Silvio Wernle ist seit 2011 mit einer Unterbrechung Trainer des RTV 1897 Basel und hört zum Saisonende auf. Ein Gespräch mit dem 40-Jährigen über die Herausforderung, mit wenig Mitteln Nationalliga-A-Handball zu bieten, über dumme Zufälle, über eine Clubmitteilung, die Wellen schlug und das Leben neben dem Sport.
Silvio Wernle, die Nachricht kam einigermassen überraschend, dass Sie beim RTV Basel aufhören. Bedeutet das nun das Ende Ihrer Handballkarriere?
So ist das mal geplant.
Wie fing alles an bei Ihnen?
Ich war als Junior ein sauschlechter Fussballer, also probierte ich es mit Handball, was dann auch besser ging. Nach zwei Jahren in Liestal habe ich zum RTV gewechselt, in dem ich alle Juniorenjahrgänge durchlief. Bis auf eine Saison habe ich mich durch alle Stufen beim RTV gespielt, sei es in der ersten Liga oder in der Nationalliga A. Als ich aufhörte, war auf einen Schlag fertig, und fünf Jahre lang habe nichts gemacht. In den Trainerjob bin ich mehr durch einen dummen Zufall eingestiegen.
Am Samstag, 19. März, empfängt der RTV 1879 Basel um 18.00 Uhr in der Rankhofhalle den TSV Fortitudo Gossau. Mit einem Heimsieg gegen die Ostschweizer würde sich die Mannschaft von Silvio Wernle fünf Runden vor Schluss der Abstiegsrunde der Nationalliga A einen Vier-Punkte-Vorsprung auf den Barrageplatz verschaffen. » Zur Tabelle
Und was war dieser Zufall?
2011 sass ich bei einem Vorbereitungsturnier auf der Tribüne. Wie das ehemalige Handballer machen, habe ich alles mögliche kritisiert. Anschliessend redete ich mit den Spielern und dem Präsidenten Alex Ebi. Kurz darauf entliess der RTV seinen Trainer, und es kam ein SMS von Ebi im Stil von: «Du hattest doch die grosse Klappe, dass du es besser machen könntest. Morgen Abend um sechs ist bei uns Training.» Also sagte ich: «Na gut, dann komme ich!»
Und was war mit einer Trainer-Ausbildung?
Die hatte ich nicht. Die habe ich auch bis heute nicht. Ich habe die Mannschaft zuerst zusammen mit Alex Ebi übernommen, was ganz gut funktionierte. Bis zum Ende des Jahres war er Cheftrainer, und ich habe immer mehr im Training gemacht. Die logische Folge war, dass ich dann komplett übernommen habe. Dann sind wir in eine schwierige Saison geraten, an deren Ende wir abgestiegen sind. In Absprache mit Alex habe Mitte Saison aufgehört. Die Überlegung war, nicht den definitiven Abstieg erleben zu müssen, damit ich diesen Rucksack nicht mitschleppe. Um mit dem Team neu angreifen zu können und aufzusteigen, wenn die Zeit reif dafür ist.
Jüngst, nach der einigermassen peinlichen Niederlage bei Stäfa, wurden Sie in einer Medienmitteilung des RTV so heftig angegriffen, wie man das von Vereinsseite nicht kennt. Unter anderem wurden Sie dafür kritisiert, Schlüsselspieler zwischenzeitlich aus dem Spiel genommen zu haben.
Das ist die Ironie an dieser Geschichte. Aus meiner Optik habe ich in der ganzen bisherigen Saison mehr gewechselt, als in der letzten Saison. Das heisst nicht unbedingt, dass die Spieler mit ihren Einsatzzeiten zufrieden sind. Sie haben aber mehr gespielt. Auf diese Medienmitteilung werde ich jedoch nicht gross eingehen.
» Der Wortlaut der Medienmitteilung zum Spiel gegen Stäfa und die Reaktionen darauf
Man darf allerdings feststellen, dass die geharnischte Medienmitteilung für einiges Aufsehen sorgte, sogar national. Und in der «Basellandschaftlichen Zeitung» wurde sie Eins-zu-eins publiziert.
Grundsätzlich kann ich festhalten, dass ich nun etwa hundert Spiele gecoacht habe und noch keines davon gut. Nach jedem Match findet sich irgendeiner aus der Mannschaft, aus dem Umfeld der Spieler, in der Öffentlichkeit oder auf der Tribüne, der findet, dass ich es schlecht gemacht habe und falsch eingewechselt habe. Schauen Sie doch mal zum FCB: Die wurden sechs Mal in Serie Meister. In der Meinung der Matchbesucher und Beobachter hat jedoch noch kein Trainer auch nur einmal richtig aufgestellt, geschweige denn das richtige taktische Konzept angewandt.
Als Trainer muss man ein dickes Fell haben.
