Roger Federer ringt Stan Wawrinka nieder

Das grossartige Comeback von Roger Federer geht weiter: Im Halbfinale der Australian Open gewinnt der Baselbieter das Schweizer Gipfeltreffen gegen Stan Wawrinka nach einem Kampf mit Höhen, Tiefen und Happy End im fünften Satz. Der Bericht und die Bilder aus der Rod-Laver-Arena in Melbourne vom 7:5, 6:3, 1:6, 4:6, 6:3-Sieg Federers.

Tennis - Australian Open - Melbourne Park, Melbourne, Australia - 26/1/17 Switzerland's Roger Federer celebrates winning his Men's singles semi-final match against Switzerland's Stan Wawrinka. REUTERS/Edgar Su

(Bild: REUTERS/Edgar Su)

Das grossartige Comeback von Roger Federer geht weiter: Im Halbfinale der Australian Open gewinnt der Baselbieter das Schweizer Gipfeltreffen gegen Stan Wawrinka nach einem Kampf mit Höhen, Tiefen und Happy End im fünften Satz. Der Bericht und die Bilder aus der Rod-Laver-Arena in Melbourne vom 7:5, 6:3, 1:6, 4:6, 6:3-Sieg Federers.

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Es war keine Tennisgala, welche die beiden Schweizer Stars am Nationalfeiertag «Australia Day» zeigten. Zu Beginn machten beide einen angespannten Eindruck und schienen sich sehr mit der Taktik gegen den so wohlbekannten Gegner und Freund zu beschäftigen.

Federer verschaffte sich als erster einen temporären Vorteil, konnte beim Stand von 2:1 jedoch drei Breakbälle hintereinander nicht nutzen. Im folgenden Game wehrte er dafür zwei Chancen Wawrinkas ab. Bei 5:6 und 30:30 unterliefen dem Waadtländer dann aber gleich zwei Rückhand-Fehler, die dem Baselbieter den ersten Satz einbrachten.

Im zweiten Durchgang gelang Federer das einzige Break zum 4:2, wieder dank eines untypischen Rückhand-Fehlers der Nummer 4 der Welt. Danach zertrümmerte Wawrinka sein Racket, vor allem aber bewegte er sich nicht mehr gut. Nach dem zweiten Satz liess er sich in der Garderobe pflegen und kehrte danach mit einem Verband unter dem rechten Knie zurück.

Nach dem zweiten Satz verlor Roger Federer zunächst komplett den Faden.

Es war dann aber erstaunlicherweise Federer, der den Faden zunächst völlig verlor. Beim 35-Jährigen passte plötzlich überhaupt nichts mehr zusammen. Vom 1:1 im dritten bis zum 0:1 im vierten verlor er sechs Games in Folge. Zwar holte er dieses Break nochmals auf, doch zum 4:5 gab er seinen Aufschlag ein weiteres Mal ab. Nach knapp zweieinhalb Stunden begann die Partie mit einem fünften Satz praktisch von Neuem.

Diesmal verliess Federer den Platz, um sich vom Physiotherapeuten pflegen zu lassen. Danach schlug er wieder besser – und schneller – auf. Die Entscheidung fiel schliesslich im fünften und sechsten Game des fünften Satzes. Erst vergab Wawrinka eine Breakchance zum 3:2 mit einem weiteren Rückhand-Fehler, anschliessend gab er selber seinen Aufschlag zum 2:4 ab – mit einem Doppelfehler.

Nach 3:04 Stunden liess sich Federer nicht mehr bitten. Mit einem Aufschlagspiel zu null zog er in den Final am Sonntag (gegen Rafael Nadal oder Grigor Dimitrov) ein. Im 22. Duell mit Wawrinka behielt er zum 19. Mal die Oberhand.

