern-Trainer machte, umso bemerkenswerter ist dieser Satz, der auch in Holzschuhs Laudatio fiel. Umgemünzt als Kompliment auf einen Mann, der eben «ein Stratege auf hohem Niveau und kein abgestumpfter Motivator» sei, so Holzschuh. Was fraglos richtig ist.

Hitzfeld ist einer der erfolgreichsten noch lebenden Vereinstrainer der Welt: Er holte den Weltpokal, zweimal die Champions-League, wurde sieben Mal Deutscher Meister und sammelte insgesamt 25 Titel. Dass das kein Zufall war, hat wohl nie jemand so eindringlich betont wie Oliver Kahn, ein Mann, der nun wirklich nicht jeden seiner Trainer mit Lob überschüttet hat. Der langjährige Bayern-Goalie zögerte einst keine Sekunde, als er gefragt wurde, welcher Trainer der beste in seiner Laufbahn gewesen sei: «Ottmar Hitzfeld – der Wahnsinn.»

Die erste Person singular

Als Hitzfeld mit dieser Aussage konfrontiert wird, lächelt er höflich. Irgendwie scheint es diesem schmalen Mann mit der unaufdringlichen Körpersprache fast schon unangenehm, hier unter den Plakaten seiner Vorgänger zu stehen und zu wissen, dass die 300 Zuhörer nun auch Worte erwarten, deren Tragweite über das hinausgeht, was man von seinen Spielanalysen als «TV-Experte» kennt.

An dieser Erwartung wird Hitzfeld scheitern, da kann Moderatorin Kathrin Müller noch so locken («Ich find‘ Sie toll») und noch so oft nachfragen («Was hat Sie das letzte Mal so richtig aus der Hose gehauen?»). Der Mann schirmt alles Private so konsequent ab, dass er selbst vor der ersten Person Singular zurückschreckt.

«Man» sei entspannter, lässt er, der nach der WM in diesem Sommer als Nationaltrainer der Schweiz abgetreten war, über sein Dasein als Trainer-Pensionär wissen und sorgt für ungewollte Lacher, als er ergänzt, er «versuche, mit meiner Frau etwas mehr zu sprechen.»

Ein paar kleine Einblicke gewährt Hitzfeld

Und dennoch gelingen an diesem Abend ein paar kurze Einblicke. Zum Beispiel, als er andeutet, wie stark ihn der «Druck» auch gesundheitlich angegriffen habe. Immerhin scheint dieser Mann, den Bayern-Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge gerne mal als «Mathematiklehrer» abqualifizierte, nicht immer so kontrolliert gewesen zu sein. Als Kind sei er «jähzornig» gewesen, lässt er wissen. «Wenn mir beim Kicken einer den Ball weggenommen hat, habe ich den umgehauen.»

«Was sollen die Spieler denken, wenn der Trainer draussen herumfuchtelt?»
Ottmar Hitzfeld über sein Coaching

Auch als Trainer sei er anfangs wie ein hospitalistisches Raubtier an der Seitenlinie rauf- und runtergeturnt. Doch das habe sich im Lauf der Jahre gelegt. «Man sagt den Spielern ja immer, dass sie ruhig bleiben sollen, auch wenn der Schiedsrichter schlecht pfeift. Was sollen die dann denken, wenn der Trainer draussen herumfuchtelt?»

Gute Frage. Vernünftige Frage. Sie kennzeichnet einen Mann, über den sich auch viele der anwesenden Journalisten, die ihn jahrelang als Trainer erlebt haben – München ist von Nürnberg nur etwas mehr als eine Autostunde entfernt – ausgesprochen positiv äussern. «Wenn er angekündigt hat, dass er dich am kommenden Donnerstag um 15 Uhr 15 anruft, hat er dich angerufen. Um 15 Uhr 15, nicht eine Minute früher oder später», erzählt ein Münchner Journalist.

Hitzfeld und der Präsident in der Kabine

Bevor das Büffet eröffnet wurde, hatte Hitzfeld dann allerdings auch noch ein paar Lacher auf seiner Seite, als er von seiner allerersten Trainerstation berichtete. Die in der Schweiz sattsam bekannte Geschichte etwa von 1983, als Hitzfeld gerade seine Karriere beim FC Luzern beendet hatte und den SC Zug coachte. Dessen Präsident sei ein cholerischer Bauunternehmer gewesen, «der ist mit den Spielern so umgegangen wie mit seinen Bauarbeitern.»

Einmal habe sich der Wüterich entschlossen, nach einer missglückten Partie eine Halbzeitansprache zu halten: «Wenn ihr so weiterspielt, gibt es am Ende des Monats kein Geld», habe der gewütet: «Ihr seid alle Schmarotzer.» Und Hitzfeld? Warf den Präsidenten aus der Kabine.

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