Von einem «schwarzen Tag» ist die Rede nach Ausschreitungen in der Berner Innenstadt im Vorfeld des Cupfinals. Eine Aufarbeitung des Pfingstmontags und ein Augenzeugenbericht.
Es sind wüste Szenen, die vom Zusammenstoss von Basler und Zürcher Fans in der Berner Innenstadt im Vorfeld des Cupfinals am Pfingstmontag geschildert werden. Vermummte, die Petarden und Steine werfen, Bauzäune einreissen, Fenster und Autos beschädigen. So berichtet es unter anderem die Berner Polizei, ohne über den Umfang der Sachbeschädigungen Angaben zu machen.
Die Berner Polizei zieht sich darauf zurück, dass die Basler Fans sich nicht wie zugesichert am Kornhausplatz sondern am Waisenhausplatz versammelt hätten – nur wenige Meter entfernt vom Bärenplatz, wo die GC-Fans angekündigt waren.
Thomas Gander, Co-Leiter von Fanarbeit Basel und Geschäftsführer Fanarbeit Schweiz war im Vorfeld in die Diskussion um den geeigneten Treffpunkt mitbeteiligt. Er relativiert nicht die Brutalität des Zusammenstosses der Fans, verdeutlicht aber: Es seien keine Abmachungen getroffen worden – diese Rolle könne die Fanarbeit als vermittelnde Instanz nicht wahrnehmen – sondern es habe Vorschläge für den Besammlungsort gegeben.
Die Trennung der Fans
«Uns kann man nun den Vorwurf machen, dass wir die FCB-Fans nicht überzeugen konnten, sich am Kornhausplatz zu versammeln», sagt Gander, fragt aber gleichzeitig, ob die Berner Polizei genug getan habe, um es erst gar nicht zum Zusammentreffen der beiden Gruppen kommen zu lassen, etwa durch Einsatzwagen oder eine Kette von Beamten: «Es ist immer von einer klaren Trennung der Fans die Rede.»
Beobachter der Konfrontation schildern, dass es auf beiden Seiten 40, 50 Fans waren, die sich an den Scharmützeln rund drei Stunden vor Anpfiff des Cupfinals beteiligten. Und selbst wenn es mehr waren, so liegt deren Anteil immer noch bei ein oder zwei Prozent der 8000 bis 10’000 Fans beider Clubs, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Berner Innenstadt bewegt haben sollen.
Krawalltouristen aus Deutschland
Wie schwer kontrollierbar die Szenerie war, beschreibt auch die Wahrnehmung mehrerer Augenzeugen, die Krawalltouristen in vorderster Front ausgemacht haben. So soll unter anderem eine Gruppe aus dem nordbadischen Mannheim die Gelegenheit genutzt haben, in Bern auf den Putz zu hauen.
Gander bezeichnet diesen Aspekt als die «eigene Dynamik», die ein Final in einer fremden Stadt entwickelt. «So ein Spiel mobilisiert viele Fans und zieht auch Leute an, die sonst nicht bei Auswärtsspielen dabei sind.» Dass sich die Basler Fans zum Waisenhausplatz begaben, im Bewusstsein, dass dort die GC-Fans nicht weit sein werden, kann man als Markieren des Reviers bezeichnen. «Die Fans haben bewusst das Risiko der Konfrontation gesucht», sagt Sozialarbeiter Gander, «sie sind der Provokation nicht aus dem Weg gegangen.»
Wasser auf Nauses Mühlen
Dass der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause die Randale vor dem Cupfinal zum Anlass nimmt, die Notwendigkeit des Konkordats zur Sicherheit bei Sportveranstaltungen zu unterstreichen, ist verständlich. Schliesslich gehört Nause von Beginn an zu den Befürwortern einer Verschärfung der Massnahmen.
Während Fanwalks zum Finalort in Bern-Wankdorf zur Tradition des Schweizer Cup gehören, hatten Basler Fans in den vergangenen zwei Jahren wiederholt auch bei Super-League-Spielen ihres Clubs im Stade de Suisse den Marsch vom Hauptbahnhof durch die City bis zum Stadion unternommen. Dies unter anderem als Reaktion darauf, dass die Berner Behörden von der Haltestelle des Extrazuges in Bern-Wankdorf bis zum Stadion einen mobilen Zaun installiert hatten. Nause nannte diese Einrichtung seinerzeit einen «Raubtierkäfig».
