Schon fast so gut wie der Champions-League-Titel selbst

Der Fussball von Atlético Madrid ist keine Augenweide. Der Sieg gegen den FC Barcelona bedeutet Trainer Diego Simeone entsprechend mehr als das pure Weiterkommen.

Football Soccer - Atletico Madrid v FC Barcelona - UEFA Champions League Quarter Final Second Leg - Vicente Calderon Stadium - 13/4/16 Atletico Madrid coach Diego Simeone Reuters / Juan Medina Livepic EDITORIAL USE ONLY.

(Bild: Reuters / Juan Medina)

Der Fussball von Atlético Madrid ist keine Augenweide. Der Sieg gegen den FC Barcelona bedeutet Trainer Diego Simeone entsprechend mehr als das pure Weiterkommen.

Diego «Cholo» Simeone sprang rhythmisch die Seitenlinie entlang, er ruderte wild mit den Armen. Die Nachspielzeit begann. Der Trainer verlangte noch mehr Volt, einen letzten Einsatz der Fans im Estadio Vicente Calderón an der Madrider Stadtautobahn, durch das immer noch dieser Hauch von altem Fussball weht. Null Komfort, dafür Hardrock in der Halbzeitpause. Und viel Leidenschaft, die hypnotischen Gesänge, wie man sie eher aus Südamerika kennt. Nachspielzeit. Noch lauter also. Zeremonienmeister Simeone wird im Calderón jede Bestellung erfüllt.

Es ist ein beeindruckend stimmiges Werk, das der Argentinier in seinen vier Jahren bei Atlético geschaffen hat – und das er nun einer neuen Sternstunde zuführte. Wie schon vor zwei Jahren wurde im Champions-League-Viertelfinale der FC Barcelona eliminiert. 2:0 gegen die Götter des Fussballs. Mit einem Bruchteil des Budgets, mit eiserner Defensive, mit dem doppelten Torschützen Antoine Griezmann, aber vor allem mit dieser unverrückbaren Haltung, die sie in Madrid den «Cholismo» nennen.

Atlético ist gewiss keine Augenweide, zumindest nicht im klassischen Sinne. Aber es muss das Spiel schon sehr eindimensional verstehen, wer sich nicht auch ein Stück weit hinreissen lassen kann von dieser perfekten Einheit, der Choreografie ihres Trainers, dem einzigartigen Gespür für das Resultat und die Momente des Fussballs.

Football Soccer - Atletico Madrid v FC Barcelona - UEFA Champions League Quarter Final Second Leg - Vicente Calderon Stadium - 13/4/16 Atletico fans Reuters / Juan Medina Livepic EDITORIAL USE ONLY.

Der 25-jährige Elsässer besorgte per Handelfmeter kurz vor Schluss auch das zweite Tor, das allerdings womöglich nur zur Verlängerung gereicht hätte, wäre Schiedsrichter Nicola Rizzoli nicht der Macht der cholistischen Inszenierung erlegen und hätte ein Handspiel von Kapitän Gabi in der Nachspielzeit ausserhalb des Strafraums verlegt. Die Partie, anfangs so blutleer, war da längst zum Thriller mutiert. Barça schnürte Atlético ein und demonstrierte zumindest ansatzweise, warum es die letzten sieben Aufeinandertreffen allesamt gewonnen hatte. Diesmal jedoch fehlte der Punch.

Es fehlten ausserdem: die Frische im bereits 55. Saisonspiel (Atlético: 48, Real Madrid: 43, Bayern: 44), die Dominanz von Sergio Busquets im Mittelfeld und vor allem der Beitrag von Lionel Messi und Neymar. Über ein Jahr lang ritt Barcelona die Welle seines Sturm-Dreizacks; alles und alle wurden in dessen Dienst gestellt. Seit das Trio zur letzten Länderspielpause aus- und bis auf Luis Suárez noch nicht wieder eingecheckt hat, ist entsprechend wenig übrig.



Football Soccer - Atletico Madrid v FC Barcelona - UEFA Champions League Quarter Final Second Leg - Vicente Calderon Stadium - 13/4/16 Barcelona's Lionel Messi and Neymar look dejected Reuters / Sergio Perez Livepic EDITORIAL USE ONLY.

Müde Stars: Lionel Messi und Neymar haben nach der letzen Länderspiel-Pause nicht mehr eingecheckt zur Arbeit. (Bild: Reuters / Sergio Perez)

Messi, laut einiger Medienberichte von Muskelproblemen belastet und womöglich auch von seiner neuerlichen Steueraffäre, ist seit fünf Spielen torlos, in der spanischen Liga gab es aus den letzten drei Spielen nur ein Punkt – sogar die sicher geglaubte Meisterschaft wackelt wieder. «Unbestritten ein harter Schlag», kommentierte Gerard Piqué das Ausscheiden. Trainer Luis Enrique («Ich bin zu 100 Prozent verantwortlich») muss sich vorwerfen lassen, die «Titanic» («La Vanguardia») bislang führungslos in die Havarie steuern zu lassen. Kritiker zählen den in der Presse unbeliebten Welttrainer bereits an.

Wo die Champions League also unter diesem Namen (seit 1992) unverteidigt bleibt, strebt nun das formstarke Atlético den Titel an, den es vor zwei Jahren gegen Real nur um zwei Minuten verpasste. An den Fans wird es nicht scheitern. Eine Viertelstunde nach Abpfiff sangen sie immer noch ihre Lieder, nicht ein paar, das ganze Stadion. Bis ihre Helden noch einmal aus der Kabine kamen für eine letzte Ovation.

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