Nach Unkenrufen über einen Startverzicht straft Roger Federer in der ersten Runde von Brisbane alle Gerüchte Lügen. In nicht mal einer Stunde schlägt er den Deutschen Tobias Kamke mit 6:2 und 6:1.
Roger Federer hat sie einmal die «silly season» genannt, die törichte Zeit. Er meint damit die Zeit vor einem Turnier; eine Zeit voller Gerüchte, Vermutungen und Spekulationen, unter die sich manchmal auch echte Tatarenmeldungen, sprich bewusst verbreitete falsche Meldungen, mischen. Vor einem neuen Tennisjahr kann das alles noch schlimmer sein, ins Extreme verstärkt, angefüllt mit diversen möglichen Hiobsbotschaften.
Federer ist zum Glück ein alter und trotzdem junggebliebener Hase, der solche Nachrichtenexzesse erst gar nicht an sich heranlässt. Er ignoriert sie schlicht, so wie auch in diesen Tagen beim Saisonstart in Brisbane. Noch am Mittwochabend wurden australische Blätter nicht müde, das Turnier an der Ostküste des Fünften Kontinents angesichts eines eventuellen Startverzichts des Eidgenossen ins Chaos stürzen zu sehen. Der Anlass für die wilden Spekulationen: Federer habe eine Trainingssession nach 30 Minuten abgebrochen. Und laut Aussagen von Spielerkollegen einen Arzt aufgesucht.
Alles in allem viel heisse Luft, viel Übertreibung, viel Konjunktiv. Dem setzte Federer dann mit einer beinahe lustig-souveränen Vorstellung einen dicken Imperativ entgegen: seinen makellosen 6:2, 6:1-Sieg gegen den Deutschen Tobias Kamke. In der digitalen Welt des Internets, wo sonst die dunkelsten und abwegigsten Thesen zu Federer verbreitet werden, schwärmten Fans, Experten und Newskanäle hinterher über den Maestro, den alterslosen Ästheten. Über den Mann, der Poesie in Bewegung sei.
Gewohntes Bild: Roger Federer nach seinem Sieg. (Bild: TERTIUS PICKARD)
«Ich bin glücklich über diesen Start», sagte Federer nach der 55-minütigen Kurzarbeit. Dann parlierte er entspannt über die Weihnachtsfeierlichkeiten mit der Familie: «Ich brauche ja keine grossen Geschenke, ich habe ja schon vieles.» Im Viertelfinale dürfte er mehr gefordert werden. Gegner Grigor Dimitrov wird in Fachkreisen gern als «Baby Fed» bezeichnet. Doch in den drei bisherigen Begegnungen mit dem Ex-Freund von Maria Scharapowa gab Federer noch keinen Satz ab.
Olympia-Turnier im August
In Brisbane, wo er im letzten Jahr mit dem Titel auch seinen 1000. Karriereerfolg zelebrieren durfte, kam Federer auf jeden Fall sofort prächtig in Schwung – in der ersten Stunde einer Saison, die ihm genau so wie allen anderen Spitzenleuten der Branche Erhebliches abverlangen wird. Denn neben den üblichen Verpflichtungen steht im zweiten Halbjahr auch das Olympia-Turnier in Rio auf dem Programm. Dafür hat Federer einige gewohnte Stationen gestrichen, aber ihm steht im Jahr, in dem er seinen 35. Geburtstag feiert, immer noch eine höchst anspruchsvolle Tour bevor.
Dass er nun schon in den Mittdreissigern steht und beinahe 20 Tennisjahre auf dem Buckel hat (es ist aktuell die 19. Profisaison), sieht man diesem Federer einfach nicht an. Auch nicht in diesem Eröffnungsspiel der Spielzeit 2016 gegen das deutsche Nordlicht Kamke. Einen Mann, der, wenn er einmal ins Rollen kommt, durchaus gefährlich werden kann.
Doch Federer, in dessen Spielerbox erstmals sein neuer kroatischer Coach Ivan Ljubicic Platz genommen hatte, liess keinen ernsthaften Widerstand zu. Er musste nur einen einzigen Breakball Kamkes abwehren und nahm dem Rivalen seinerseits gleich vier Mal den Service ab. Früh schon resignierte Kamke gegen den überlegenen Federer, der nun wiederum als Titelkandidat Nummer 1 in Brisbane gelten darf. «Ich werde vor allem versuchen, verletzungsfrei zu bleiben. Und so in Schlagdistanz zu einem Grand-Slam-Titel zu kommen», sagte Federer nach seinem Sieg.