Chelsea – das war die Mannschaft der tragischen Niederlagen. Bis zum Champions-League-Final in München, das die Londoner dank unbändigem Willen und Drogba gewannen. Jetzt glauben sie wieder an Gerechtigkeit. Und «english grace».
Didier Drogba, der Mann dieses Finales, dachte im Stunde des Triumphes auch an die Qualen der Vergangenheit. «Wir haben jetzt alles hinter uns gelassen», sagte der Ivorer, der den Münchner Zusammenbruch auf eigenem Platz mit seinem verwandelten Elfmeter besiegelt hatte. «Ich kann nicht in Worte fassen, was ich fühle», sagte der 34-Jährige, «ich weiß nur, dass ich es der Mannschaft schuldig war zu treffen. Wir wollten nicht schon wieder weinen.»
Für die stolz mit ihren Goldmedaillen durch die Mixed Zone schlendernden Londoner war der Europapokalgewinn keine glückliche Schicksalsfügung, sondern die überfällige und somit logische Korrektur einer historischen Ungerechtigkeit. In den neun Jahren seit der Übernahme durch Roman Abramowitsch waren die Blues unzählige Male dramatisch gescheitert, an haarsträubenden Wechselfehlern (2004), Phantomtoren (2005), Elfmetern (2007, 2008), norwegischen Schiedsrichtern (2009) und durchtriebenen Ex-Trainern (José Mourinhos Inter, 2010).
Dazu kamen in dieser Saison interne Tumulte, weil der im Sommer engagierte Trainer André Villas-Boas einen Kulturkampf gegen die Macht und den Spielstil des Ancien Régime führte. «Niemand mag traurige Momente, aber die Umstände machen diesen Sieg süsser», sagte Frank Lampard, der wie Drogba erst nach der Amtsübernahme von Roberto Di Matteo im März in die Stammelf zurückgekehrt war.
Die beste Mannschaft ohne internationalen Titel – bis Samstagnacht
«Ich weiß nicht, ob wir die beste Mannschaft in Europa sind, aber wir sind heute die Besten», sagte Lampard. Bis zur Samstagnacht war man nur die beste Mannschaft, die in der Neuzeit ohne internationalen Titel geblieben war. Aus blauer Sicht setzte man in München die gerechte Pointe hinter dieses knappe Jahrzehnt der Unvollendetheit, indem man das eigene Spiel vollkommen auf die zwei noch funktionierenden Waffen ausrichtete. Chelsea war: das pures Destillat aus Drogba und Kampf. Das reichte gegen eine Bayern-Mannschaft, die ihrerseits das eigene Können nicht auf die Spitze treiben konnte.
«Die Leute können heute nicht auf unseren Dusel verweisen, denn wir hatten genug Pech in der Vergangenheit», sagte Frank Lampard, «wir haben so viel gelitten». Den «Oldies» (Roberto Di Matteo) um «Lamps», «Didi» und dem rechtzeitig zu alter Weltklasseform zurückgekehrten Elfmeterkiller Petr Cech war es gelungen, aus den Schicksalsschlägen Kraft für den letzten Anlauf zu ziehen.
«Ich habe noch nie erlebt, dass eine Mannschaft derart fokussiert in ein Match geht», sagte Lampard, «das war ungeheuerlich. Nach dem Halbfinale gegen Barcelona waren wir vollkommen davon überzeugt, dass unser Name auf diesem Pokal steht. Ich wollte das vorher nicht sagen – du siehst wie ein Depp aus, wenn es nicht passiert – aber wir hatten wirklich dieses Gefühl.»
Dass aus Motivation und Ahnung ein Sieg wurde, stand jedoch nicht nur «in den Sternen geschrieben», wie Drogba später vermutete. Er selbst hatte Chelsea mit seinem zentimetergenauen, von übernatürlicher Wucht befeuerten Kopfball in der 88. Minute zum 1:1 erst ermöglicht, die Deutschen in ihrer ureigensten Disziplin zu besiegen. Das effiziente, berechnende Kraft-Chelsea der Mourinho-Jahre erhob diesem einen Moment noch mal sein furchterregendes Haupt und biss den Münchnern in den Hals.
Schlicht Heroisch
Chelsea nutzte die einzige echte Chance, die sich in München bot; dass die Heynckes-Elf das klare bessere Team waren und «in ihrem Hinterhof» überlistet wurden, hob den ersten Champions-League-Gewinn einer Londoner Mannschaft dabei nur in noch heroischere Sphären. Auf der Insel glaubt man ja seit jeher, dass die Besten der Besten in Schlachten gegen übermächtige Gegner zu sich finden, wenn «english grace» (englische Anmut), eine Mischung aus Charakterstärke, Mut und Aufopferungsbereitschaft, triumphiert.
Diese Willensleistung wird den Abramowitsch-Club in der Heimat zwar nicht unbedingt beliebter machen, doch besonders Drogba, Lampard und Cech gönnt man die Krönung ihrer Laufbahn. Interessant wird nun, ob der russische Oligarch sich im Überschwang der Gefühle – «ich gratuliere Ihnen», sagte er mit Hilfe eines Dolmetschers in der Kabine, laut Augenzeugen sichtlich gerührt – doch noch mit Drogba auf einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einigen kann.
Der Stürmer verlangt einen Zweijahresvertrag und liebäugelt mit einem Engagement in China, Chelsea will dem Prinzip Drogba aber höchstens ein weiteres Jahr treu bleiben. «Ich kann nicht die Emotionen entscheiden lassen», warnte der Spieler dieses Finals.
Ob Interimscoach Di Matteo, der Architekt des minimalistischen Wunders, an der Stamford Bridge weiterbeschäftigt wird, bleibt ebenfalls unklar. Das Oligarchen-Ego verlangt nämlich nicht nur nach Titeln, es bleibt komplizierter: Abramowitsch verzehrt sich auch nach weltweitem Respekt und Anerkennung für seine blaue Kunstschöpfung.