Premiere im Weltcup: Der Airbag für die Rennläufer läutet eine Zeitenwende ein

Jahrelang wurde getüftelt und nun ist er beim ersten Abfahrtsrennen der Weltcup-Saison (Samstag, 19.30 Uhr MEZ in Lake Louise) einsatzbereit: Ein Airbag, der sich bei einem Sturz in Millisekunden aufbläst. Bei aller Skepsis, die noch herrscht, sind Athleten wie Kjetil Jansrud, der schnellste Abfahrer des vergangenen Winters überzeugt: «Bald starten alle mit Airbag.»

From left, Norway's Aksel Lund Svindal, Italy's Kristian Ghedina and Italy's Werner Heel present a new technology to improve the protection of skiers using an airbag designed around the human body, in Kitzbuehel, Austria on Wednesday, Jan. 19 , 2012. (AP Photo/Alessandro Trovati)

(Bild: Keystone/ALESSANDRO TROVATI)

Jahrelang wurde getüftelt und nun ist er beim ersten Abfahrtsrennen der Weltcup-Saison (Samstag, 19.30 Uhr MEZ in Lake Louise) einsatzbereit: Ein Airbag, der sich bei einem Sturz in Millisekunden aufbläst. Bei aller Skepsis, die noch herrscht, sind Athleten wie Kjetil Jansrud, der schnellste Abfahrer des vergangenen Winters überzeugt: «Bald starten alle mit Airbag.»

Offiziell und traditionell wird der alpine Weltcup ja immer schon Ende Oktober mit den Gletscherrennen in Sölden eröffnet. Doch der eigentliche Start in die Saison, der emotionale Winterbeginn, das sind die Rennen in Übersee. Dann, wenn erstmals auch die Abfahrer ins Weltcup-Geschehen eingreifen und zur Primetime um Punkte gefahren wird.

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Diese Saison bringt für die Speedspezialisten neben einer unbekannten Abfahrtspiste – für Februar ist die erste Kontaktaufnahme mit den olympischen Strecken in Südkorea geplant – auch noch ein neues Accessoire mit sich: Bei den Männer-Rennen im kanadischen Lake Louise feiert am Wochenende der vieldiskutierte Airbag seine Weltcup-Premiere.

Schon seit Jahren war im Hintergrund getüftelt und experimentiert worden. Nach den schweren Stürzen in Kitzbühel (Scott Macartney, Daniel Albrecht, Hans Grugger) und den vielen Verletzungen der vergangenen Jahre sahen sich der Weltverband FIS und die Verbände gezwungen, den Skisport sicherer und kontrollierbarer zu machen.

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Auf den Abfahrtspisten wurden die Sicherheitsauflagen (Fangnetze, weiche Banden) noch einmal erhöht und die Kurssetzer angehalten, durch zusätzlich eingebaute Kurven das Tempo etwas zu drosseln. Doch das grösste Problem waren immer noch die Läufer selbst, die mit Geschwindigkeiten bis zu 150 Stundenkilometern (Lauberhornabfahrt) fast schutzlos über die eisigen Pisten rasten. Sieht man einmal vom Helm und dem obligaten Rückenprotektor ab.

Airbag-Weste wie im Motorradsport

Nun bricht das Zeitalter des Airbags an, der den Rennlauf sicherer machen soll, und auch bedeutend sicherer machen wird, wie etliche Abfahrer nach den ersten Tests bereits versichern. Als Vorbild diente der Motorradsport, in dem solche Airbag-Westen, die sich bei Stürzen in Millisekundenschnelle aufblasen und sich schützend über den Nacken, den Rücken, die Schulter und die Brust legen, bereits seit einiger Zeit zum Einsatz kommen.

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Die grösste Herausforderung bei der Entwicklung einer Sicherheitsweste für die Abfahrer war es, dafür zu sorgen, dass sich der Airbag nicht während der Fahrt über die unruhige Piste von selbst aktiviert und so für Gefahr sorgt. Zudem hatten viele Läufer die Befürchtung, dass sich das Tragen einer zusätzlichen Weste negativ auf die Aerodynamik und das Fahrverhalten auswirken würde.

«Das haut inzwischen perfekt hin», erklärt Hannes Reichelt. Der amtierende Super-G-Weltmeister aus Österreich ist einer der prominentesten Skifahrer, der auf den Airbag schwört und ihn auch bereits in Lake Louise tragen wird.

800 Gramm für mehr Sicherheit

Ungefähr 800 Gramm wiegt jedenfalls diese hochmoderne Airbag-Weste, die bei einem Sturz in weniger als 100 Millisekunden aktiv wird und zur Entfaltung kommt. Laut den Untersuchungen und Analysen könne dadurch die Energie, die bei einem Sturz auf dem Fahrer lastet, um immerhin 60 Prozent verringert werden. Der österreichische Abfahrts-Olympiasieger Matthias Mayer gesteht nach zahlreichen Tests. «Wenn ich am Start stehe und einen Airbag habe, gibt mir das ein Gefühl der Sicherheit.»

So sieht es aus, wenn der Airbag bei Motorrad-Rennfahrern auslöst.

