Schlüsselfigur und Sündenbock – der Sportchef ist der wichtigste Mann im Fussballklub

Die Sportchefs nehmen eine zentrale Rolle ein bei der Planung und Führung eines Fussballklubs. Doch sie drohen vom Taktgeber zum Bauernopfer zu verkommen. Das Fussball-Magazin «Zwölf» stützt diese These unter anderem auf Georg Heitz, den ehemaligen Sportdirektor des FC Basel. 

Der Meistermacher und sein Nachfolger: Georg Heitz (rechts) holte als Quereinsteiger beim FC Basel achtmal in Serie den Titel. Marco Streller tritt als Basler Spielerikone in seine Fussstapfen.
  • Sandro Burki führte am 3. Juni 2017 seinen FC Aarau gegen Xamax als Captain aufs Feld. Es war sein letzter Auftritt als Profifussballer. Direkt im Anschluss verkündete er seinen Rücktritt und wurde Sportchef beim FC Aarau.
  • Rémo Meyer, fünffacher Nationalspieler, war einige Jahre als Spielertrainer im Regionalfussball aktiv und daneben im kaufmännischen Bereich tätig. Jetzt ist er beim FC Luzern als Sportchef angestellt.
  • Christian Stübi wurde beim FC St. Gallen im Sommer seines Postens als Sportchef enthoben. Das Amt ist seither vakant. Kandidaten sollen gemäss Medienberichten unter anderem Pascal Zuberbühler (Goalie-Ausbildner bei der Fifa) und Philippe Montandon (Leiter eines Fitnesscenters) gewesen sein. Keiner von beiden habe den Job gewollt.
Georg Heitz – von 2009 bis 2017 erst Sportkoordinator, dann Sportdirektor des FC Basel.

Dass bei der Suche nach einem Sportchef solche Namen die Runde machen, hat vor allem einen Grund: Es braucht keinerlei Qualifikation. Und genau das ist Georg Heitz, dem ehemaligen Sportchef des FC Basel, ein Dorn im Auge: «Es ist ein Fehler im System, dass ein Sportchef kein Diplom braucht.» Auch er selber hat einst von diesem Umstand profitiert.

Während von jedem Nachwuchstrainer entsprechende Zertifikate verlangt werden, darf als Sportchef jeder walten – unabhängig von seinem bisherigen Schaffen. So umfasst die Shortlist bei vakanten Posten jeweils vor allem ehemalige Spieler aus der Region, obwohl der Fussball das Regionale längst verlassen hat. Das sind erstaunliche Umstände. Denn wenn man die Aufgaben eines Sportchefs anschaut, so muss man zum Schluss kommen, dass er vielleicht die wichtigste Figur überhaupt in einem Fussballklub ist.

Vogel, Bickel, Heitz und Co. waren auch deshalb erfolgreich, weil sie weitreichende Kompetenzen besassen.

Dank der Arbeit ihrer Sportchefs setzten in der Vergangenheit nämlich schon viele Vereine zum Höhenflug an. Dank Andres Gerbers geschicktem Händchen bei Transfers überlebt der FC Thun in der Super League. Unter Fredy Bickel und dem von ihm installierten Lucien Favre schwang sich der FC Zürich vom Prügelknaben zum Spitzenteam auf. Und dann war da natürlich auch Erich Vogel, der in seiner Zeit bei GC ab Ende der 1980er-Jahre die Rolle des Sportchefs für spätere Generationen geprägt hat.

Vogel gilt nicht nur als Entdecker einer ganzen Reihe von Talenten und versammelte beim Rekordmeister eine starke Truppe, die es zweimal bis in die Champions League schaffte. Er nahm sich auch Aufgaben an, die über das rein Sportliche hinausgingen. Er war um ein stabiles Teamgefüge bemüht, achtete bei Transfers auch auf die Persönlichkeit und suchte regelmässig das Gespräch mit seinen Angestellten.

Dieser Beitrag gehört zu einem Schwerpunkt in der neuesten Ausgabe des Fussball-Magazins «Zwölf».

Die Herren Vogel, Bickel, Gerber sowie später Basels Georg Heitz sind und waren auch darum so erfolgreich, weil ihnen weitreichende Kompetenzen eingeräumt wurden und sie ein langfristiges Konzept verfolgen konnten. Voraussetzungen, von denen viele heutige Sportchefs in der Super League nur noch träumen können.

