Roy Hodgson: Das sichere Paar Hände

Nicht der massenkompatible Harry Redknapp, sondern der intellektuelle Roy Hodgson, einst Schweizer Nationalcoach, wird die «Three Lions», Englands Auswahl übernehmen.

Der Denker als Vormann Englands: Roy Hodgson, von 1992 bis ‘95 Schweizer Nationalcoach und einst Clubtrainer bei Xamax und GC. (Bild: Reuters/PHIL NOBLE)

Nicht der massenkompatible Harry Redknapp, sondern der intellektuelle Roy Hodgson, einst Schweizer Nationalcoach, wird die «Three Lions», Englands Auswahl übernehmen.

Die 25‘984 Zuschauer im Hawthorns-Stadion hatten das müde 0:0 zwischen West Bromwich Albion und Aston Villa am Samstag mit dem Abpfiff schon wieder vergessen. Doch für einen Beteiligten wurde das torlose Unentschieden zum wichtigsten Ergebnis seiner Karriere. Der Punktgewinn hatte den Verbleib von Roy Hodgsons West Brom (Platz zehn, 46 Zähler) in der Premier League endgültig gesichert und somit den Weg für einen Anruf von Verbandschef David Bernstein frei gemacht.

Am Sonntag bat Bernstein den Verein um die Erlaubnis, mit dem 64-jährigen Hodgson als Nachfolger für Nationalcoach Fabio Capello zu verhandeln. Eine Einigung ist Formsache. «Roy ist der einzige Trainer, an den wir heran getreten sind», liess Bernstein verlauten.

Hodgson galt schon unmittelbar nach dem enttäuschenden WM-Aus der Engländer in Südafrika im Juni 2010 als aussichtsreichster Kandidat für das Amt. Aber die Football Association hielt an Capello fest und Hodgson wurde Coach beim FC Liverpool, wo er nach sechs desaströsen Monaten entlassen wurde. Nun erfüllt sich für den früheren Nationaltrainer der Schweiz (1992 bis ‘95, davor Trainer von Xamax, danach bei GC), der Vereinigten Arabischen Emirate und Finnlands der grösste Traum: er wird England zum EM-Turnier nach Polen und die Ukraine führen.

Mit einem Horizont über die Kabine hinaus

Die internationale Erfahrung spricht auf jeden Fall für den Sohn eines Busfahrers aus Croydon, im Süden Londons. Hodgson arbeitete erfolgreich mit skandinavischen Vereinen und führte Inter in den Uefa-Cupfinal. Er sass  in mehreren technischen Kommissionen der Uefa und Fifa, spricht fünf Sprachen, ist ein akribischer Taktiker und hat als Literaturliebhaber einen Horizont, der weit über die Kabinentür hinaus geht.

Der Verband verspricht sich von ihm nicht nur die erfolgreiche Betreuung der Nationalmannschaft, sondern die Mitwirkung an einer weitreichenden Strukturreform. Hodgson wohnt ganz in der Nähe des neuen FA-Elite-Zentrums St. George’s Park in Burnton on Trent, wo demnächst Jugendmannschaften und Trainer ausgebildet werden.

Seine vertragliche Situation bei West Brom kam dem finanziell klammen Verband ebenfalls entgegen: Hodgsons Arbeitspapiere laufen diesen Sommer aus. Wirklich überraschend ist die Personalie eigentlich nur, weil seit Monaten Harry Redknapp als designierter Boss der «Three Lions» fest zu stehen schien.

Redknapps Gegner im Verband

Der Trainer von Tottenham Hotspur ist dank seiner jovialen Art der Liebling der Medien und Massen, doch im Verband hatte er mit Nachwuchskoordinator Sir Trevor Brooking, dem früheren Nationalspieler, einen einflussreichen Gegner. Eine Ausstiegsklausel, die Tottenham vor Ablauf seines Vertrages (bis 2013) zehn Millionen Pfund Ablöse beschert hätte, schreckte die FA ebenfalls  ab.

Da die Spurs bis Ende der Spielzeit – und dank Chelseas Finalteilnahme in München vielleicht auch darüberhinaus – um die Champions-League-Qualifikation bangen müssen, konnte Bernstein zudem nicht in Ruhe mit ihm verhandeln. «Ich bin heute in bester Laune aufgestanden und wünsche Roy alles Gute», sagte Redknapp nach der indirekten Absage am Montag. Insgeheim dürfte für ihn eine Welt zusammen gebrochen sein.

Die Reaktionen der englischen Zeitungen fielen bis auf wenige Ausnahmen relativ gemässigt aus. In der «Daily Mail» beschrieb Redknapp-Sympathisant Martin Samuel Hodgson als «billigen Mann des Mittelmasses» der bestimmt „hervorragende technische Berichte“ verfasse, der Verband habe «versagt». «Hodgsons Titel in Dänemark und Schweden sind nicht wirklich die passenden  Empfehlungen für eine der grössten Aufgaben im Fussball», schrieb die «Times», «das Amt sollte an einen jüngeren Mann gehen, der Energie, Visionen und Ideen für die Ausbildung von Spielern hat.»

Hodgsons technokratisches Regime

Für den «Daily Telegraph»  ist Hodgson dagegen ein «sicheres Paar Hände» und ein «grosser, intelligenter Denker, der Mannschaften organisieren kann.» Das seriöse Blatt erinnerte allerdings auch an Hodgsons Dünnhäutigkeit im Liverpool-Amt und riet ihm, sich gegenüber der Presse klarer auszudrücken –  «er  muss lernen, ohne lange Sätzen auszukommen.»

Entscheidend wird, wie die Nationalspieler auf seinen Trainingsstil reagieren. Viele hatten sich in den vergangenen Monaten via Twitter für den kumpelhaften Motivator Redknapp ausgesprochen; Hodgsons eher trockenes, technokratisches Regime und die um defensive Stabilität bemühte Ausrichtung kam schon bei den Stars in Liverpool nicht gut an. Vielleicht reflektiert die interessante Wahl aber auch nur eine neue, realistischere Sicht der Dinge im Verband. Als Spezialist für eher kleinere Fussballwelten ist Hodgson momentan richtig am Platz.

Das Derby aller Derbys

Drei Punkte trennen Manchester City und Manchester United nur noch, wenn sie heute, Montagabend in der drittletzten Runde der Premier League im Etihad Stadium aufeinandertreffen. Für ManU-Trainer Alex Ferguson nichts weniger als das «Derby aller Derbys». 28 Spieltage führte das von Scheichs finanzierte City die Tabelle an, geriet acht Zähler in Rückstand und hat nun mit dem Rückenwind der jüngsten Ergebnisse – 4:0 gegen West Brom, 6:1 in Norwich, 2:0 in Wolverhampton mit neun Toren von Sergio Agüero und Carlos Tévez – doch noch einmal die Chance, die lang gehegte Titelsehnsucht zu erfüllen. cok/rho

 

 

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