Wenn man nicht damit umgehen kann, sollte man nicht Trainer werden. Natürlich gibt es Momente, in denen es unter die Gürtellinie geht. Man stellt als Trainer die Spieler aber nicht so auf, dass man jemanden im Team oder Umfeld schaden will. Man macht es so, wie man die grösste Erfolgschance sieht. In einem Kader, in dem jede Position doppelt besetzt ist, gibt es aber keine Gerechtigkeit. Was gut und schlecht ist, ist sehr subjektiv.
Abgesehen vom Klassenerhalt: Wo kann der Weg des RTV mittelfristig hinführen?
Der RTV braucht weiterhin Leute, die irgendwie Freude am Verein haben und dafür etwas machen wollen, ohne dass sie einen Franken Geld sehen. Wie etwa Mediensprecher Meinrad Stöcklin mit seinem Engagement. Gott sei Dank haben wir durch den Aufstieg eine Handvoll tolle Leute gefunden, die in ihrem Umfeld dafür sorgen, dass sich der RTV besser verankern kann. In der Nationalliga A kann man nicht bestehen, wenn man jeden Franken mehrmals umdrehen muss und sich nie auf einen Drei- bis Fünf-Jahresplan verlassen kann. Also ist es wichtig, dass der RTV Leute findet, die bereit sind, finanziell in den RTV zu investieren. Ohne Geld kann man keinen Spitzenhandball betreiben, und im Moment müssen wir immer von Jahr zu Jahr schauen.
Gibt es in Basel überhaupt mehr Potential für Handball? Bei den Zuschauern scheint es sich immer wieder um die üblichen Verdächtigen, die Treuesten der Treuen zu handeln.
Das hat sicher sehr viel mit den Erfolgen des FCB zu tun. Und das sage ich ohne den FCB zu kritisieren, ich freue mich über jeden seiner Siege. Basel ist einfach extrem verwöhnt, was Sport angeht. Wenn der RTV eine Saison haben wird, in der er plötzlich in die Playoffs kommt und um die Schweizermeisterschaft spielt, wird die Rankhofhalle jedes Mal ausverkauft sein. Das ist es, was der Basler Zuschauer will: Er will nicht zuschauen, wie man Siebter wird. Das wäre für uns zwar ein toller Erfolg, interessiert in Basel aber keinen Menschen. Man muss einen Pokal zeigen können, dann kommen die Leute. Und wenn die Leute kommen, ist man auch für die Sponsoren attraktiv.
«Für einen Sport wie Handball, der an Aufmerksamkeit verloren hat, ist der Weg zurück ins Rampenlicht ganz schwer.»
Es ist der sattsam bekannte Teufelskreis, den zu durchbrechen kaum möglich erscheint. Dem Eishockey geht es ja ganz änhlich.
Entweder macht jemand den Anfang mit dem Geld oder die Mannschaft hat eine Sensationssaison. Nur: Je grösser der Graben in Sachen Geld aufgeht, desto kleiner wird die Wahrscheinlichkeit einer Sensationssaison. Wenn das nicht passiert, wird der RTV wie bisher weitermachen: Irgendwo zwischen Überleben in der NLA und Spitzenteam in der NLB. Für einen Sport wie Handball, der an Aufmerksamkeit verloren hat, wird der Weg zurück ins Rampenlicht ganz schwer werden.
Gilt diese Einschätzung nicht über Basel hinaus für die gesamte Handball-Szene der Schweiz? Die Nationalmannschaft läuft seit Jahren einem Exploit hinterher.
Schaut doch mal, in welchem Alter ein Schweizer Nationalspieler in der Regel zurücktritt. Das tut er im Alter von Mitte 20. Jeder Mensch bei halbwegs vernünftigem Verstand hat bis 25 gemerkt, dass er, wenn er nur auf Handball setzt, nur eine Karriere bis 33 hat. Wenn er saugut ist, kann er vielleicht bis dahin sogar davon leben. Danach muss er aber irgendwo ohne Erfahrung unten auf der Karriereleiter ins Berufsleben einsteigen. Deswegen mangelt es auch an Spielern. Eine Nationalmannschaft besteht immer aus jungen Talenten anfangs 20, die super sind und weiterentwickelt werden sollen. Im Alter von 24 fangen sie aber an, auszubrechen. Es gibt eben auch ein Leben nach der Sportlerkarriere. Ich hoffe es gelingt dem Verband seine Bestrebungen in die Tat umzusetzen und eine breite Zusammenarbeit zwischen Handball und Wirtschaft aufzubauen. Dann würde sich die Ausgangslage grundlegend ändern.
Kann beim RTV jemand vom Handball leben?
Grundsätzlich kriegen die Spieler bei uns nur Spesenentschädigungen, es denn, sie sind extern finanziert.
Wie sieht es mit dem Unterbau beim RTV aus? Gibt es im Juniorenbereich Potential?
Ja und nein. Die Region Nordwestschweiz hat grundsätzlich eine gute Juniorenbewegung, an der auch der RTV zusammen mit anderen Vereinen beteiligt ist. Die Frage ist, für welchen Verein sich die besten Spieler am Schluss ihrer Juniorenzeit entscheiden. Schaffen wir es in der Nordwestschweiz, diese Spieler für ihre Aktivzeit in einem Verein zu bündeln, gibt es durchaus Potential.