Die Klubs sind mittlerweile zwar echte Unternehmen mit verschiedenen Abteilungen, vom Sponsoring bis zum Social-Media-Team, aber wenn die Resultate auf dem Platz nicht stimmen, verkommt alles andere zur Makulatur. Es sollte ja eigentlich im Interesse der Klubs sein, für den Posten des Sportchefs – mal heisst er auch Sportdirektor, Sportkoordinator oder Sportlicher Leiter – den bestmöglichen Kandidaten zu gewinnen. Schliesslich entscheidet er über die Wahl des Trainers und der Co-Trainer, über Transfers und Verträge für talentierte Nachwuchsspieler. Das sportliche Schicksal liegt in seinen Händen. Eigentlich. Denn vielerorts existieren diese Kompetenzen nur noch auf dem Papier.

«Man hat 27 Sitzungen für einen Spieler, der 80’000 Franken kostet.»

Alex Frei über seine Zeit als Sportchef beim FC Luzern

Starke Sportchefs findet man im Schweizer Fussball immer seltener. Neben Andres Gerber in Thun zeigt auch Christoph Spycher bei YB seine Qualitäten. Andere ehemalige Profifussballer (Thomas Bickel/FCZ, Marco Streller/FCB, Rémo Meyer/FCL) sind neu in diesem Geschäft, bei GC amtet zum zweiten Mal Mathias Walther, beim FC Sion füllt, zumindest offiziell, CC-Sohn Barthélémy (22) diesen Posten aus. St. Gallen, Lugano und Lausanne kommen derweil ganz ohne Sportchef aus.

Das zeugt von einer Entwicklung, die der ehemalige GC-Sportchef Dragan Rapic mit Sorge zur Kenntnis nimmt: «Die Bedeutung der Rolle des Sportchefs nimmt in der Schweiz laufend ab.» Das liegt in erster Linie am Konstrukt, in dem sich Sportchefs bewegen dürfen. Gemäss Pflichtenheft sollte der Verwaltungsrat die Leitplanken vorgeben, innerhalb derer der Sportchef walten kann. Diese sind bisweilen aber sehr eng gesetzt, wie etwa Alex Frei in Luzern feststellen musste. Seinen Verdruss über das Amt erklärte er rückblickend in der «Schweiz am Wochenende» so: «Man hat 27 Sitzungen für einen Spieler, der 80’000 Franken kostet.»

Ein sichtlich angegriffener Alex Frei am
6. Dezember 2014, als seine Uhr als Sportdirektor des FC Luzern abgelaufen war.

Freis Aussagen mögen einer empirischen Prüfung nicht standhalten. Fakt ist aber: Er ist beileibe nicht der einzige Sportchef, der sich über beschnittene Kompetenzen und Einmischung beschwert. Verwaltungsräte sind zumeist in der Privatwirtschaft erfolgreiche Personen, die gern ein Mandat bei ihrem Lieblingsklub übernehmen. Doch während in «normalen» Aktiengesellschaften der Verwaltungsrat lediglich strategische Entscheidungen fällt und das Tagesgeschäft den dafür Eingestellten überlässt, hält sich in Fussballklubs kaum jemand an diese Regel.

Denn anders als bei einem Unternehmen, das Präzisionswaagen oder Pharmazeutika herstellt, denken im Fussball eben doch viele, sie wüssten es besser. Dragan Rapic drückt es so aus: «Die Ratio, dank der sie in der Wirtschaft erfolgreich waren, wird bei Verwaltungsräten zu oft von Emotionen verdrängt, sobald es um Fussball geht.»

Das könne für einen Sportchef zermürbend sein, etwa wenn er – wie offenbar Alex Frei – jeden Transfer absegnen lassen müsse. «Ein Sportchef, der seine Funktion richtig ausüben soll, muss schon mit einer gewissen Macht ausgestattet werden», stellt Georg Heitz klar.

Leichtes Spiel für die Berater

Ist die Macht des Sportchefs nämlich begrenzt, haben dafür andere leichtes Spiel: die Berater. Insider berichten, dass diese nicht zögern, von der Verschiebung der Kräfteverhältnisse zu profitieren. Das funktioniert dann etwa so: Ein Berater offeriert einem Sportchef einen Spieler. Lehnt dieser ab, wird der Berater eben bei einem Verwaltungsrat vorstellig und macht ihm den Transfer schmackhaft. So kann es passieren, dass der Sportchef seinen Favoriten dem Verwaltungsrat präsentiert, worauf dieser just jenen Spieler vorbringt, der eigentlich schon vom Tisch war.

Der Kandidat, den der Sportchef als ideale Wahl ausgemacht hat, bleibt dann aussen vor. Der Favorit des Verwaltungsrats kommt zum Handkuss, der Berater reibt sich die Hände. Doppelt ärgerlich für den Sportchef, denn die Verantwortung bleibt dennoch an ihm hängen. Egal, wie Entscheide zustande gekommen sind: Bei einer sportlichen Misere muss schliesslich er geradestehen, selbst wenn sein Einfluss beschränkt war.

