Über zwei Jahre ist es her, seit Christian Gross beim FC Basel unfreiwillig seinen Spind räumen musste. Am Samstag, 19. November um 17.45 Uhr kehrt der 57-Jährige erstmals seit jenem Mai 2009 zurück in den St.-Jakob-Park. Den Kontakt zum FCB hat er seit seinem Abgang weitgehend abbrechen lassen.
Christian Gross ist kein Mann, der sich gerne einholen lässt. Lieber geht er voraus. Unbeugsam, pragmatisch, einsam, wenn es denn sein muss. Das ist zumindest das Bild, das er gerne von sich vermittelt. So hat er den FC Basel verlassen, damals im Mai 2009, der für ihn alles war, bloss kein Wonnemonat. «Tougher Than the Rest» von Bruce Springsteen dröhnte durch den St.-Jakob-Park, als Gross nach zehn Jahren FCB ging. Gehen musste, weil am Ende alles irgendwie nur noch verkorkst war, freudlos und verbittert wie in einer erloschenen Liebschaft.
Den FCB hat er seither hinter sich gelassen, die Kontakte weitgehend abgebrochen. «Zwei bis drei SMS» habe es seit seinem Abgang zwischen ihm und Bernhard Heusler gegeben, dem designierten Präsidenten des FCB. «Mehr nicht», sagt er. Kein Austausch mehr mit Ruedi Zbinden, der ihm einst als Chefscout lange eine wichtige Ansprechperson gewesen war. Keine Spieler, die sich nach dem Ergehen erkundigen oder zu einem neuen Job gratulieren. Und den St.-Jakob-Park, den er einst zu einer Festung ausgebaut hatte, in den die meisten Schweizer Teams bloss mit der Hoffnung kamen, nicht all zu hoch zu verlieren, den hat er seither nicht mehr besucht: «Es hat sich nicht ergeben.»
An diesem Samstag aber wird es sich ergeben. Christian Gross muss wieder ins Joggeli kommen.Und er tut es ausgerechnet als Trainer jener Young Boys, die ihm damals bei seinem Abschiedsspiel in Basel noch eine demütigende 0:3-Niederlage beibrachten. Er wird den umgekehrten Weg gehen, auf dem er damals so abrupt vom Feld gestapft ist, als alle eine Ehrenrunde und wenigstens ein paar Tränen erwartet hatten. Durch dieselbe Senftube, die damals einfach nur unpassend für einen solchen Moment war.
Grösstmögliche Distanz
Der FCB hat Gross eingeholt. Zumindest für ein paar Tage. Am Donnerstag schon muss er im Berner Stade de Suisse von Loge neun in die weit grössere Presidents Lounge wechseln, weil so viele Journalisten zur Pressekonferenz gekommen sind. Doch auch in der Öffentlichkeitsarbeit versucht Gross, die grösstmögliche Distanz zu Basel zu wahren. Basler Anfragen für Einzelinterviews hat er konsequent abgelehnt, seit er bei den Young Boys unter Vertrag steht. «Tagesanzeiger» und «NZZ» dagegen erhalten seine Zeit.
Nicht falsch verstehen: Das ist sein gutes Recht. Aber es deutet eben auch darauf hin, dass eben doch ist, was Gross öffentlich nicht zugestehen mag. Zwischen ihm und dem FCB geht es auf beiden Seiten um verletzte Gefühle, Rachegedanken, viele unausgesprochene Vorwürfe, zu viele Dinge, die kaputt gegangen sind, ohne dass im Nachhinein noch einmal darüber gesprochen worden wäre.
Vor dem Hinspiel in Bern im Juli gab es FCB-Spieler, die nur so darauf brannten, ihrem ehemaligen Trainer eins auszuwischen. Und Gross selbst wirkte nach jenem 1:1 angefressener, als das bei einem Unentschieden gegen den amtierenden Meister zum Saisonauftakt nötig schien.
