Die Segler loben die sportliche Herausforderung, die ihnen die Bucht von Guanabara in Rio stellt. Gar nicht zufrieden sind sie mit der Wasserqualität. Neben Havarien mit Müll drohen auch Infektionen.
Zum Schluss des Gesprächs wird Annika Bochmann nachdenklicher, ihre Stimme etwas leiser, das Thema lässt sie immer noch nicht ganz kalt. Und das ist ja auch gut so. Man fordert immer mündige, reflektierte Athleten – hier hat man sie. Annika Bochmann, deutsche Seglerin in der 470er-Klasse sagt: «Letztlich ist es einfach nur schade, was hier mit dem Müll passiert.»
Jahrelang haben die Wassersportler auf die Missstände im olympischen Revier hingewiesen. Sie debattierten über die Chancen einer Verlegung. Irgendwann setzte sich auch bei Bochmann die Erkenntnis durch: «Es gibt so schon mehr als genug Probleme, alles über die Bühne zu kriegen.» Da wäre ein weiteres Olympisches Dorf an einem anderen Küstenort dann wohl doch übertrieben gewesen. Die Spiele haben jetzt begonnen, und die Segler wollen sich auch nicht zu wichtig nehmen. Sie wissen ja, wo sie sind: In einem Land, in dem ihre Sorgen vergleichsweise Luxussorgen sind.
Und so trainieren sie jetzt also doch wieder an der Marina da Glória. Rio de Janeiro, zentrale Lage am Strand von Flamengo. Eine Brise weht vom Meer herüber. Sie beisst in der Nase, manchmal spürt man sie sogar im Magen.
Fernseher, Stiefel und «kranke Geschichten mit Kühen»
Wer dieser Tage die Olympiastadt besucht, wird an keinem Fluss und keinem Bach vorbeikommen, der nicht diesen Kloakengestank verbreitet. Man kann sich das in Europa gar nicht vorstellen. Aber jede Wasserrinne riecht so. Auch die Lagunen. Oft sogar das Meer. Dort fliesst alles rein, Abwasser und Dreck von Millionen Menschen aus den Hüttensiedlungen, die ohne Kanalisation leben müssen. Von Fabriken und Müllhalden. Die Flüsse sind Deponien, einige sind bereits für biologisch tot erklärt worden. Über 50 von ihnen enden in der Guanabara-Bucht.
Dort, wo am Montag, 13 Uhr Lokalzeit, die olympischen Segelwettbewerbe begonnen haben. Die Athleten können unzählige Anekdoten erzählen, was sie bei ihren Trainingsaufenthalten schon alles so für Begegnungen machten. Einen alten Röhrenfernseher bietet Bochmann. Einen Stiefel ihr Teamkollege Erik Heil, der ausserdem von «kranken Geschichten mit irgendwelchen Kühen gehört» hat.
Der TV-Sender Euronews hat den traurigen Zustand der Guanabara-Bucht dokumentiert:
72 Tage war der Berliner 49er-Steuermann in den letzten Jahren in der Stadt, er hat Fischer in der Bucht angeln und Einheimische darin baden sehen. «Wir sind hier nur drei Wochen und nehmen im schlechtesten Fall danach zehn Tage Antibiotika», sagt Heil. «Die Einwohner von Rio müssen ihr ganzes Leben mit dem dreckigen Wasser klarkommen.»
Die relativierende Perspektive spricht auch insofern für ihn, als Heil im August 2015 tatsächlich Antibiotika nehmen musste. Von einer Trainingssession in Rio kehrte er mit einer so schweren Infektion zurück, dass ein Entzündungsherd sogar herausgeschabt werden musste. Die Fotos gingen um die Welt und führten zu medizinischen Fachdebatten, ob der einschlägige Keim wirklich aus dem Wasser der Bucht kam. Es gab weitere Segler und Surfer, die nach vorolympischen Trips krank wurden. «Manche noch doller als ich», wie Bochmann sagt.
In Buenos Aires lag die Hälfte des Feldes flach
Aber hilft ja alles nichts. Olympia hat begonnen, da braucht es kein Heer von Mentaltrainern, um zu wissen, dass eher der positive Ansatz gefragt ist. Heil treibt den Verdrängungsmodus sogar an einen Punkt, wo er «hier deutlich weniger Probleme als anderswo» sieht. Der 26-Jährige führt die WM vor Buenos Aires im vorigen November an. «Da hatten wir einen Vielwindtag, wo man zwangsläufig auch mal Wasser schluckt, und danach war erst mal die Hälfte des Feldes mit Magen-Darm ausser Gefecht.»
In den Zuflüssen zur Bucht wird in den letzten Tagen noch rausgefischt, was geht. (Bild: Reuters/RICARDO MORAES)
Es wird laut in Glória, vom direkt daneben gelegenen Stadtflughafen startet eine Maschine über die Buchteinfahrt. Zur Linken erhebt sich die Skyline des Zentrums. Rechts der Zuckerhut. Dazu die zahlreichen Inseln im Meer – die Segler blicken auf eine von Rios umwerfenden Postkartenidyllen. «Krasse Kulisse, Hammer, unglaublich», sagt Heil. Noch besser gefällt ihm nur die sportliche Qualität der insgesamt sieben Bahnen, vier in der Bucht, drei draussen, manche mit schwieriger Strömung, andere mit Wellen oder Winden. «Das herausforderndste Revier, das wir je gesegelt sind», so Heil.
Womit man dann doch wieder beim Thema ist: Es gibt eben, vor allem auf den Innenbahnen, noch die Faktoren Bakterien und Müll, die eingepreist werden müssen neben Technik, Taktik und gegebenenfalls Nervosität. Das mit den Krankheiten ist noch relativ leicht zu handeln, «wir achten darauf, dass wie unsere Segelsachen jeden Tag richtig mit Desinfektionsmittel auswaschen und unsere Hände direkt desinfizieren, wenn wir mal Essen in die Hand nehmen», sagt Annika Bochmann.
Regen verschärft das Problem noch
Komplizierter ist es mit den schwimmenden Gegenständen. Selbst eine Plastiktüte bremst so stark, dass die Vorschoter sich während der Fahrt aus dem Boot hängen müssen, um sie zu beseitigen. Robustere Objekte können zu Schäden, im Extremfall sogar zur Havarie führen. Der Stiefel vom letzten Jahr etwa, der sich bei Heils Boot am Schwert verfing. «Wir haben ihn nicht weggekriegt, da überschlägt man sich fast, wenn man mit 50 Kilometern pro Stunde drauffährt.»
Am Montagmorgen regnete es in Rio de Janeiro, auch für den Mittwoch sind Niederschläge vorhergesagt. Ein Problem: So spült das Wasser noch mehr Müll in die Bucht. Ob die vereinzelten Auffangnetze, Schutzböller und Umweltboote da saubere Wettkämpfe garantieren können? Bochmann erinnert sich, wie bei den vorolympischen Regatten sogar mal eine Bahn für einen ganzen Tag gesperrt wurde. «Weil da zu viel Müll war, und sie gesagt haben, das wären jetzt keine fairen Rennen mehr.» Dass es wieder so weit kommen könnte, bezweifelt sie. «Sie sind ja unter Druck, die Rennen fertig zu kriegen».
Andererseits dieses Szenario: Olympisches Segelfinale, letzte Wettfahrt, ein Kopf-an-Kopf-Rennen – und am Ende entscheidet eine Plastiktüte.
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