Polizei spricht von ruhigen Fanmärschen
Interessant ist, dass es beim von Nause angeprangerten eigentlichen Fanmarsch am Pfingstmontag ruhig blieb. Zumindest, wenn man der offiziellen Mitteilung der Polizei Glauben schenken mag. Dort ist zwar einerseits von «massivem Einsatz von Gummischrot, Pfefferspray und Tränengas» bei den Ausschreitungen im Bereich einer Baustelle zwischen Waisenhaus- und Bärenplatz die Rede, gleichzeitig heisst es aber: «Die Fanwalks verliefen grösstenteils geordnet. Beim Stadion wurde aber ein TV-Team von Basler Fans angegriffen.»
Und weiter: «Der Abmarsch nach dem Spiel verlief ruhig und geordnet via die vorgesehenen Routen. Vereinzelt wurden erneut Handlichtfackeln und Rauchpetarden gezündet. Die Extrazüge verliessen die Bahnhöfe ohne Zwischenfälle.»
In der Rhetorik von Reto Nause klingt das Fazit nach dem 88. Cupfinal etwas anders: «Es war ein schwarzer Tag für den Cupfinal. Ein schwarzer Tag für den Fussball. Eins ist für mich sonnenklar: Das war der letzte Fanmarsch durch die Stadt Bern.» Nause geht in einem Interview mit der «Berner Zeitung» sogar so weit, Bern als Finalort für den Schweizer Cupfinal in Frage zu stellen: «Wir müssen uns ernsthaft fragen, ob wir den Cupfinal wirklich in Bern haben wollen, ob uns der Cupfinal diese Risiken und Kosten wert ist.»
Der schwarze Tag für Bern
Eine Woche zuvor hatte der CVP-Politiker in der selben Zeitung noch so argumentiert: «Der Cupfinal ist ein spezieller Anlass mit Volksfestcharakter, da gehen die Fanmärsche in Ordnung. Der Cupfinal und Länderspiele gehören in die Hauptstadt. Diese Haltung vertritt die Stadtregierung schon lange.» Deshalb sei die Stadt auch bereit, die Kosten dafür zu tragen. «Die ganze Schweiz schaut am Cupfinal nach Bern. Das ist beste Werbung.»
Aus bester Werbung wurde nun in Nauses Augen ein «schwarzer Tag für die Stadt Bern.» Ausgeblendet bleibt bei dieser Betrachtung, wie der Grossteil der mehr als 27’000 Besucher diesen Cupfinal erlebt hat. Beim Schweizerischen Fussballverband finden die Ausschreitungen keinen Niederschlag, etwa auf der Website des SFV. Dafür gibt es ein kurzes Video mit Statement von Fans, die der Frage der Rivalität zwischen Basler und Zürchern Fussballfans nachgeht.
Probleme dort, wo der SFV sie erwartet hat
Wie in solchen Fällen üblich, verurteilt der Verband auf Anfrage die Ausschreitungen «aufs Schärfste». SFV-Sprecher Marco von Ah kann sich die Vorkommnisse nicht erklären, weil es bei Ligaspielen «so wenige Zwischenfälle wie schon lange nicht mehr» gegeben habe. Die Krawallmacher seien zum Teil bereits identifiziert und würden zur Rechenschaft gezogen, so von Ah.
Dezidiert äussert sich Alex Miescher, der Generalsekretär des SFV: «Die Zusammenarbeit zwischen dem SFV und der Stadt war hervorragend. Der Tag verlief grösstenteils wie geplant. Probleme gab es da, wo wir es erwartet hatten.»
«Nicht Nause, sondern die Stadt Bern entscheidet»
Während davon ausgegangen werden darf, dass die Stadt Bern der gesamte Polizeieinsatz rund um den Cupfinal um eine viertel Million Franken kostet, rechnet Miescher vor, dass der SFV innerhalb des Stadions 100’000 Franken für private Sicherheitsdienste aufwendet. An eine freiwillige Beteiligung an den Kosten der Polizei denkt der SFV nicht. «So wie Herr Nause Steuergelder verwaltet, verwalte ich Verbandsgelder», so Miescher gegenüber der «Aargauer Zeitung».