So denken freilich nicht alle im Alpinzirkus. Etliche Läufer hegen immer noch die Befürchtung, dass es zu Fehlauslösungen kommen könne. Manche Abfahrer wie der Südtiroler Werner Heel fühlten sich durch den Airbag in der Bewegung eingeschränkt.

Am besten trifft es wohl Kjetil Jansrud, der beste Speedfahrer des vergangenen Winters. «Es wird sein wie immer, wenn was Neues kommt. Es gibt dann zwei Möglichkeiten. Erstens: Ein Läufer verletzt sich ohne Airbag schwer, dann fahren danach alle mit Airbag. Zweitens: Ein Läufer, der den Airbag verwendet, bleibt bei einem schweren Sturz unverletzt. Dann werden danach alle mit Airbag fahren.»

Die Abfahrer-Siegerliste: Eine Drei-Nationen-Angelegenheit

Die Saison wird zeigen, ob der Airbag tatsächlich nur heisse Luft ist, oder ob über kurz oder lang alle Abfahrer zu diesem Utensil greifen.

Aber unabhängig davon: Wer wird in der Königsdisziplin des Männer-Skisports im Fokus stehen? Wer hat das Zeug, der Konkurrenz um die Ohren zu fahren? Und können sich in diesem Winter mehr Nationen in die Weltcup-Siegerliste eintragen als in der Vorsaison, als die Abfahrtssieger nur aus drei Verbänden (Norwegen, USA, Österreich) kamen. Ein Ausblick:



Erik Guay, of Canada, skis during a training run in the men's World Cup downhill in Lake Louise, Alberta, on Thursday, Nov. 26, 2015. (Frank Gunn /The Canadian Press via AP) MANDATORY CREDIT

Der Kanadier Erik Guay im Training auf der Strecke von Lake Louise, wo an diesem Wochenende die Mäner ihre Speed-Saison eröffnen. (Bild: Keystone/FRANK GUNN)

Kjetil Jansrud gehört wieder zu den Favoriten

Der Norweger sprang im vergangenen Winter erfolgreich für seinen verletzten Landsmann Aksel Lund Svindal in die Bresche. Sein Double-Gewinn in Lake Louise – Jansrud war in Abfahrt und Super-G eine Klasse für sich – war der Startschuss für die erfolgreichste Saison in der Karriere des 30-Jährigen. Am Ende standen sieben Weltcupsiege zu Buche, dazu sicherte sich der Skandinavier die kleinen Kristallkugeln in Abfahrt und Super-G.

Zwei Schönheitsfehler hatte der Winter für Jansrud aber: Im Kampf um den Gesamtweltcup hatte der Speedspezialist gegen den Österreicher Marcel Hirscher das Nachsehen, und an der Weltmeisterschaft in Vail/Beaver Creek ging der schnellste Mann des Winters und erklärte Goldanwärter in seinen Paradedisziplinen leer aus und holte nur in der Kombination eine Silbermedaille. Darf man norwegischen Ski-Reportern Glauben schenken, dann ist auch heuer wieder stark mit Jansrud zu rechnen.

Patrick Küng – die Wundertüte

Patrick Kueng, of Switzerland, skis during a training run in the men's World Cup downhill in Lake Louise, Alberta, Thursday, Nov. 26, 2015. (Frank Gunn /The Canadian Press via AP) MANDATORY CREDIT

Sieht noch ein bisschen wacklig aus: Patrick Küng im Donnerstagstraining von Lake Louise. (Bild: Keystone/FRANK GUNN)

Der Name animiert natürlich zu Wortspielen. King Küng wurde der 31-Jährige genannt, nachdem er sich im Februar in Vail/Beaver Creek überraschend zum Abfahrtsweltmeister gekürt hatte. Der Mann vom Skiklub Mürtschen Kerenzerberg ist eine kleine Wundertüte. Bei Küng weiss man tatsächlich nie, was raus kommt. Der Weltmeister hat grottenschlechte Läufe in seinem Repertoire, kann dann aber einen Tag später alles in Grund und Schneeboden fahren.

Vielleicht ist es ein Vorteil, dass von dem 31-Jährigen trotz des WM-Titels (noch) keine Wunderdinge erwartet werden. Küng hat in der Vorbereitung wegen einer Knieverletzung mehrere Wochen pausieren müssen und kann daher noch nicht auf dem Level der internationalen Konkurrenten sein. Aber genau das macht ihn so gefährlich und unberechenbar.

Hannes Reichelt und das freche Grinsen

Der österreichische Routinier hat den Schalk im Nacken und immer einen flotten Spruch auf Lager. Getreu dem Motto: Leise rieselt der Schmäh. Wenige Tage vor dem ersten Rennen sorgte der 35-Jährige ganz bewusst für Unruhe, als er im «Blick» mit einem fetten Grinsen im Gesicht verkündete: «Die Schweizer fahren uns um die Ohren. Es braucht ein Wunder.»

Die Lockerheit ist der grösste Trumpf des Super-G-Weltmeisters, der in der Vorsaison immerhin drei Abfahrten gewinnen konnte und der erste und einzige echte Herausforderer von Dominator Jansrud war.