«Die romantische Vorstellung ist, dass der Scout des Klubs ein Talent in einem Dorf in Argentinien entdeckt.»

Georg Heitz, von 2009 bis 2017 Sportdirektor beim FC Basel

«Der Sportchef ist ein guter Sündenbock», bestätigt denn auch Georg Heitz. Genau darum wäre es wichtig, dass ein solcher die sein Gebiet betreffenden Entscheide auch wirklich fällen darf und kann. Als wichtigste Eigenschaft für einen Sportchef nennt Heitz die Unabhängigkeit, vor allem gegen Einflüsse von innen und aussen.

Beim FC Basel mit seinen soliden Strukturen waren interne Querelen selten, aber von der Arbeit mit den Beratern kann auch Heitz ein Liedchen singen. «Die romantische Vorstellung ist ja, dass der Scout des Klubs ein Talent in einem Dorf in Argentinien entdeckt», führt er aus. «Die Realität sieht aber anders aus. Spieler werden einem von Beratern angeboten. Und Berater gibt es Tausende.»

Dieses Netzwerk zu pflegen, sei sehr aufwendig, aber eben auch notwendig. Heitz nennt ein Beispiel: Unzählige Spieler bekomme ein Klub wie der FC Basel täglich angeboten. Auf jede Offerte sollte der Klub möglichst schnell reagieren, schliesslich besteht die Möglichkeit, dass da auch mal eine wahre Perle dabei ist. Der zuständige Berater will möglichst bald einen Deal. Hört er vom FCB nichts, bietet er das Talent bei YB an, danach beim FCZ und so weiter. Wer die Kontakte mit den Beratern nicht gut pflegt, läuft laut Heitz Gefahr, gute Gelegenheiten zu verpassen. Dies sei ein Aufwand, den Neueinsteiger gerne unterschätzten.

Quereinsteiger versus Ex-Profi

Kritisch steht Heitz dem Trend gegenüber, dass immer mehr Fussballer direkt vom Platz zum neuen Job als Sportchef wechseln. Heitz selber ist einen eher ungewöhnlichen Weg gegangen. Lange war er Sportjournalist bei der «Basler Zeitung», ehe er in die Medienabteilung der Fifa wechselte. Nebenbei beriet er den FC Basel bei Transfermodalitäten.

Eine Arbeit, von der er später als Sportdirektor sehr profitierte. «Man muss ein Flair für Verträge haben», wie er sich ausdrückt. Eine Eigenschaft, die längst nicht jeder bis vor Kurzem noch aktive Fussballer mitbringt. Ein gutes Beurteilungsvermögen habe zudem wenig damit zu tun, ob man selber auf hohem Level gespielt habe oder nicht. Hingegen sei es für Ex-Profis eher schwieriger, die so wichtige Unabhängigkeit zu wahren. Sie haben schliesslich in ihrer Karriere mit einer Handvoll Berater zu tun gehabt, da liegt die Versuchung nahe, weiterhin mit diesen zu geschäften.

Erfolgsgaranten beim FC Basel: Georg Heitz mit seinem Präsidenten Bernhard Heusler, hier beim Champions-League-Spiel gegen die AS Roma im November 2010.

Der Erfolg des FCB sorgte dafür, dass Heitz‘ Position gestärkt wurde. Es ist eine Struktur entstanden, in welcher der Sportchef seine Qualitäten voll und ganz einbringen kann. Wo Trainer und Verwaltungsräte fest im Sattel sitzen, kann er ein langfristiges Konzept auch tatsächlich umsetzen.

Und selbst wenn es zu einem Trainerwechsel kommt, ist das in diesem Fall kein grosser Einschnitt. Denn die Spieler im Kader sind dann nicht solche, die nur der Trainer unbedingt wollte, sondern auch solche, die zur Strategie des Sportchefs passten.

Fredy Bickel – Sportchef in der erfolgreichsten Ära des FC Zürich in jüngerer Zeit.

Nur findet man diese geradezu paradiesischen Zustände in der Schweiz fast nirgends. Schon nach drei Niederlagen in Folge wackelt mancher Trainerstuhl. Bei anhaltender Baisse hat ein Sportchef heute wenig Chancen, sich gegen die Entlassung des Trainers zu wehren, auch wenn er weiterhin von ihm überzeugt ist. 2003 war der FCZ mit Lucien Favre Tabellenletzter – Fredy Bickel machte unmissverständlich klar, dass man weiter mit dem Romand arbeiten wolle. Das Ergebnis ist (Erfolgs-)Geschichte. Schwer vorstellbar, dass das heute ähnlich ablaufen würde.

