Schmuddelwetter, beengte Verhältnisse, veraltete Infrastruktur: Paris fällt zurück im Wettbewerb der Spitzenturniere. Zur Misere der French Open passt, dass die – kostspieligen – Ausbaupläne auf den Widerstand der Anwohner treffen.
Wenn der Chef der French Open in diesen Tagen aus seinem Büro blickt, dann hat er nicht viel Freude am Szenario draussen. Gilbert Ysern, Turnierdirektor des Grand Slam-Wettbewerbs von Paris, ist zwar von Amts wegen Berufsoptimist und Gute-Laune-Macher, doch im regengrauen Schmuddelwetter mitten im Frühling ist auch ihm die Stimmung vermiest, und zwar kräftig.
Denn gerade in der Gruselwitterung offenbart sich entlarvend, worunter der sportliche Höhepunkt der Sandplatzserie leidet: Extrem beengte Verhältnisse für die Fans, eine massiv veraltete Infrastruktur, kaum Entertainment abseits des Tennis – und keine Überdachung wenigstens der Spitzencourts. Regnet es in Paris, und das tat es ausdauernd und hartnäckig in der ersten Turnierwoche, dann steht buchstäblich alles still.
«Es ist klar, dass das Erlebnis für die Zuschauer besser werden muss hier», sagt Ysern und kann nur nostalgisch darauf verweisen, «dass Roland Garros viele Jahre die Standards im Welttennis gesetzt hat, mit moderner Infrastruktur und dem besten Service.»
Roland Garros ist ins Hintertreffen geraten
Das ist lange her. Im grossen Schönheitswettbewerb der vier Topwettbewerbe, im Schaulaufen auch für Sponsoren und TV-Anstalten, in diesem friedlichen Wettrüsten ist das Sandplatzspektakel im Westen der französischen Kapitale inzwischen nur das Schlusslicht. Seit Mitte der 90er Jahre ist der einstige Branchenführer immer weiter durchgereicht worden, selbst die Australian Open, einst das «hässliche Entlein» In der Grand Slam-Familie, haben die stolze Verwandtschaft aus Paris souverän überholt.
Auch Business-Guru Ion Tiriac, der einst der Tenniswelt empfohlen hatte, sich in puncto Turnierorganisation und Vermarktung ein Beispiel an der French-Open-Truppe zu nehmen, sagt nüchtern: «Sie haben hier ein wenig den Anschluss verloren.» Tiriac muss seine Worte sorgfältig wägen, denn mancher in Paris unterstellt ihm schon mal, er wolle den Grand Slam nur zu gerne nach Madrid verlegen – dort, wo er über eine neue Turnierlandschaft mit drei überdachten Showplätzen gebietet.
Zielmarke für einen überdachten Centre Court ist 2018
Aufgeschreckt durch massive Kritik von Fans und Spielern, soll die Stadionanlage nun zwar modernisiert und erweitert werden. Aber ob der Centre Court 2018, der Zielmarke der Planer, tatsächlich über ein bewegliches Dach verfügt, ob eine nahe Parkanlage mit alten Gewächshäusern dann tatsächlich abgerissen ist und einem 5000-Zuschauer-Stadion Platz gemacht hat, das ist keineswegs verbrieft.
Schon seit Jahren kämpfen Anwohner, Umwelt- und Naturschützer und auch mehrere Parteien gegen die Expansionsabsichten. Wegen des Widerstands hatten Ysern und seine French Open-Mitstreiter sogar schon einmal erwogen, aus der Stadt wegzuziehen und das Grand Slam-Spektakel ins französische Disneyland zu verlegen – in den Osten der Stadt. Auch Versailles war als Standort im Gespräch.
Die Modernisierung wird auf 340 Millionen Euro veranschlagt
Schliesslich entschied man sich für den Verbleib auf dem Traditionsgelände, mit allen Problemen. Denn auch die Kosten für das gesamte Bauprojekt haben sich schon kräftig erhöht, sind fast jährlich weiter angestiegen – bis auf die jetzt veranschlagte Summe von 340 Millionen Euro.
Steht der neue Centre Court eines näheren oder ferneren Tages, wollen die Franzosen ihn auch Tag und Nacht bis ans Limit nutzen. Anders als in Wimbledon sollen auch Flutlichtspiele in einer eigenen Abendsession stattfinden, damit würde man ganz der geschäftstüchtigen Linie der US Open und der Australian Open folgen, die für die Spätvorstellungen noch einmal extra bis zu 25’000 Tickets verkaufen. Zugleich würden sich die Vermarktungsoptionen bei den TV-Anstalten erhöhen.
«Manchmal denkt man, es bricht alles zusammen»
Wie dringend nötig die Erweiterungspläne im Prinzip sind, zeigten ja die ersten Tage des laufenden Turniers: Im Wetter-Horror war der gesamte Grand Slam-Betrieb oft voll auf Null gefahren, frustrierte Fernsehmacher mussten zu den alten, vertrauten Match-Konserven aus dem Archiv greifen, und die vielen Tausend Zuschauer drängelten und rempelten sich gegenseitig auf den paar Metern Auslauffläche an.
«Du kriegst hier richtig Platzangst», sagte die serbische Weltklassespielerin Jelena Jankovic, «das ist wie im Sommerschlussverkauf.» Gar «wie im Zoo» fühlte sich Deutschlands alter Recke Tommy Haas: «Wenn du zu den Plätzen eskortiert wirst, denkst du manchmal, jetzt bricht alles zusammen. So viele Menschen auf so engem Raum, das ist verrückt.»