Roger Federer: Die Wahrheit liegt auf dem Platz

Nach einem Jahr mit vielen Rückschlägen und Kalamitäten kommt Roger Federer zu seinem Heimturnier in die St. Jakobshalle. Kein anderer Ort scheint geeigneter zu sein für den versöhnlichen Erfolgsmoment, nach dem Federer sucht. Eine Bestandsaufnahme.

Switzerland's Roger Federer serves a ball to Germany's Benjamin Becker during their first round match at the Swiss Indoors tennis tournament at the St. Jakobshalle in Basel, Switzerland, on Monday, October 22, 2012. (KEYSTONE/Georgios Kefalas) (Bild: Keystone/GEORGIOS KEFALAS)

Nach einem Jahr mit vielen Rückschlägen und Kalamitäten kommt Roger Federer zu seinem Heimturnier in die St. Jakobshalle. Kein anderer Ort scheint geeigneter zu sein für den versöhnlichen Erfolgsmoment, nach dem Federer sucht. Eine Bestandsaufnahme.

Wenn Roger Federer daheim in der St. Jakobs-Halle zum Kampf um Spiel, Satz und Sieg aufschlägt, gibt es gewöhnlich grossen Gesprächsbedarf. Meistens sogar von zwei Seiten. Presse, Funk und Fernsehen fragen um Interviews nach, abseits der offiziellen Medienkonferenzen, am liebsten in der sogenannten One-to-one-Konstellation, also von Auge zu Auge mit dem Superstar, exklusiv. Und auch Federer ist in den letzten Jahren nie abgeneigt gewesen, die Basler Bühne als Plattform zu nutzen, um Ein- und Ansichten über Gott, die Welt und das Tennis zu verbreiten.

Wenn nicht alles täuscht, wird auch dieses Detail im grossen Bild des Federer-Gastspiels in seiner Heimat anders aussehen als zuvor. Anfragen zu Gesprächen mit ihm hat es zuhauf gegeben, deutlich mehr sogar als sonst. Doch die Presseabteilung der Spielerorganisation ATP kann die Bittstellungen nur sammeln und ordnen, aber nicht wirklich zu Terminen realisieren.

Ein Exklusivauftritt beim aus der St. Jakobshalle übertragenden SRF wird für Montagabend angekündigt (Sport Lounge, 22.25 Uhr Uhr), ansonsten lehnt Federers Management offenbar Interviewwünsche ziemlich kategorisch ab. Vermutlich hat der schwächelnde Ex-König des Wanderzirkus‘ nicht die grösste Lust auf ausgiebige Plauderrunden.

Die Suche nach dem versöhnlichen Erfolgsmoment

Wohl aber will Federers Lager auch den Eindruck noch verstärken, Federers Platz sei jetzt nicht im Salon, wo er seine schleichende Talfahrt erklären soll. Sondern auf dem Platz, dem Tennis-Platz. Die Konzentration gehört dem Wesentlichen, also dem Schluss-Spurt um die Teilnahme am ATP Tour Finale in London.

Mag sein, dass Federer das eigentliche Mitwirken beim Saisonhöhepunkt tatsächlich nicht mehr so reizt wie in vielen anderen Jahren seiner Traumkarriere. Doch das Ringen um diesen Startplatz hat hohen Symbolwert, weit über diese Herbsttage des Qualifikationsfights hinaus.

Federer, der sich gerade erst von seinem US-amerikanischen Trainer Paul Annacone getrennt hat, braucht dringend einen versöhnlichen Erfolgsmoment in einer Spielserie, die ihn erstmals jenseits der Dreissig in einer veritable Schaffenskrise gestürzt hat, in eine Periode des Umherreisens, in der es keine Sicherheiten und schon gar keine einfachen Siege mehr für ihn gibt.

Die Skeptiker haben bis hierhin recht behalten

Scheitert Federer, wäre es sogar noch ein dickes Ausrufezeichen hinter die Kalamitäten des Jahres 2013. Stabilisiert sich der 32-Jährige  soweit, dass er mitspielen und mitgewinnen kann in der Londoner 02-Arena, könnte das sogar der Anfang vom Ende der Beschwernisse sein. Federer fiele dann, mit Blick auf die Saison 2014, einiges leichter: die Plackerei im Fitnessraum, die mehrwöchige Trainingsarbeit. Und auch eine personelle Neuaufstellung.