Die Rechnung des SFV-Generalsekretärs: «Der SFV hat hat seit Februar 2012 zwei Cupfinals und zwei Länderspiele veranstaltet, im Herbst kommen noch zwei Länderspiele gegen Island und Slowenien dazu. In der Summe haben wir bei sechs Spielen 150’000 Zuschauer nach Bern gebracht. Wenn es bei einem Match einen etwas grösseren Sicherheitsaufwand gibt, halte ich das für vertretbar.»
Reto Nauses Äusserungen nimmt Miescher zur Kenntnis: «Letztlich wird nicht er, sondern die Stadt Bern entscheiden, ob sie uns an den Kosten beteiligen will. Ich bin zuversichtlich, dass es nicht soweit kommen wird.»
Die Politik und der Scherbenhaufen
Der Basler Roland Suter hat mit seiner Frau den Cupfinal besucht und hat die Scharmützel in der Berner Innenstadt miterlebt. Sein Augenzeugenbericht:
«Dass wir am Pfingstmontag, gegen hungrige Grashüpfer, den Kürzen gezogen haben, tut dem rotblauen Herzen zwar weh, lässt sich aber sportlich wegstecken.
Dass der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause aus den «Ausschreitungen» am Waisenhausplatz politischen Nutzen zieht und verlautbaren lässt: «Der beste Beweis dafür, dass wir das Hooligan-Konkordat brauchen», ist für uns allerdings nicht so leicht zu verdauen.
Meine Frau und ich waren vor Ort und zufällig im falschen Moment am falschen Platz. Um uns die Füsse zu vertreten, haben wir noch einen Spaziergang gemacht und sind just in dem Augenblick über den Bundesplatz spaziert, als die GC-Fans sich aus der Schauplatzgasse dem Bundesplatz näherten. An der Ecke Bundesplatz/Bärenplatz weit und breit kein Polizist, obwohl ja den Ordnungshütern bekannt war, dass sich die FCB-Fans auf dem nahen Waisenhausplatz besammelt hatten.
Wir haben uns, angesichts der «blauweissen Wand», entschlossen via Käfiggässchen zum Waisenhausplatz zurückzukehren. An der Ecke Käfiggässchen/Marktgasse standen zwei Polizisten in Kampfmontur. Unseren Hinweis, dass die beiden Fangruppen gleich ungehindert aufeinanderprallen werden, wenn keine Polizei dazwischen steht, nahmen sie mit einem süffisanten Lächeln kommentarlos entgegen.
Dann ging alles blitzschnell. Wegen der Grossbaustelle an der Marktgasse mussten wir die Passarelle zum Waisenhausplatz benützen und so sahen wir, wie der GC-Mob Richtung Basler Mob stürmte und die Auseinandersetzungen begannen. Uns gelang die Flucht durch die Waaghausgasse.
Wir suchten danach das Gespräch mit den Polizisten, die am Waisenhausplatz postiert waren. Sie sagten uns, dass die Fangruppen wegen der Baustelle an der Marktgasse nicht zu trennen gewesen seien. Auf unseren Einwand, dass zwei Dutzend Polizisten an der Ecke Bundesplatz/Bärenplatz genügt hätten, um die beiden Lager in ausreichend Abstand voneinander zu positionieren, wollten sie nicht eingehen.
Für uns steht fest, dass die Berner Polizei, unter der Leitung von Herrn Nause, den gestrigen Vorfall bewusst und mit Kalkül provoziert hat, um aufzuzeigen, dass Fanmärsche immer zu Gewalt führen und darum unterbunden werden müssen und das Allerheilmittel gegen alle möglichen Szenarien nur das Hooligan-Konkordat sein kann.
Dass Herr Nause nun auch noch den FCB-Fans die Schuld in die Schuhe schiebt, weil sie sich auf dem Waisenhausplatz und nicht auf dem Kornhausplatz versammelt haben, passt ins Bild. Vielleicht sah das Dispositiv der Polizei beim Kornhausplatz ja vor, dass man hätte einschreiten müssen, weil die Massen der rotblauen Fans den Tram- und Busverkehr am Platz massiv beeinträchtigen?
Frust und Bitterkeit überschatten somit den ansonsten friedlichen Pfingstmontag und leider gibt es keine geeigneten Mittel um diejenigen in die Verantwortung zu nehmen, die mitgeholfen haben den Scherbenhaufen zu produzieren.»
Roland Suter (53), ist Autor und Kabarettist, Leiter des Theater Teufelhof in Basel und FCB-Fan.