Federer vs. Wawrinka: Stand 19-3

Jahr

Turnier

Belag

Runde

Ergebnis

 

2017

Australian Open

Hartplatz

HF

7:5, 6:3, 1:6, 4:6, 6:3

2015

US Open

Hartplatz

HF

6:4, 6:3, 6:1

2015

French Open

Sand

VF

4:6, 3:6, 6:7 (4)

2015 Rom Sand HF 6:4, 6:2
2014 London, ATP-Final Hartplatz HF 4:6, 7:5, 7:6 (6)

2014

Wimbledon

Gras

VF

3:6, 7:6 (5),6:4, 6:4

2014 Monte Carlo Sand Final 6:4, 6:7 (5), 2:6
2013 Indian Wells Hartplatz 1/8 6:3, 6:7 (4), 7:5
2012 Schanghai Hartplatz 1/8 4:6, 7:6 (4), 6:0
2012 Cincinnati Hartplatz HF 7:6 (4), 6:3
2011 Basel, Swiss Indoors Hartplatz HF 7:6 (5), 6:2

2011

French Open

Sand

1/8

6:3, 6:2, 7:5

2011 Indian Wells Hartplatz VF 6:3, 6:4

2011

Australian Open

Hartplatz

VF

6:1, 6:3, 6:3

2010 Stockholm Hartplatz VF 2:6, 6:3, 6:2

2010

French Open

Sand

1/8

6:3, 7:6 (5), 6:2

2010 Madrid Sand 1/8 6:3, 6:1
2010 Montreal Hartplatz 1/8 6:3, 7:6 (5)
2009 Monte Carlo Sand 1/8 4:6, 5:7
2006 Dubai Hartplatz 1/16 7:6 (3), 6:3
2005 Rotterdam Hartplatz 1/8 6:1, 6:4
HF = Halbfinal, VF = Viertelfinal | fett: Grand Slam

Die Stärken und Schwächen der beiden Spieler kamen auch in der 22. Begegnung deutlich zum Ausdruck. Die Analyse von unserem Tennisexperten Jörg Allmeroth vor der Partie:

Roger Federer Stan Wawrinka

Stärken

Federer ist der Mann, der eigentlich alles kann. Gegen den Deutschen Mischa Zverev, den Überraschungsspieler dieser Australian Open, zeigte er idealtypisch das ganze Repertoire seines Könnens – sowohl als stürmischer Attackierer wie auch als Kontrolleur aus der Defensive. Ein ums andere Mal punktete der 35-Jährige am Netz und mit seinen präzisen Turbo-Passierbällen. Federer hat den Vorteil, dass er sich immer auch von Instinkt und Intuition leiten lassen kann, er spielt halt nicht nur mit strategischer Klasse, sondern auch unterbewusst meistens richtig. Jahrelang galt Wawrinka als Weltmeister der verpassten Möglichkeiten. Als einer, der in entscheidenden Momenten nicht die zupackende Attitüde der absoluten Elitespieler hatte. Doch die Ära des Chancentods ist vorbei, drei Grand-Slam-Titel in den drei zurückliegenden drei Spielzeiten sind ein unwiderlegbarer Beweis. Wawrinka kann sich steigern auf der Zielgeraden eines Grand Slams, besonders mit der Wucht seiner Schläge, einer unvergleichlichen Power und Dynamik. Spielt er in den Grenzbereichen, am Limit, ist ihm kaum beizukommen. Er ist im Moment Turnierfavorit Nummer 1. Und er hat die unwiderstehlichste Rückhand der Branche, eine Wunderwaffe mitunter.

Schwächen

Federer jagt seit dem Siegeszug bei den Championships in Wimbledon im Jahr 2012 vergeblich einem Grand-Slam-Titel nach – das führte in den letzten Jahren zuweilen zu einer mentalen Verkrampftheit in den Topmatches. Dazu, dass er nicht wie gewohnt der Meister der Big Points war, der Herrscher in der Hitze des Gefechts. In der Vorsaison liess ihn sein Körper wie nie zuvor in seiner Karriere im Stich. Bisher brilliert er als fitter Fighter bei seinem Comeback, aber gegen Stan Wawrinka dürfte er physisch enorm herausgefordert werden. Ist er schon reif für diese Belastungsprobe, im inzwischen sechsten Melbourne-Match? Wawrinka ist – bei aller hinzugewonnenen Reife – kein Konstanz-Champion. Er ist eher der Mann für gewisse Stunden bei gewissen Turnieren. Welches Turnier das dann jeweils ist, weiss auch Wawrinka nicht so genau. Oft folgten Grand-Slam-Höhenflügen ernüchternde Alltagsreisen im Wanderzirkus, das ist alles in allem auch der Grund, warum er bisher noch keinen Angriff auf den Gipfelplatz der Weltrangliste lancieren konnte. Er sagt selbst von sich, er solle nicht mit Spielern wie Federer, Murray, Nadal oder Djokovic verglichen werden. Fühlt sich an der Grundlinie wohler als am Netz. Und ist mit der Rückhand deutlich zielgenauer und punktestärker als mit der Vorhand.

