Beispiele für Meisterserien, wie sie der FC Basel in der Schweiz hingelegt hat, gibt es in Europa nicht viele. In den grossen Ligen ist das nur Olympique Lyon gelungen. 2008 riss die Serie nach sieben Meisterschaften en suite. Unser Autor, der für das französische Magazins «So Foot» arbeitet, hat für die TagesWoche aufgeschrieben, wie das passieren konnte.
In Frankreich wird die Fussballgeschichte momentan von Paris Saint-Germain geschrieben. Seit 2013 sind die Spieler aus der Hauptstadt die unbestrittene Macht, viermal hintereinander haben sie den Hexagoal, wie der 2006/07 geschaffene Meisterpokal genannt wird, zum Himmel gehoben. Aber es wird noch ein bisschen dauern, bis PSG auf der Höhe von Olympique Lyonnais (OL) ist: Von 2002 bis 2008 ist die französische Meisterschaft nach Lugdunum gegangen, der Hauptstadt Galliens zu römischer Zeit. Eine Serie, die Real Madrid, der FC Barcelona, FC Bayern München, Manchester United oder Juventus Turin in ihren Ligen nicht vorweisen können.
» Die sieben Meisterschaften des FC Basel in Serie – rotblaue Titelhamster im europäischen Vergleich
Als er 1987 an die Spitze des Clubs kam, hatte Präsident Jean-Michel Aulas versprochen, eines Tages werde Olympique Lyonnais über den französischen Fussball regieren. Und nach sieben Jahren ungeteilter Herrschaft sollte es weitergehen, mit einem anderen Ziel vor Augen: der Champions League.
Obwohl Lyon die stärkste Mannschaft Frankreichs war, haben die «Gones» – ein Wort für die junge Leute aus Lyon – es in ihrer Hochphase nie geschafft, unter die Top 4 der Königsklasse vorzustossen. Um sein Ziel zu erreichen, entschied sich Jean-Michel Aulas dafür, die besten Kräfte aus der französischen Liga nach Lyon zu holen.
Die schwierige Rückkehr in die Wirklichkeit
In der Saison 2007/08 gewinnt OL mit Alain Perrin auf der Trainerbank seine siebte Meisterschaft in Folge und mit dem Coupe de France sogar das Double, zum ersten Mal in seiner Geschichte. Aber Perrin kommt mit der Geschäftsführung nicht klar und wird durch Claude Puel ersetzt. Der ehemalige Spieler von AS Monaco, der während der Regentschaft Lyons viel gewürdigte Arbeit als Trainer in Lille geleistet hat, wird verpflichtet, um mit OL eine wichtige Hürde zu nehmen: Es geht nicht mehr nur um die Meisterschaft, weil der Titel mittlerweile Pflicht geworden ist, sondern darum, sich dauerhaft in Europas Spitze zu etablieren.
Doch der Plan geht nicht auf: Am Ende der Saison 2008/09 wird Lyon Zweiter, zum ersten Mal seit dem Jahr 2000 gibt es überhaupt keinen Titel zu feiern. Es ist der Beginn einer Wende. Einige emblematische Spieler verlassen den Verein, wie der Freistoss-Meister Juninho. Karim Benzema, ein echter «Gone» und der Stolz der Fussballakademie von OL, wird für 35 Millionen Euro an Real Madrid verkauft.
Lyons Trainer seit 2002, obere Reihe von links: Jacques Santini, Paul Le Guen, Gérard Houllier und Alain Perrin, die mit OL Meister wurden. Unter Reihe von links: Claude Puel, Rémi Garde, Hubert Fournier und der aktuelle Trainer Bruno Génésio.
Die Strategie des Vereins ändert sich: 70 Millionen werden auf den Transfermarkt geworfen, um Spieler wie Lisandro Lopez, Michel Bastos oder Aly Cissokho zu verpflichten. Doch es klappt nicht, den Hexagoal zurückzuerobern. Und das, obwohl die zweite Saisonhälfte 2009/10 hervorragend ist: Puel wird mit Lyon erneut Zweiter, sechs Punkte hinter Olympique de Marseille, und er schafft es, zum ersten Mal die Halbfinals der Champions League zu erreichen.
Nach den Siegen gegen Real Madrid im Achtelfinal und gegen Bordeaux im Viertelfinal folgt das Aus gegen den FC Bayern München. Mit einer Mannschaft, die nicht unbedingt besser ist als die der Periode von 2002 bis 2008, schreibt Lyon Geschichte in der Champions League. Aber irgendwie ist längst klar, dass die besten Jahre des Vereins in der Vergangenheit liegen.
