Portugal startet ohne historische Schuld gegen die Schweiz

Am Dienstag trifft Portugal im Basler St.-Jakob-Park auf die Schweiz (20.45 Uhr). Es ist der Auftakt in die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2018 in Russland, in die der Europameister als Favorit steigt – und ohne den Druck, der in der Vergangenheit auf der Generation um Ronaldo lastete.

France v Portugal - EURO 2016 - Final - Stade de France, Paris - Saint Denis, France - 10/7/16 - Portugal's Renato Sanches and team mates celebrate the goal by Eder REUTERS/Charles Platiau

(Bild: Reuters)

Am Dienstag trifft Portugal im Basler St.-Jakob-Park auf die Schweiz (20.45 Uhr). Es ist der Auftakt in die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2018 in Russland, in die der Europameister als Favorit steigt – und ohne den Druck, der in der Vergangenheit auf der Generation um Ronaldo lastete.

So ein EM-Titel wirft natürlich seinen Schatten hinterher, und in dem kann man auch in der Hitze des Hochsommers gut mal ein Buch vorstellen. «Vai Correr Tudo Bem!» («Alles wird Gut!») heisst das Werk, das Éderzito António Macedo Lopes gemeinsam mit seiner Personal-Trainerin Susana Torres verfasst hat.

Die Geschichte des als Kind von seinen Eltern ausgesetzten Angreifers ist aussergewöhnlich und der Beitrag seiner Psychologin schon daher weit grösser als der eines beliebigen Shrinks. Dennoch darf wohl gegendarstellungsfrei behauptet werden, dass die Präsentation auf nicht ganz so viel Interesse gestossen wäre, hätte dieser Eder nicht am 10. Juli das wichtigste Tor der portugiesischen Geschichte geschossen, dieses Tor in der Verlängerung des Finals gegen Frankreich.

Anlässlich der Veranstaltung in Lissabon verriet Eder, dass er in Frankreich noch nicht wieder gern gesehen ist. Pfiffe und Beleidigungen bekomme er auf den Plätzen des unterlegenen Ausrichterlandes zu hören, wenn er mit seinem Klub OSC Lille dort auftrete.

«DesculpaEder» – die Internetkampagne zur Imagekorrektur

Dafür hat Eders Ansehen zuhause die umgekehrte Karriere durchlaufen, dort wurde er ja vor und noch während des Turniers angefiest wie kein anderer Auswahlspieler. Bis er in einer historischen Nacht «vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan» mutierte (Nationaltrainer Fernando Santos). Seitdem gibt es mit «DesculpaEder» sogar eine Internetkampagne, die Entschuldigungen an den verkannten Nationalhelden einholt.

Die Spieler zweifelten nie an der Arbeit des tiefgläubigen Trainers und befolgten brav seine Bibellosungen. «Seid arglos wie die Tauben und klug wie die Schlangen», sagte er vor dem EM-Final.

Alles wird gut, auch wenn nichts mehr darauf hindeutet: Was für Eder gilt, gilt für die Seleção allemal. Nach Jahrzehnten des knappen, bisweilen tragischen Scheiterns hatte sich sogar Portugals ewig ambitionierter Überspieler und Kapitän vor der EM schon in einen gewissen Fatalismus geflüchtet, wie er nun verriet: «Ehrlich gesagt, ich glaubte nicht, dass Portugal dieses Turnier gewinnen könnte», so Cristiano Ronaldo.

Wo schon von einem wie ihm Geständnisse über Selbstzweifel kommen – wie viel hat dieser Titel wohl verändert? Welche Erleichterung muss es sein, nach all der Zeit endlich diesen Affen vom Rücken zu haben? Ja, doch, es ist möglich, alles wird gut: Portugal kann Fussballturniere gewinnen.

Die Aussicht auf ein letztes Hurra der Herren Ronaldo, Pepe und Nani

Wenn scheinbar unüberwindbare Barrieren gebrochen wurde, ist die Frage natürlich umso spannender: Wie geht es weiter? Erste Antworten wird es am Dienstag geben, zum Auftakt der WM-Qualifikation gegen die Schweiz, im Basler St.-Jakob-Park (20.45 Uhr).

Nur der spanische EM-Sieg von 2008 brachte in den letzten Jahrzehnten ein ähnliches Erlösungsgefühl mit sich. Die weitere Geschichte ist bekannt: Spanien hörte plötzlich überhaupt nicht mehr auf zu gewinnen, es holte über Jahrzehnte Verpasstes in wenigen Jahren nach. Erst einen WM- und einen weiteren EM-Titel später hatte es sich sattgesiegt.



France v Portugal - EURO 2016 - Final - Stade de France, Paris - Saint Denis, France - 10/7/16 - Portugal's Eder scores a goal REUTERS/Kai Pfaffenbach

Der Distanzschuss Eders (nicht auf dem Bild) entscheidet in diesem Moment den EM-Final. (Bild: Reuters)

Selbstverständlich ist Vorsicht geboten mit solchen Parallelen: Der spanische Sieg 2008 war ungleich souveräner und stilistisch eindrucksvoller als der von Portugal 2016. Auf der anderen Seite stehen die Vorzeichen für die WM 2018 schon mal nicht schlecht. Die ewigen Säulen Ronaldo, 31, Pepe, 33 und Nani, 29, könnten noch ein letztes Hurra in sich haben.

