Schlag für Schlag auf Fehlersuche

Sie sitzen weit oben, grad unter dem Dach der St. Jakobshalle, und ein klein wenig beeinflussen sie mit, wie in den Medien über die Tennismatches berichtet wird: Die Männer und Frauen, die an den Swiss Indoors die Matches Punkt für Punkt statistisch erfassen.

Statistiker Alain bei der Arbeit. (Bild: Dominik Plüss)

Sie sitzen weit oben, grad unter dem Dach der St. Jakobshalle, und ein klein wenig beeinflussen sie mit, wie in den Medien über die Tennismatches berichtet wird: Die Männer und Frauen, die an den Swiss Indoors die Matches Punkt für Punkt statistisch erfassen.

Ein Schiedsrichter. Neun Linienrichter. Sechs Ballkinder. Zwei Security-Männer – es befindet sich ordentlich viel Personal auf dem Platz, damit die zwei Hauptpersonen ihren Beruf ausüben können. Und es braucht für jeden einzelnen Tennismatch noch einmal fast ebensoviele Personen, die im Hintergrund arbeiten.

Swiss Indoors 2012
Das Tableau

Federer gegen Bellucci
Roger Federer trifft am Mittwoch (nicht vor 18.00 Uhr) im Achtelfinal auf Thomasz Bellucci. Der Brasilianer stand Dienstag bis eine halbe Stunde nach Mitternacht in der St. Jakobshalle, ehe er den Japaner Go Soeda nach 128 Minuten Spielzeit mit 6:4, 4:6 und 6:3 in die Knie gezwungen hatte.
Der Spielplan für Mittwoch

Wir wollen gar nicht zurückgehen bis zu den Leuten, die die Plätze verlegt und gespritzt haben, oder den Beleuchtern und den Tontechnikern, aber ein wenig vordergründig bis ganz und gar hintergründig arbeiten da noch die Oberschiedsrichter, ferner die Männer und Frauen, die Bälle, Getränke und Frotteetücher bereitstellen, das Hawk Eye-Team, der Review Official, also die Verbindungsperson zwischen Stuhlschiedsrichter und dem Hawk Eye-Team.

Und weit über allen – und das ist nur wörtlich zu verstehen – arbeiten noch zwei Männer und zwei Frauen, denen in der ganzen Turnierwoche kein Ballwechsel entgehen darf. Die Leute der scharf beobachteten Spielzüge heissen nicht umsonst «Scouts»; und «weit über allen» sind sie deshalb, weil sie ihren Arbeitsplatz im sogenannten Adlerhorst oben haben, jenem Balkon, der unter dem Dach der St. Jakobshalle hängt. Dort ist der Arbeitsplatz der Statistikerinnen und Statistiker; sie sind allesamt selbst Tennisspieler, mehr noch: Tennis-Enthusiasten.

Flinker Geist

Lukas Schmidt ist einer von ihnen; im richtigen Leben studiert er vor allem Medizin und unterrichtet er gelegentlich Tennis. Obwohl erst 23-jährig, ist er als Statistiker ein Routinier; an den Indoors ist er bereits zum siebten mal dabei. Die Hardware, die ihm zur Verfügung steht, ist schnell beschrieben: Ein Computer, auf dem Bildschirm die Namen der beiden Spieler, dann die Rubriken «Asse», «Doppelfehler», «Service-Winner», darunter die Rubriken «Vorhand», «Rückhand», «Netz» mit der jeweiligen Möglichkeit «Winner», «erzwungener Fehler», «unerzwungener Fehler», schliesslich die Taste «send» und ein Finger, der die Maus bedient.

Der Finger braucht nicht besonders flink zu sein; der Geist schon eher. Man muss Schlag um Schlag beobachten, Punkt um Punkt richtig werten und katalogisieren, zwanzig Sekunden Zeit bis zum nächsten Aufschlag.

Erzwungen oder nicht?

In eine kurze Lehre ist Lukas Schmidt einst bei Heinz Günthardt gegangen, damals, als es das Zürcher Frauenturnier noch gab. Beim ehemaligen Spitzenspieler, ehemaligen Spitzencoach und heutigen TV-Kommentator habe er etwa gelernt, dass ein Netz-Punkt nicht zwingend ein Volley zu sein brauche, sondern durchaus ein normaler Gewinnschlag sein könne, der in Netznähe gespielt werde, etwa nach einem erlaufenen Stoppball.

Die meisten andern Kategorien erschliessen sich einem, der sich mit Tennis auskennt, ja ohnehin. Am holperigsten ist gewiss die Einschätzung dort, wo auch die Begriffe sprachlich holpern: Erzwungener Fehler/unerzwungener Fehler. «Viele unerzwungene Fehler sind ganz offensichtlich und man erkennt sie leicht», sagt Lukas Schmidt. Nach einem längeren Ballwechsel aber neige man schon dazu, etwas milder zu urteilen; wenn etwa nach langen Diagonalduellen ein Spieler allmählich müde werde, erkenne man korrekterweise eher auf «erzwungener Fehler». Lukas Schmidt hat sich für solche Dilemmata eine Faustregel zugelegt: «Wenn ich anfange zu überlegen, dann war der Fehler eher ein erzwungener als ein unerzwungener.»

Die Statistik der Spiele bei den Swiss Indoors

Feine Nuancen

Kleine Unterschiede zwar, aber Unterschiede, die sich durchaus in der Beurteilung eine Matchs niederschlagen können. Denn die Daten, die Lukas Schmidt und seine Kollegen erfassen, gehen nicht nur direkt ins Internet, sie werden letztlich auch zu Arbeits-Unterlagen für die Journalisten. Verteilt der Scout etwa ein paar «unerzwungene» zuviel, steht ein Spieler vielleicht rasch mal schlechter da als er wirklich war. Und ist der Scout etwas milder gestimmt und erkennt den einen oder andern Fehler nicht als «unerzwungen» sondern als «erzwungen», dann muss der Scout damit rechnen, dass ihm einer – wenn auch nur tele-visionär – genau auf die Finger schaut: Der temporäre Scout-Instruktor und TV-Kommentator Heinz Günthardt.

Nächster Artikel