Psyche

Federer hatte über viele Jahre ein automatisches Plus gegen Wawrinka, dem er in jungen Jahren als Tennis-Flüsterer beigestanden hatte. Der Baselbieter hat per se eine grössere Ausstrahlung als der freundschaftliche Rivale auf der anderen Seite des Netzes, aber neuerdings kann er sich keineswegs mehr darauf verlassen, dass Wawrinka vor ihm in Ehrfurcht erstarrt. Aufgetankt fürs Ego hat Federer gleichwohl, eigene Zweifel, wie es nach der langen Zwangspause weitergehen würde, hat er in Melbourne kräftig beiseite geräumt. Federer war für Wawrinka in den Anfangszeiten der eigenen Karriere so etwas wie ein Nebencoach, ein Tennisflüsterer der prominenten Sorte. Gegen den Älteren, den Spieler mit der grössten Aura sowieso, hatte der Romand lange Zeit Beklemmungen – er wirkte blockiert gegen das Idol, den väterlichen Weggefährten. Im persönlichen Vergleich liegt Wawrinka immer noch mit 3:18 im Hintertreffen, diese Kopf-zu-Kopf-Bilanz scheint eine klare Sprache zu sprechen. Doch Wawrinka hat sich mittlerweile von King Roger emanzipiert, ist ein unabhängiger, frei schwebender Weltklassespieler geworden.

Form

Federer wehrt sich zwar gegen die Behauptung, ihm sei eine Traumauslosung für diese Grand-Slam-Festivitäten beschert worden. Aber in der Australian-Open-Lotterie zog er keineswegs eine Niete. Gegen Melzer und Rubin spielte er sich in den Auftaktrunden warm und frei (Platz 300 & 200 der Rangliste). Mit Rückenwind und neuem Selbstbewusstsein nahm er anschliessend die Hürden in Gestalt zweier Top-Ten-Rivalen, Berdych und Nishikori. Eine Machtdemonstration und Kampfansage war schliesslich der Auftritt gegen Zverev. Federer geht in Topverfassung in das Schweizer Duell. Für Wawrinka lief das Turnier so, wie es bisher bei vielen seiner ganz grossen Erfolge verlief. In der Auftaktrunde strauchelte der 31-Jährige gegen den Slowenen Martin Klizan, er wankte beträchtlich, aber er fiel nicht. Danach liess der Weltranglisten-Vierte kaum noch etwas anbrennen, er bewährte sich beispielsweise auch kühl in drei Tiebreak-Sätzen gegen den Südtiroler Andreas Seppi. Ähnlich wie Federer gegen Zverev lieferte Wawrinka sein bestes Match im Viertelfinale ab, gegen Frankreichs Star Jo-Wilfried Tsonga. Wawrinka ist gerüstet für den Schweizer Showdown, daran kann nicht der geringste Zweifel bestehen.

Publikum

Schon vor dem ersten Ballwechsel in Melbourne hatte Federer gesagt, er vermisse nichts so sehr wie die grossen Matches bei den grossen Turnieren – diese besonders prickelnde Atmosphäre. Und wie wiederbelebt wirkte er dann auch gleich bei seiner Comeback-Mission, er, der umjubelte, verehrte Altmeister. Schon nach dem Auftaktmatch feierten ihn die Australier wie einen Turniersieger, Federer wirkte da mehr als gerührt. Er dürfte auch im Match gegen Wawrinka die klaren Sympathievorteile haben, eigentlich so wie überall und immer. Wawrinka weiss, dass er nicht nur gegen Federer anspielen muss, sondern auch gegen die Hoffnungen des Centre-Court-Publikums, eine sentimentale Titelmission des alten Meisters miterleben zu können. Es wäre schön, scherzte Wawrinka, wenn wenigstens ein paar Fans ihm ausreichend Applaus spenden würden. Andererseits: Aus dieser gefühlten Einer-gegen-alle-Situation könnte Wawrinka auch trotzige Kraft schöpfen. Man denke nur an seine Auftritte beim Davis-Cup-Finale 2015 in Lille.

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