Die Berge sind die Seele des Landes, heisst es in Korea. Berge sind auch da, wo das Land sich teilt. Ein weisses Gebäude auf einem Hügel, der letzte Posten, 500 Meter entfernt von der verbotenen Grenze.
Dahinter liegt die demilitarisierte Zone (DMZ), einer der mysteriösesten Landstriche der Welt. Ein Urwald soll gewachsen sein, Bären und Geier sollen dort leben, womöglich sogar ein sibirischer Tiger. Was weiss man schon?
Norden wie Süden haben sich zwar angepirscht, haben Terrain vermint, Tunnel gegraben, Bunker angelegt und Spione geschleust. Aber die DMZ weiter zu betreten, ohne Bewilligung der zuständigen Kommission und ergo beider Länder, das hat schon in Hunderten Fällen den Tod bedeutet. Und das würde, wenn es in grösserem Umfang passierte, den Krieg bedeuten, der formell sowieso nie aufgehört hat in Korea: Seit 65 Jahren herrscht Waffenstillstand, das ist alles.
«Furchterregendster Ort des Planeten»
Nun finden Olympische Spiele statt, durch das gemeinsame Hockeyteam und die Gespräche anlässlich der Eröffnungsfeier sollen sie einen Beitrag zur koreanischen Aussöhnung leisten. Das ist offizielle Politik der Regierung in Seoul – und darauf hat sich der Norden zumindest vordergründig eingelassen. Verlässt man jedoch die Sportstätten, wird schnell greifbar, wie ernst dieser Konflikt war, ist und fürs Erste auch bleiben wird.
Nur zehn Fahrminuten vom Olympischen Dorf entfernt, ist in Gangneung ein nordkoreanisches U-Boot aufgebockt, das Südkorea im September 1996 in seinen Gewässern entdeckte: Die Verfolgung der Besatzung quer durch das Land dauerte anderthalb Monate und lässt jede Fiktion erblassen. Zur DMZ sind es von Pyeongchang nur rund 60 Kilometer. Den «furchterregendsten Ort des Planeten» hat sie der ehemalige US-Präsident Bill Clinton einmal genannt.
Schon um in die Nähe des rund 250 Kilometer langen und drei Kilometer breiten Streifens zu kommen, geht es an mehreren Checkpoints vorbei. Die Soldaten spielen Fussball, einer drischt die Kugel übermütig auf das Barackendach – wo im Sperrgebiet nur Eliteeinheiten stationiert werden, sind die Männer an den Posten davor oft noch blutjung. In Südkorea gilt Wehrpflicht, 18 Monate. Im Norden gilt sowieso Wehrpflicht, doch da dauert sie viel länger: zehn Jahre für Männer, sieben für Frauen.
In der Nacht ist die Propaganda-Beschallung an der Grenze
bis zu 24 Kilometer weit zu hören.
Die Strecke von Olympia führt am Meer entlang. Steigt man aus, hört man die Wellen – wenn nicht gerade Propagandastunde ist. Seit jeher tobt um die Grenze auch eine Schlacht der Wörter. Zwischenzeitlich einigte man sich auch in diesem Punkt auf eine Feuerpause, aber seit den jüngsten Atomtests ging die Beschallung wieder los. 16 Kilometer weit – nachts bis zu 24 Kilometern – ist der Sermon aus dem Norden zu hören.
Der Süden antwortete früher ebenfalls mit Parolen, inzwischen oft auch mit K-Pop. Kulturelle Argumente haben Propagandatradition. Im Lauf der Jahrzehnte versuchte der Süden nicht zuletzt mit Pin-up-Fotos, die Soldaten aus dem Norden zur Fahnenflucht zu bewegen.
Im Museum sind einige der Flyer ausgestellt, aber die dazugehörigen Botschaften wären heute gewiss nicht mehr politisch korrekt. «Piloten, landet in Seoul», lockt eine Schönheit, während eine andere fordert, das harte Kasernenleben doch gegen ein nettes Kennenlernen am Strand einzutauschen.
Umstrittene Versöhnungsinitiative
Auch Bilder vom Sport werden eingesetzt, derweil der Norden gern seine Militärmacht zur Schau stellt und während des Korea-Krieges bei den UN-Soldaten mit kitschigen Familien-Weihnachtsbildern das Heimweh zu wecken suchte.
Allein in den Kriegsjahren von 1950 bis 1953 sollen von beiden Seiten insgesamt 2,8 Milliarden Flugblätter unters Volk gestreut worden sein. Aber das sind natürlich nicht die schlimmsten Zahlen einer ausserordentlich brutalen Auseinandersetzung: Der Krieg, bei dem Koreaner gegen Koreaner und UN-Truppen (Süden) gegen chinesische Truppen (Norden) kämpften, kostete rund vier Millionen Menschen das Leben, trennte zehn Millionen von ihren Verwandten und hinterliess drei Millionen Waisen.
Einer derjenigen, die noch persönlich unter dem Krieg litten, ist Südkoreas Präsident Moon Jae-in. Seine Eltern gelangten im Rahmen einer spektakulären Evakuierung – dem sogenannten «Weihnachtswunder» – aus dem Norden auf die südkoreanische Insel Geoje. 14’000 zivile Flüchtlinge wurden damals auf ein einziges Schiff geladen. Moon kam auf Geoje im letzten Kriegsjahr zur Welt; diese Biografie erklärt zu einem guten Teil seine aktuelle, im Land durchaus umstrittene Versöhnungsinitiative.
Schon der Waffenstillstand wurde in einer Baracke in der demilitarisierten Zone unterschrieben.
Sollten in deren Rahmen konkrete Abkommen zustande kommen, würden wohl auch sie dort unterschrieben, wo schon der Waffenstillstand signiert wurde: in den drei blauen Baracken einer Militärsiedlung in der DMZ, die der gemeinsamen Kommission untersteht. Die Siedlung ist so etwas wie die einzige halbwegs institutionalisierte Begegnungsstätte beider Länder.
Die Baracken können von beiden Seiten betreten werden, Soldaten der einen Seite schützen dann die Tür zur anderen. Südkoreaner dürfen seit dem Tod einer Touristin 2008 überhaupt nicht mehr in den Norden. Auch die gemeinsame Sonderindustriezone in der Stadt Kaesong, wo rund 50’000 nordkoreanische Arbeiter für südkoreanische Produkte arbeiteten, wurde vor zwei Jahren angesichts der Spannungen um die Atomtests geschlossen. Die Dinge sind nicht besser geworden, jedenfalls bis zu den Olympischen Spielen.
Am letzten zivilen Aussichtspunkt vor der DMZ, neben einem riesigen Friedensbuddha, tritt ein Pantomime auf, ganz in Schwarz, mit Maske auf dem Kopf. Er steht vor einem Panzer und hat Seile an die Geländer davor gespannt, die symbolisch die beiden Koreas verbinden sollen. Er versucht die Seile nach vorne zu ziehen in eine bessere Zukunft, er zieht und zieht, und manchmal kommt er einen Schritt voran, aber dann fällt er wieder einen zurück.
Die meiste Zeit tritt er einfach nur auf der Stelle.