Der überwiegende Rest der Stammelf war bei der EM so jung, dass er dann eher noch besser sein wird. Und dahinter lauern noch weitere Ausnahmetalente.

André Gomes: «Wir wollen den ersten Platz so schnell wie möglich sichern»

Wenn man die aktuelle Stimmung richtig deutet, dann haben die Profis grosse Lust darauf, endlich mal ohne historische Schuld in eine Kampagne zu starten, ohne das ewige Misstrauen ihrer Landsleute. Seit Montag hat Santos seine Leute zum Training beieinander, am Donnerstag siegten die Portugiesen in Porto gegen Gibraltar mit 5:0.

«Wir respektieren alle unsere Gegner», sagt der gerade für 35 Millionen Euro von Valencia zum FC Barcelona transferierte Mittelfeldspieler André Gomes über die Qualifikationsgruppe mit der Schweiz, Ungarn, den Färöern, Andorra und Lettland. Der Aufstieg zur Endrunde scheint für ihn jedoch allenfalls eine Frage des Wann: «Wir wollen den ersten Platz so schnell wie möglich sichern». Der Zweite muss in das unangenehme Playoff, zumindest auf dem Papier dürfte dieses auf die Schweiz warten.

Fernando Santos traf sich während der Ferien an der Algarve mit Verbandspräsident Fernando Gomes zum Kaffeetrinken, und schon war sein Vertrag bis 2020 verlängert.

Gäbe es den EM-Titel nicht, könnte man Gomes’ Ansage leicht als anmassend einstufen. Denn das Playoff kennt Portugal wie kaum eine andere der grossen Nationen: Zwischen 2010 und 2014 qualifizierte sich die Seleção dreimal in Folge nur über die Ausscheidung der Gruppenzweiten.

Dabei bezahlte sie insbesondere für ihre schlechten Starts. Beide Vorgänger von Santos verloren nicht zufällig Anfang September ihr Amt. Carlos Queiroz 2010 nach einem 4:4 gegen Zypern und der 0:1-Niederlage in Norwegen, Paulo Bento 2014 nach einem 0:1 gegen Albanien.

Verlängerungsangebot mit dem Trainer im heikelsten Moment

Doch während da jeweils auch ein Stimmungskater nach missratenen Turnierperformances durchschlug, sind die Vorzeichen diesmal natürlich ganz andere. Fernando Santos traf sich während der Ferien an der Algarve mit Verbandspräsident Fernando Gomes zum Kaffeetrinken, und schon war sein Vertrag bis 2020 verlängert.

Das Angebot dazu hatte ihm der Funktionär bereits nach dem 1:1 in der Gruppenphase gegen Österreich unterbreitet, in Portugals kritischstem EM-Moment. Wie er zweifelten auch die Spieler nie an der Arbeit des tiefgläubigen Katholiken und befolgten brav seine Bibellosungen («Seid arglos wie die Tauben und klug wie die Schlangen», riet er vor dem Finale).



Football Soccer - Portugal v France - EURO 2016 - Final - Stade de France, Saint-Denis near Paris, France - 10/7/16 Portugal's Cristiano Ronaldo celebrates with Pepe, Ricardo Quaresma and Joao Moutinho and the trophy after winning Euro 2016 REUTERS/Carl Recine Livepic

Was steckt noch in Ronaldo (Pokal) und Pepe (links daneben)? Vielleicht ein letzter Exploit an der Weltmeisterschaft 2018 in Russland? (Bild: Reuters/Carl Recine)

Santos, 61, war es ja auch, der von Anfang an kontrakulturell den Titel als Ziel ausgab. Angesichts der nun bekannten Skepsis des eigenen Kapitäns umso mehr ein Werk von messianischer Kraft.

Ronaldo fehlt – aber das heisst bei diesem Portugal nicht mehr viel

In seinem ersten Post-EM-Kader gibt es nur vier Änderungen: Hinzu kommen unter anderem die beiden grössten Offensivtalente des Landes, der bereits etablierte, aber im Frühsommer verletzte Halbstürmer Bernardo Silva (AS Monaco), 22, sowie der aufstrebende Mittelstürmer André Silva (FC Porto), 20.

«So früh in der Saison wollte ich die Strukturen und Routinen einer Gruppe beibehalten, die fast 50 Tage miteinander gearbeitet hat», begründete Santos die Kontinuität. Aus der Europameistermannschaft fehlen nur der 38-jährige Ricardo Carvalho, der, vereinslos, wohl vor dem Karrierende steht, sowie drei Verletzte: Vieirinha, Renato Sanches und Cristiano Ronaldo.

Ein Vorteil für die Schweiz, wenigstens das? Natürlich. Andererseits ist das bei dem neuen Portugal eben nicht mehr so einfach. Ronaldo spielte ja auch im EM-Finale nur 20 Minuten. Und das Tor für die Geschichte – das schoss dann ein gewisser Eder.

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