An einer Vision zu arbeiten, ist für viele Sportchefs kaum mehr möglich. Genug Zeit, um eine solche umzusetzen, erhält kaum einer. Oft ist es auch gar nicht im Interesse des Verwaltungsrats, einen starken Sportchef zu installieren. Wer zahlt, will eben oft auch selber bestimmen, und Neulinge sind leichter zu beeinflussen. Der Sportchef bietet sich als Bauernopfer ja geradezu an. Wenn die Sportchefs aber ohnehin derart in ihren Kompetenzen beschnitten werden und eine langfristige Planung kaum möglich ist, dann muss die Frage erlaubt sein: Braucht es sie überhaupt noch?

http://www.zwoelf.ch/aktuelle-ausgabe/

Der FCZ hat es versucht. 2014 holten die Zürcher den Cup. Präsident Ancillo Canepa degradierte umgehend den Technischen Leiter Marco Bernet und meinte dazu wortwörtlich: «Was brauchen wir einen Sportchef? Es läuft doch gut.» Zwei Jahre später stieg der FCZ ab, der Zorn der Fans richtete sich vor allem gegen Canepa. Auch noch als Sportchef amten zu wollen, sei eine heillose Selbstüberschätzung, das Resultat sehe man nun ja.

Mit einem Sportchef ist beim FCZ wieder Ruhe eingekehrt – zumindest für das Bild in der Öffentlichkeit.

Canepa beugte sich dem Druck und installierte Thomas Bickel. Seither ist wieder Ruhe eingekehrt im Verein. Wer heute tatsächlich federführend ist bei Transfers und Kaderplanung, wissen nur die Beteiligten. Für das Bild in der Öffentlichkeit tut dies aber nichts zur Sache. Hauptsache, auf dem Papier gibt es einen Sportchef. Das vermittelt den Eindruck, im Klub gebe es einen unbestrittenen Fachmann, dessen Wort Gewicht habe.

Auch beim FC St. Gallen betont man die Wichtigkeit des Sportchef-Postens vordergründig und handelt dann gegenteilig. Präsident Stefan Hernandez liess Anfang September verlauten: «Mit der Ernennung eines Sportchefs erhöhen wir gezielt das sportliche Know-how des FC St. Gallen.» Und das zu einer Zeit, als noch nicht mal Kandidaten für den verwaisten Posten in Aussicht standen. Gleichzeitig verlängerte man nach nur vier Monaten Amtszeit den Vertrag von Trainer Contini vorzeitig. Ein Entscheid, den eigentlich ein Sportchef mittragen sollte, der notabene noch immer nicht im Amt ist. Inzwischen ist auch Hernandez schon wieder Geschichte.

Die Schnelllebigkeit ist der Feind des Sportchefs

Dass die Macht der Sportchefs von den Klubs laufend beschnitten wird, hat auch mit Vorfällen in der Vergangenheit zu tun. Bisweilen lassen sich nämlich auch Sportchefs von ihren Emotionen leiten und überschreiten ihre Befugnisse. Einige Engagements endeten trotz sportlicher Erfolge abrupt, weil der Sportchef mit Transfers und Verträgen von epischer Länge ein grosses Loch in die Kasse gerissen hatte.

Da kann es nicht erstaunen, dass Verwaltungsräte davor zurückschrecken, einem Sportchef zu viele Freiräume zuzugestehen. Oft ist es schliesslich auch ihr Geld, das dabei draufgeht. Abgefangen wird das etwa in Sportkommissionen, wo ein Gremium Entscheide fällt.

Es ist ein globaler Trend im Fussball, dass Gremien an die Stelle von einzelnen Entscheidungsträgern treten. Auch in England, wo einst der «Manager» sowohl Trainer als auch Sportchef in Personalunion war, ist dies festzustellen. Klubs stellen einen «Director of Football» ein, der Chefscout gewinnt an Bedeutung und der Manager ist mehr und mehr nur noch Trainer. Die Zeiten, in denen ein Manager Jahre im Amt war und es deshalb sinnvoll war, diesem alle Freiheiten einzuräumen, sind vorbei.

Die Schnelllebigkeit des Fussballs ist der Feind des Sportchefs: Erfolgreich kann er nur sein, wenn ihr für einmal getrotzt wird. Er selber könnte dafür sorgen – wofür er allerdings wieder an Macht gewinnen müsste, was ihm je länger, je weniger zugestanden wird. Es ist ein Teufelskreis. Es wäre zu wünschen, dass trotz der misslichen Bedingungen Sportchefs wieder vermehrt ihren Raum bekommen, um zeigen zu können, dass im Fussball ein Konzept und eine Strategie eben doch Erstaunliches bewirken können.

Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe #64 des Fussball-Magazins «Zwölf», das am gut sortierten Kiosk erhältlich ist oder online im Abo bestellt werden kann.

Der Sportchef als Sisyphos: Illustration aus dem Magazin «Zwölf».

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