Und jetzt also die Reise nach Basel. Vor der sagt Gross: «Ich habe keine Probleme mit niemandem.» Oder: «Entlassungen gehören zum Geschäft. Nicht nur im Fussball, sondern auch da draussen.» Er deutet dabei über den Plastikrasen des Stade de Suisse, als ob ihm eben bewusst geworden wäre, dass er in einer Art Kunstwelt zuhause ist, die mit dem Leben der anderen Menschen da draussen meist herzlich wenig zu tun hat.
Transferpolitik via Medien
Aber in dieser seiner Welt, die Fussball heisst, kennt sich Gross aus. Da bestimmt er gerne auch mal die Regeln. Und er weiss, was er sagen muss, um bestimmte Reaktionen auszulösen. In Basel machte er wenn nötig Transferpolitik via Medien. Und das tut er auch jetzt, in Bern. Einmal, zweimal, vielmal betont er den Unterschied zwischen seinen Stürmern und jenen des FCB.
«Erfahrung» lautet das Stichwort, Erfahrung, die Alex Frei (32) und Marco Streller (30) besitzen. Emmanuel Mayuka (ab 21. November 21) und Nassim Ben Khalifa (19) dagegen eben nicht. Gross sagt es nicht direkt, so plump ist er nicht. Er spricht von grossen Talenten «mit einer fantastischen Zukunft.» Dann blickt er in die Runde, um nachzuprüfen, ob auch alle die Botschaft verstanden haben, die da lautet: YB hat vorne einfach zu viele Young Boys, um Erfolg zu haben.
Erfolg aber ist es, worüber sich Gross definiert. Und Erfolg ist auch, was in Bern von ihm erwartet wird. Seit 1987 wartet der Club jetzt schon auf einen Titel, nun soll mit dem Warten bald Schluss sein. Als er nach Basel gekommen sei, habe dieselbe Sehnsucht geherrscht, sagt Gross. Aber damals, 1999, startete er im Stadionprovisorium Schützenmatte. Da war der Basler Fan schon dankbar, wenn sich der FCB souverän für die damalige Finalrunde qualifizierte.
In Bern aber will das Stade de Suisse sofort gefüllt sein – und die Fans fordern nicht nur Siege sondern auch noch Unterhaltung. Und die hat das bislang eher rustikale Spiel unter Gross nicht in jenem Masse geboten, die sich der kritische Sportkonsument in der Hauptstadt wünschte.
Schwelender Machtkampf?
Aber das scheint nicht die einzige Baustelle zu sein. In Basel arbeitete Gross kontinuierlich daran, Kompetenzen und Macht an sich zu ziehen. Einen starken Mann neben sich, den konnte es nie lange geben. Dasselbe scheint nun auch in Bern zu geschehen. Insider erzählen bereits von einem schwelenden Machtkampf zwischen Gross und CEO Ilja Känzig – mit klaren Vorteilen für den Trainer.
Auf dem Feld sollten sich die Young Boys am Samstag besser geschlossen präsentieren. Denn eine Niederlage in Basel können sie sich eigentlich nicht leisten. Neun Punkte wären sie sonst bereits hinter den Baslern, denen Gross eine «gute Mischung im Team» attestiert.
Ein wenig scheint es ihn zu irritieren, dass in Basel alles einfach weiter gegangen ist, seit er weg ist. Dass weiter Titel gewonnen und grosse Teams in der Champions League geärgert werden. Und vor allem, dass darob vergessen geht, wer den Anfang gemacht hat. Er nämlich. Und weil sonst kein anderer gewillt scheint, es zu sagen, stellt er vor dem Spiel in Basel einfach selbst fest: «Kein Club, den ich verlassen habe, war am Boden. Ich habe überall ein sehr gutes Fundament hinterlassen.»
Nur hat der FC Basel seit 2009 gezeigt, dass er auf dieser geschaffenen Basis auch ohne Christian Gross funktioniert. Christian Gross dagegen arbeitet noch am Beweis, dass er auch in seiner Zeit nach dem FCB Titel gewinnen kann.