Dominik Paris – der Rocker

Der Südtiroler Dominik Paris ist erfolgreicher Skirennfahrer und jobbt als Schafhirte.

Death-Metal-Frontmann: Dominik Paris. (Bild: JOHANN GRODER)

Der stämmige Südtiroler ist noch ein Abfahrer von alter Prägung. Ein Draufgängertyp, ein Mann, der sich nichts pfeift und auch einmal die Nacht zum Tag werden lässt. Dass Paris eine eigene Death-Metal-Band hat, die – so ehrlich muss man sein – grauenhaften Lärm fabriziert («ich singe nicht, ich gröle») passt gut ins Bild des unbekümmerten Wilden aus dem beschaulichen Ultental.

Paris ist einer der wenigen Abfahrer, die es schon in jungen Jahren zur absoluten Weltklasse gebracht haben. Seit Jahren dominiert die Generation 30+ die Szene – nicht von ungefähr gewann Didier Cuche mit 37 noch Weltcuprennen –, doch Paris hat mit seinen 26 Jahren bereits die Klassiker in Bormio und Kitzbühel gewonnen. «Abfahren bedeutet Improvisieren, wer das beherrscht, ist ein Guter», sagt der Italiener.

Travis Ganong – der Bode-Miller-Ersatz

Der US-Amerikaner hat es heimlich, still und leise aus dem langen Schatten von Bode Miller ins Rampenlicht geschafft. Jahrelang war der Exzentriker Miller die Kultfigur und der Erfolgsgarant im US-Speedteam, doch in dem 27-Jährigen hat ein neuer Winnertyp den Durchbruch geschafft. Ganong gewann im vergangenen Winter nicht nur seine erste Weltcupabfahrt (Santa Caterina), er hielt auch dem Erwartungsdruck bei der Heim-WM stand und holte die Silbermedaille.

Ganong und sein nicht minder begabter Teamkollege Steven Nyman – im letzten Winter Sieger in Gröden – lassen inzwischen auch Bode Miller vergessen, der bei den Rennen in Nordamerika zwar dabei ist, aber nicht mittendrin. Der 38-Jährige, der offiziell noch nicht seinen Rücktritt bekannt gegeben hat, ist nur als TV-Reporter im Einsatz.

Aksel Lund Svindal strotzt vor Tatendrang

Mit dem «grossen Bruder» von Kjetil Jansrud muss man in Abfahrt und Super-G immer rechnen. Das Kraftpaket aus Norwegen war im Februar sogar nur knapp an einer WM-Medaille vorbeigefahren, obwohl er sich erst vier Monate zuvor die Achilllessehne gerissen hatte. Der 32-Jährige strotzt nur so vor Energie und Tatendrang und hat das Zeug zum Superstar dieses Winters. Oder können 25 Weltcupsiege, sechs Goldmedaillen bei Weltmeisterschaft und Olympischen Spielen und zwei Gesamtweltcupsiege lügen?

Carlo Janka sucht den Anschluss

Carlo Janka, of Switzerland, skis during a training run at the men's World Cup downhill in Lake Louise, Alberta, Wednesday, Nov. 25, 2015. (Frank Gunn/The Canadian Press via AP)

Carlo Janka – Schnellster Schweizer und damit Elfter im zweiten Training in Lake Louise. (Bild: Keystone/FRANK GUNN)

Natürlich stellt der 29-Jährige die Geduld der Fans auf die Probe, und selbstverständlich hat er in seiner Karriere schon viel mitmachen müssen, von der Herz-Operation bis hin zu Materialsorgen. Doch schön langsam wird es Zeit, dass Carlo Janka an seine Glanzzeiten anschliesst.

Dass der Mann aus Obersaxen ein aussergewöhnlicher Skifahrer ist, hat er in jungen Jahren bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt (WM- und Olympiagold, Gesamtweltcupsieg), seither warten alle auf den nächsten Exploit des Ausnahmekönners. Jankas Performance in den Trainings war jedenfalls so beeindruckend, dass selbst in Österreich, der Skination Nummer eins, immer wieder der Name Janka zu vernehmen ist, wenn es um den Überraschungsmann des kommenden Winters geht.

» Riskiert Carlo Janka seine Gesundheit? – die «Aargauer Zeitung» über Carlo Jankas Ermüdungsbruch im Lendenwirbel

» Carlo Janka bei Facebook und bei Twitter

Das komplette Weltcup-Programm
Das alpine Weltcup-Programm in Übersee

Männer

Sa, 28.11. 19.30 h MEZ Abfahrt Lake Louise
So, 29.11. 19.00 Super-G Lake Louise
Fr, 4.12.   Abfahrt Beaver Creek
Sa, 5.12.   Super-G Beaver Creek
So, 6.12.   Riesenslalom Beaver Creek

Frauen

Sa, 28.11. 18.15/21.15 Slalom Aspen
(Ersatzrennen für Levi)
So, 29.11. 18.00/21.00 Slalom Aspen
Fr, 4.12.   Abfahrt Lake Louise
Sa, 5.12.   Abfahrt Lake Louise
So, 6.12.   Super-G Lake Louise

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