Das Symbol Yoann Gourcuff
Aufzugeben erlaubt der Ehrgeiz von Jean-Michel Aulas jedoch nicht. Der Präsident glaubt, dass sein Verein sich schnell wieder ganz oben in der Tabelle positionieren kann. Geld ist vorhanden dank der enormen Einnahmen in der Champions League, und deshalb entscheidet Aulas, 22 Millionen Euro plus 4,5 Millionen Boni an Girondins de Bordeaux zu überweisen, um Yoann Gourcuff von den Ufern der Garonne an die der Rhône zu locken.
Mit grossen sportlichen Hoffnungen und ökonomischen Erwartungen 2010 in Lyon empfangen: Yoann Gourcuff, seinerzeit einer der aufregendsten Fussballer Frankreichs. (Bild: Imago)
Der elegante Spielmacher ist eine der grossen Figuren beim Titelgewinn der Girondins im Jahr 2009, er ist zu der Zeit der beste Spieler der Ligue 1. Deshalb verbinden sich mit seiner Ankunft am 24. August 2010 in Lyon riesige Erwartungen. «Mit Yoann werden wir den nächsten Schritt machen, vor allem im technischen Bereich», sagt Claude Puel.
Und Jean-Michel Aulas freut sich über den sportlichen und vor allem über den wirtschaftlichen Aspekt: «Yoann Gourcuff ist eine neue Dimension, um sich im Bereich Sport und Marketing zu entwickeln. Wir haben einen Deal mit den Besitzern der Marke Yoann Gourcuff und ein Team für die Entwicklung dieses Projekts. Es wird Millionen bringen, vielleicht Dutzende Millionen Euro in vier oder fünf Jahren.»
Doch das geht gründlich schief. Obwohl sein Name auf 50 Prozent der verkauften OL-Trikots steht, wird sich Yoann Gourcuff nie in Lyon durchsetzen. Er ist immer wieder und zu oft verletzt. In seinen fünf Jahren bei OL muss Gourcuff 14-mal pausieren wegen Knie- oder Oberschenkelverletzungen. Und wer vom Pech verfolgt ist, dem passieren auch die absurdesten Sachen. Wie im Mai 2014, als der Spielmacher sich beim Spaziergang mit seinem Hund am Fussgelenk verletzt.
«Wer fällt, ist ein Fall», hat der Schweizer Theologe und Aphoristiker Walter Ludin einmal gesagt. Dieses Zitat passt leider unheimlich gut zu Yoann Gourcuff, der in fünf Jahren nur 128-mal für Lyon auflaufen wird, und der, wie verschiedene Medien kolportieren, bis zu 7,6 Millionen Euro brutto im Jahr verdient.
Und auch wenn Gourcuff es akzeptiert, in seinem letzten Vertragsjahr auf 25 Prozent seines Gehalts zu verzichten – seine Einsatzzeit ist durch Verletzungen so gering, dass vorgerechnet wird, er verdiene pro gespielte Minute über 7000 Euro. Bei Bordeaux waren es 1000 Euro pro Minute.
» Die Leistungsdaten von Yoann Gourcuff bei transfermarkt.ch
Ein neues wirtschaftliches Modell
Yoann Gourcuff, der den Verein 2015 nach fünf Jahren ablösefrei verlässt, wird das Symbol dieser schwierigen Phase von OL bleiben. 2011, nach drei Spielzeiten ohne Erfolg, muss Claude Puel gehen. In Paris haben die Scheichs aus Katar übernommen und pumpen Abermillionen in den PSG.
Trainer Rémi Garde, ein ehemaliger Spieler, holt mit Lyon 2012 immerhin den Coupe de France, muss aber wieder gehen. Auch Hubert Fournier bleibt nur 19 Monate und wird in Erinnerung bleiben als erster Coach, der sich mit OL nicht für einen Europapokal qualifizieren kann – und das nach 18 Jahren ununterbrochener Teilhabe am internationalen Geschäft.
Alle Fakten und Zahlen zum französischen Fussball und den Meisterschaften | ||
Olympique Lyonnais – weder vor der grossen Serie Meister noch danach wieder | ||
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AS Saint-Étienne | 10 | 1957, 1964, 1967, 1968, 1969, 1970, 1974, 1975, 1976, 1981 |
Olympique de Marseille | 9 | 1937, 1948, 1971, 1972, 1989, 1990, 1991, 1992, 2010 |
FC Nantes | 8 | 1965, 1966, 1973, 1977, 1980, 1983, 1995, 2001 |
AS Monaco | 7 | 1961, 1963, 1978, 1982, 1988, 1997, 2000 |
Olympique Lyonnais | 7 | 2002, 2003, 2004, 2005, 2006, 2007, 2008 |
Stade de Reims | 6 | 1949, 1953, 1955, 1958, 1960, 1962 |
Girondins de Bordeaux | 6 | 1950, 1984, 1985, 1987, 1999, 2009 |
Paris Saint-Germain FC | 6 | 1986, 1994, 2013, 2014, 2015, 2016 |
Auch wenn er immer wieder in den Medien am Jammern ist, bleibt Jean-Michel Aulas jemand, der sich von diesem Schicksal nicht unterkriegen lässt. Auch in den erfolglosen Jahren versucht der Generaldirektor der OL-Holding, den Verein noch grösser und zur Konkurrenz für Europas Spitzenteams zu machen.
