Am Wochenende ist in Genf Kasachstan der Gegner der Schweizer im Viertelfinal des Davis Cup. Mit Stanislas Wawrinka und Roger Federer winkt der Schweiz, 1992 im Final den USA unterlegen, die grosse Chance, eine der bedeutendsten Trophäen im Sport zu gewinnen. Ein Gespräch mit dem 38-jährigen Berner Severin Lüthi, der seit 2005 als Team-Captain fungiert.
Severin Lüthi, in Expertenkreisen gilt die Schweiz mit den beiden Topspielern Roger Federer und Stanislas Wawrinka als Favorit auf den Davis-Cup-Titel in dieser Saison. Wie sehen Sie die Chancen?
Wir wissen schon, dass wir in Bestbesetzung jede andere Mannschaft schlagen können, auch auf den verschiedensten Belägen, die denkbar sind, daheim oder auswärts. Warum sollten wir das verleugnen? Die Schwierigkeit ist halt, dass wir personell eine knappe Marge haben, also dann, wenn einer unser Topmänner nicht am Start ist.
Und die Unwägbarkeiten für einen Teamchef sind gross.
In einer Spielzeit vom Januar bis November können die verrücktesten Dinge passieren, das haben schon so viele Teams leidvoll erlebt. Da gibt es Formkrisen, Verletzungspech, dieses Auf und Ab, das nun mal zum Tennis dazu gehört. Deshalb weigert man sich als Teamchef auch, weit nach vorne zu blicken und über einen Gesamtsieg zu reden. Es ist besser, sich auf das Naheliegende zu konzentrieren, auf die nächste Aufgabe, den nächsten Sieg, den man holen will.
Gegen Kasachstan wäre alles andere als ein Sieg eine riesige Blamage.
Jeder im Team ist sich bewusst, dass wir da als klarer Favorit antreten. Und zwar unter der Voraussetzung, dass wir in Bestbesetzung antreten. Wir wollen ein gutes Spiel liefern, eine gute Performance für die Zuschauer bieten. Man spürt ja: Da ist gerade eine grosse Tennisbegeisterung im Lande.
Umgekehrt kann, ja muss man das Ganze auch als gewaltigen Glücksfall betrachten. Zwei Top Fünf-Spieler aus der kleinen Schweiz.
Das ist es tatsächlich: Eine unglaubliche Sache. Wir haben uns viel zu sehr daran gewöhnt, diese Erfolge zu haben. Da sind durch Roger und seine scheinbar selbstverständlichen Siege die Massstäbe verrutscht. In Wahrheit erlebt die Schweiz da einen Traum, auch schon vor Roger und Stan. Ich denke an Marc Rosset, an Patty Schnyder, an Martina Hingis. Ich freue mich nun einfach an dieser Tennisbegeisterung, an der tollen Stimmung für unseren Sport.
Trotzdem denkt man unwillkürlich an eine Zeit ohne Federer, ohne Wawrinka.
Es ist klar, dass es ein Riesenprivileg ist, mit diesen Spielern zusammenzuarbeiten. Und genau so klar ist es, dass es in der Zukunft für jeden Schweizer Spieler schwer wird, sich im Welttennis zu entwickeln. Weil die Ansprüche so sehr gewachsen sind, weil da all die Erfolge der Vorgänger in den Rekordbüchern stehen – und weil man ungeduldig sein wird, wenn die Siege ausbleiben. Das Problem haben wir heute schon: Spielt ein Junge gut, kommt gleich der Hammer, der Vergleich mit Roger oder Stan. Und das ist halt nicht gut.
Ihr Arbeitgeber Roger Federer steckte letztes Jahr steckte in erheblichen Schwierigkeiten, so sehr, dass ihm sogar ein Karriereende nahegelegt wurde. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Es war ein schwieriges Jahr. Mit mehr Niederlagen als üblich bei ihm. Aber Roger hat nie die Zuversicht verloren, dass es wieder aufwärts gehen würde. Er ist ein grundpositiver Typ. Keiner, der sich nachhaltig emotional herunterzieht. Er ist auch Realist: Er weiss, dass er viele aussergewöhnliche Jahre hatte, richtige Ausnahmejahre. Und dass dann auch einmal ein normaleres Jahr kommt. Eins, wo die Probleme mal grösser sind.
In Dubai und auch bei den amerikanischen Turnieren hat Federer gesagt: Mein Toptennis kommt wieder zurück.
Ich bin auch froh, wo er jetzt steht. Und wo die Richtung hin geht. Eigentlich hat er ja noch Ende 2013 die Aufwärtsbewegung eingeleitet, auch beim Masters Cup, und das dann gleich in Melbourne bestätigt. Und ganz entscheidend dafür ist, dass er seinem Körper wieder vertrauen kann. Und nicht ständig in sich hineinhorchen muss: Ist da wieder ein Problem? Er hat sich in jedem Fall wieder die Chance gegeben, bei den grossen Turnieren in den Halbfinals oder Finals zu stehen – und daher auch immer um die Titel mitzuspielen.
«Ich wäre vorsichtig mit der These, dass es grosse Umwälzungen an der Spitze gibt.»
Wie bewerten Sie die Welle von Verpflichtungen ehemaliger Stars als Trainer oder Ratgeber – Becker bei Djokovic, Chang bei Nishikori, auch Edberg bei Federer?
Ich sass selbst noch vor dem Fernseher, um diesen Stars zuzuschauen. Es tut dem Tennis gut, es liefert Aufmerksamkeit und Schlagzeilen, dass sie jetzt wieder an Bord sind. Ich bin froh, dass Stefan unser Team ergänzt und als Berater und Mentor für Roger wirken kann. Die Zusammenbarbeit mit ihm ist sehr angenehm.
Aber überraschend war das alles schon?
Allerdings. Das war nicht abzusehen. Aber es ist doch wunderbar, dass diese Stars sich noch einmal in die Arena begeben und mitmischen. Das verdient einfach Respekt.
Wie wird die Weltrangliste am Jahresende aussehen? Wir hatten Federer schon mal auf Platz acht, nun ist er zurück auf Platz 4, und Wawrinka steht auf Platz 3.
Ich kann da keine Zahlen und Namen hervorzaubern. Das wäre so, als ob ich in eine Glaskugel schaue und etwas verkünde. Für mich steht aber fest: Die Spieler, die in den letzten Jahren viel gewonnen haben, treten nicht einfach zur Seite weg. Ich wäre vorsichtig mit der These, dass es grosse Umwälzungen an der Spitze gibt, dass da alles durcheinander purzelt.
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