«Die führenden Mannschaften in der Schweiz sind jene, die keinen Fussballclub nebendran haben.»
Hat der TV Möhlin in Ihren Augen das Zeug, in der Nationalliga A zu spielen?
Ja, schon. Wenn man schaut, welche Mannschaften in der Schweiz führend sind, sind es meistens die, die keinen Fussballclub nebendran haben. In Deutschland ist das etwa gleich. Möhlin hat eine tolle Fanbasis und mehr Zuschauer in der Nati B als wir in der Nationalliga A. Auch in Möhlin müssten sie aber ein Konzept aufstellen, mit dem sie Geld bekommen. Ich kenne die Internas des TV Möhlin nicht gut und es liegt auch nicht an mir, diese zu beurteilen. Dem Hören und Sagen nach ist es aktuell ein Gremium aus alteingesessenen Möhlemern, welche sich regelmässig treffen und dann entscheiden, ob sie das Portemonnaie wieder aufmachen oder nicht.
Reicht das, um in der obersten Klasse mitzumischen?
Ich habe grossen Respekt vor den Leistungen des TV Möhlin in dieser Saison. Wenn es gelingt, finanziell einen Plan über drei bis fünf Jahre aufzustellen, dann kann es durchaus klappen. Aber ohne mittelfristige finanzielle Sicherheit kommt man substanziell nie vorwärts, weder in Möhlin noch sonstwo.
«RTV-Trainer verschenkt den Sieg»
«Peinlich, schlicht peinlich: die NLA-Handballer des RTV 1879 Basel befanden sich im Auswärtsspiel der Abstiegsrunde beim abgeschlagenen Schlusslicht Stäfa klar auf der Siegerstrasse, verloren jedoch am Ende mit 21:23 (14:11). Die Schuld an dieser absolut unnötigen und ärgerlichen Niederlage trägt für einmal nicht die Mannschaft, sondern Trainer Silvio Wernle.
Man stelle sich folgende Situation vor: eine Mannschaft der obersten Handballliga führt in einem wichtigen, richtungsweisenden Auswärtsspiel nach einer einigermassen soliden ersten Halbzeit mit 14:11. Elf dieser 14 Tore erzielten drei Spieler. Und dann geschieht Unglaubliches: der Trainer dieser Mannschaft verbannt genau diese drei Spieler, welche zuvor den Unterschied gemacht und elf von 14 Toren erzielt hatten, zusammen auf die Ersatzbank und beordert an deren Stelle mit einer Art Blockwechsel die zweite Garnitur auf den Platz.
Die Konsequenz: der Gegner, der eigentlich schon halbwegs bezwungen oder zumindest in die Schranken gewiesen war, findet ins Spiel zurück. (…) Dies dank der gütigen Mithilfe des Gäste-Trainers, der mit der Verbannung seiner drei besten Spieler den Gegner zu Beginn der zweiten Halbzeit zentral aufgebaut hatte.
Dies ist weder ein Scherz noch ein verspäteter Fasnachts-Schnitzelbangg, sondern bittere Realität – mit RTV-Trainer Silvio Wernle in der Hauptrolle und dem RTV als Verlierer.
(…) Wernle schaute tatenlos zu (…) Stäfa zwang das Glück auf seine Seite und kam zu seinem zweiten Sieg in Serie – wohlverstanden nach zuvor 19 Niederlagen in Serie. Der RTV schien in der Schlussphase von allen guten Geistern verlassen und verlor die zweite Halbzeit gegen die schlechteste Mannschaft der Liga mit 7:12.
Ein weiterer Kommentar erübrigt sich, die Ursache der zunehmenden Verunsicherung ist bekannt. Die Gründe seines Coachings bleiben das Geheimnis des RTV-Trainers, der in der Schlussphase sogar die Möglichkeit eines letzten Time-Outs ausliess. Wie auch immer: solche Niederlagen sind schlicht Gift und man darf gespannt sein, was nun passiert.»
Am 25.2. 2016 wurde auf der Webseite des RTV Basel folgende Stellungnahme veröffentlicht:
«Der Bericht bildete die persönliche Meinung des RTV-Medienchefs Meinrad Stöcklin ab und war für einen Vereinsbericht unpassend. Er entspricht nicht dem Vereinsstil und entsprang der Verärgerung des RTV-Medienchefs über die Niederlage. Stöcklin bedauert seine Wortwahl. Vorstandsmitglied Stöcklin und Wernle haben sich zwischenzeitlich ausgesprochen und die Angelegenheit intern ad acta gelegt. Beide werden ihre ehrenamtlichen Kräfte per sofort wieder auf die „Mission Ligaerhalt“ konzentrieren.
Für den RTV ist die Angelegenheit damit erledigt. Weitergehende Auskünfte oder Interviews dazu werden grundsätzlich keine erteilt.»
Der Bericht über das Stäfa-Spiel wurde im Nachhinein entschärft. Nachzulesen auf der RTV-Seite. Auch die «Basellandschaftliche Zeitung» hat eine erste Fassung angepasst.