Timo Hildebrand wird mit seinem Malheur in die Geschichte dieser Champions-League-Saison eingehen. Dabei hatte Schalke 04 in der Gruppe des FC Basel bei der 0:3-Niederlage gegen Chelsea gar keinen so schlechten Abend in London erwischt.
Professor Dr. Martin Lames von der Technischen Universität München und sein Team haben nach der Analyse von 2500 Toren errechnet, dass knapp die Hälfte aller Treffer im Fussball rein zufällig fallen. Die mathematisch belegbare Rolle des Glücks ist für alle Beteiligten nicht leicht zu akzeptieren, da sie einen Grossteil der Anstrengungen auf dem Platz vergeblich erscheinen lässt. Doch auch der Zufall folgt einer gewissen Logik.
Glückliche Tore kämen besonders häufig beim Stande von 0:0 vor, erklärt Lames, in dem englischen Buch «The Numbers Game» (Chris Anderson, David Sally). «Zu diesem Zeitpunkt spielen die Teams, wie es ihren Systemen entspricht», erklärt der Professor für Trainingswissenschaften und Sportinformatik, «etwas zufälliges muss passieren, damit ein Tor fällt.»
Der FC Schalke 04 spielte am Mittwochabend an der Stamford Bridge 30 Minuten lang nicht nur seinem System entsprechend, sondern auch richtig überzeugend. Angeführt vom beeindruckenden Julian Draxler, der den Gastgebern mit rasanten Vorstössen und präzisen Grätschen zusetzte, wirkten die Gäste bestens organisiert, überaus präsent und gefährlich.
Chelsea war nach der 0:2-Niederlage gegen Newcastle United am vergangenen Samstag die Verunsicherung anzumerken. Drei Torschüsse von Draxler, Adam Szalai und Christian Fuchs verfehlten nur knapp den Kasten von Petr Cech.
Ein Malheur ohne Ankündigung
Doch dann ereignete sich ohne jede Ankündigung ein Malheur, das Timo Hildebrand später nicht wirklich erklären konnte, und so beschrieb: «Ich habe relativ viel Zeit, schaue hoch, kann keinen anspielen, dann gehe ich zum Ball, gucke nochmal hoch, dann kommt Eto’o. Ich konnte den Ball nicht direkt wegschlagen, lege ihn mir nochmal vor. Und dann war es zu spät».
Vom rechten Schienbein des Kameruners prallte der Ball zum 1:0 ins Tor, danach nahm das Match exakt die aus der königsblauen Perspektive befürchtete Wendung. Die englischen Fans verhöhnten Hildebrand genüsslich, bei Schalke schwand der Glaube, Chelsea verlegte sich ganz auf energiesparsames Kontern. Am Ende stand das gleiche ernüchternde Ergebnis wie beim Hinspiel: 0:3.
Komplettiert wurde der misslungene Insel-Ausflug durch Verletzungen von Draxler (Schienbein) und Kevin-Prince Boateng, der einen Schlag auf dass linke Problemknie abbekam. Beide sind für das Heimspiel gegen Bremen fraglich.
Für Mourinho ist das kuriose Tor Teil sorgfältiger Planung
«Shit happens», habe der Chelsea-Trainer José Mourinho ihm beim kurzen Plausch nach dem Schlusspfiff tröstend gesagt, erzählte Hildebrand. Der 34-Jährige hatte sich bei den Kollegen für den Aussetzer entschuldigt, stellte sich hinterher aber äusserst selbstbewusst den Reportern. «Ich kann damit leben, wenn jetzt eine Torwartdiskussion ausgerufen wird. Ihr dürft mich gerne ein paar Tage niederschreiben», sagte er.
Für den überzeugten Technokraten Mourinho hatte die entscheidende Szene naturgemäss wenig mit Glück zu tun, dafür aber mit sorgfältiger Planung. «Ich kannte den Torhüter aus seiner Zeit in Spanien und Portugal», sagte der 50-Jährige ungerührt, «wir wussten auch, dass Schalke im Spielaufbau hinten sehr langsam ist.»
Eto’o bestätigte, dass ihn sein Coach immer wieder zur Attacke auf den Keeper gedrängt hatte. Das sei ein «fox goal» gewesen, freute sich Mourinho über die aufgegangene List. Das Tor eines listigen Fuchses war in gewisser Hinsicht ja auch der zweite Treffer des Stürmers der Blues: Christian Fuchs kam nach einem Ballverlust des kraftlos wirkenden Kevin-Prince Boateng gegen Willian zu spät (54.). Beim dritten Tor (Demba Ba, 83.) stimmte zwischen Höwedes und Aogo die Abstimmung nicht.
Schalke muss sich vorhalten lassen, sich nicht weiter zu entwickeln
«Es sind immer wieder Nuancen, wir machen die Fehler und vorne die Tore halt nicht», sagte Horst Held. Der Schalker Sportdirektor muss seit Monaten über die gleichen, wiederkehrenden Defizite des Teams von Jens Kellers referieren, an der Fulham Road fiel sein Fazit ob der relativ günstigen Umstände – Schalke hat in der Gruppe des FC Basel weiter gute Aussichten auf das Achtelfinale – recht milde aus. Man sei eben «nicht auf Augenhöhe mit dem FC Chelsea» oder ähnlichen Teams, sagte er, «das haben wir aber schon vorher gewusst.»
Der Verein, das war die betrüblichste Erkenntnis des nasskalten Abends, hat sich in dieser Saison an die hohe Fehlerfrequenz und Anfälligkeit für Unglück aller Art längst gewöhnt. Gegen die besseren Gegner verliert man, die schwächeren kann man schlagen, und die mal mehr, mal weniger zufällig zustanden Ergebnisse verstellen ein wenig den Blick auf das Wesentliche.
Seit Huub Stevens‘ Elf vor knapp einem Jahr den FC Arsenal 2:0 auf der Insel besiegte und die Hoffnung nährte, zum dritten Bundesligateam von europäischem Format erwachsen zu können, hat sich die Mannschaft kontinuierlich zurück entwickelt. Warum das Team ein vergleichbares Leistungsniveau nicht mehr erreicht, wollte Heldt nicht diskutieren; ihm war die Frage «zu doof».
Es sei zwar «legitim, so zu denken» fügte er hinzu, «aber bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich das nicht beantworte.» Vielleicht müssten dies demnächst einmal andere Instanzen im Verein klären.