Zunächst ist freilich zu konstatieren, dass jene Skeptiker recht behalten haben, die Federers Niederlage in Wimbledon gegen den Ukrainer Sergej Stachowski als Schadensereignis mit Langzeitwirkung eingestuft hatten. Federer hat sich danach nicht wirklich aufgerappelt, schon gar nicht zu annähernd alter Grösse, Stärke und Herrlichkeit.

Seine verkorkste Sommertour in Hamburg und Gstaad, auf Sandplätzen, mit einem Schläger-Testmodell, das er später wieder in die Ecke stellte, hinterliess eher noch mehr Kratzer am Lack. Nicht wenige Experten wollten damals sogar Züge einer Panikreaktion erkannt haben.

Mit den Niederlagen kommen die Zweifel

Federers Problem ist so schlicht wie gravierend, ein Teufelskreis, den sein Bewunderer Boris Becker unumwunden auf den Punkt gebracht hat: «Mit den Niederlagen kommen die Zweifel – und mit den Zweifeln kommen neue Niederlagen. Es ist schwer, sich aus diesem Wechselspiel zu befreien.» Beckers Nachsatz zu der Malaise: «Vor allem, wenn du, wie Roger, Niederlagen nicht gewöhnt bist.»

Ganz stimmte das zwar nicht, weil Federer natürlich Niederlagen kennt. Sie gehörten auch in besten Zeiten zu seinem Tagesgeschäft. Aber das waren Niederlagen in Finals oder Halbfinals, nicht in der zweiten Runde im All England Club. Oder im Achtelfinale von New York. Oder gar beim Auftaktspiel in Gstaad.

Die zersetzende Kraft solcher Fehlschläge, das weiss jeder Topspieler in der Branche, kommt von innen und aussen. Es gibt die eigenen bohrenden Fragen nach dem Warum und Wieso, aber es gibt eben auch die Jagdlust der Meute, deren Hatz auf einen Ausnahmekönner wie Federer so viele Jahre und so viele Male erfolglos geblieben ist.

«Du kannst fast körperlich sehen, wie alle anderen wachsen, während du selbst schrumpfst», sagt der Schwede Mats Wilander, selbst einmal die Nummer 1 der Tenniswelt. Man kann auch sagen: Plötzlich sind sie alle ins Gelingen gegen Federer verliebt – und nicht mehr schon mit einem achtbaren Scheitern zufrieden.

Basel ist der Platz, um Taten sprechen zu lassen

Federers Druck vor den Swiss Indoors, jenem Turnier, bei dem er einst als Balljunge zu den Stars aufschaute, ist beträchtlich. Gern wird gesagt, man dürfe ihn nicht abschreiben, schliesslich habe er schon oft die Kassandra-Rufer und Untergangspropheten mit starken Comebacks widerlegt.

Auch Federers scheidender Trainer Annacone, ein Mann, der wenig am spielerischen Profil des 32-jährigen veränderte, hält das erneut für möglich und bemüht eine Floskel: «Grösse vergeht nicht.». Doch Federer muss jetzt, mehr als je zuvor in seiner späten Karrierephase, neue Taten sprechen lassen. Kein anderer Ort als sein Heimturnier in Basel wäre geeigneter dazu.

Und jährlich kommt die Absage. Stolz hatte Roger Brennwald nach Bekanntgabe des Starterfelds erklärt: «Das diesjährige Feld ist nicht nur das stärkste seit Bestehen der neuen Tour, sondern auch in der Geschichte der Swiss Indoors überhaupt.» Doch am Freitag folgte die Absage des Top-Mannes: Rafael Nadal, Nummer 1 der Welt wird nicht nach Basel kommen.

Doch auch ohne den Spanier werden noch fünf Top-10-Spieler in der St. Jakobshalle erwartet: Juan Martin del Potro (Arg/ATP 5), Tomas Berdych (Tsch/6), die beiden Schweizer Roger Federer (7) und Stanislas Wawrinka (9) sowie der Franzose Richard Gasquet (10).

Am Samstag beginnt in der St. Jakobshalle die Qualifikation (ab 12.00 Uhr), um 14.00 Uhr wird im Foyer des Rathauses das Hauptfeld ausgelost, für das es am Montag um 13.30 Uhr losgeht und bei dem es um 1,988 Millionen Euro Preisgeld geht.

Offen ist nun, wer statt Nadal am sogenannten «Super Monday» um 18.30 Uhr spielen wird. Eine Stunde zuvor haben Udo Jürgens und das Pepe Lienhard Orchester ihren Showauftritt.

www.swissindoorsbasel.ch

Nächster Artikel