Schon im Jahr 2007 wird über ein neues, grosses und privat finanziertes Stadion nachgedacht. «Das wirtschaftliche Modell im französischen Fussball ist obsolet», sagt Jérémie Bréchet, der zwischen 1998 und 2003 für OL gespielt hat. Die Kosten für die französischen Vereine seien sehr hoch. «Deshalb wollte Monsieur Aulas, dass Olympique Lyonnais sein eigenes Stadion bekommt, so, wie man es vielerorts in Deutschland kennt. Er hat gekämpft, er ist Risiken eingegangen, er hat viel Geld investiert, aber im Endeffekt hat er es geschafft. Man kann ihm nur gratulieren.»
Eigenes Stadion, eigener Nachwuchs
Der «Parc OL», zwischen 2012 und 2015 errichtet, kostet insgesamt 480 Millionen Euro. Was nicht ohne erhebliche Konsequenzen für die Finanzen des Vereins bleibt. Es heisst nun: Wer sich kein Essen im Restaurant leisten kann, kocht halt zu Hause. Deshalb werden mehr Spieler aus dem eigenen Leistungszentrum in die erste Mannschaft integriert.
«Lyon hatte immer noch eine Tradition in der Nachwuchsarbeit und viele junge Spieler, die es zur ersten Mannschaft geschafft haben», sagt Stéphane Roche, der Direktor der Jugendabteilung. Karim Benzema und Hatem Ben Arfa sind die berühmtesten Beispiele. «Die Übergangsphase des Vereins», so Roche, «war ein grosser Test für uns, da immer mehr junge Spieler gefördert wurden».
Diese Erfahrung mit den «Gones» hat OL schon einmal gemacht, 1989, beim Wiederaufstieg. «In Lyon werden junge Spieler in einer stabilen Umgebung gross. Sie wissen, dass sie noch Fortschritte machen sollen, und dass sie die Gelegenheit bekommen, das in der ersten Mannschaft zu tun», sagt Stéphane Roche.
Produkt der OL-Akademie: Verteidiger Samuel Umtiti, der nach seinem kometenhaften Aufstieg an der Euro wechselte und beim FC Barcelona vorgestellt wurde. (Bild: Reuters/ALBERT GEA)
Jérémie Bréchet, der auch ein Produkt der Lyoneser Fussballschule ist, bestätigt das: «Hier wird viel auf Arbeit und Entschlossenheit geachtet. In der Region gibt es viele talentierte Spieler. Und sie bekennen sich zum Verein. Wenn sie mit dem Trikot der ersten Mannschaft auflaufen, tragen sie dieses mit ein bisschen mehr Seele. Es ist dieser Stolz, für ihre Lieblingsmannschaft alles geben zu können und zu gewinnen.»
Dank Spielern wie Alexandre Lacazette, Nabil Fekir, Clément Grenier oder Samuel Umtiti, und mit einem Trainer wie Bruno Génésio, der einst auch für den Verein gespielt hat, ist Lyon in den letzten zwei Jahren zweimal Zweiter der Ligue 1 geworden. Den gebürtigen Kameruner und französischen Nationalspieler Umtiti, eine Entdeckung des EM-Sommers, hat Lyon gerade für 25 Millionen Euro an den FC Barcelona abgegeben.
Stärker als OL erscheint derzeit Paris Saint-Germain. Aber mit einer Mischung aus alten und jungen Spielern und den möglichen Einnahmen aus dem neuen Stadion könnte Lyon wieder zu einem ernsthaften Gegner für die Hauptstädter wachsen. Jean-Michel Aulas wird auf jeden Fall alles versuchen, um der einzige Präsident zu bleiben, der siebenmal hintereinander die französische Meisterschaft gewonnen hat.
Unter der Präsidentschaft von Jean Michel Aulas hat der Frauenfussball in Lyon sich zur dominierenden europäischen Marke entwickelt. Aus dem FC Lyon hervorgegangen, ist die Frauenabteilung seit 2004 unter dem Dach von OL angesiedelt. Und seit 2007 wird niemand anderes mehr französischer Meister. Der Titel 2016 war der zehnte in Folge. Dazu kommen drei Triumphe in der Champions League (2011, ’12 und 2016) sowie zwei weitere Finalteilnahmen (2010, ’13).
» Der Frauenfussball bei Olympique Lyon im Wikipedia-Eintrag