Seine Landetechnik ist nicht die ausgefeilteste, doch weit fliegt Simon Ammann auch mit 32 Jahren noch. Beim Springen in Titisee-Neustadt springt er aufs Podest, Sieger wird Thomas Morgenstern. Was Ammann jetzt noch fehlt, ist ein Stilberater.
Die gute Nachricht vorweg: Diesmal fabrizierte Simon Ammann keinen schmerzhaften Bauchfleck wie zuletzt in Lillehammer, als er gleich zwei Mal hintereinander nach der Landung kopfüber im Schnee gelandet war. Die weniger gute Nachricht: So richtig Haltung bewahrte der Schweizer auch beim Weltcupspringen in Titisee-Neustadt nicht.
Wenn jemand dem vierfachen Olympiasieger auf seine alten Tage noch in einem Teilbereich ein wenig auf die Sprünge helfen könnte, dann möglicherweise ein Stil-Berater. Denn bei seinen Landemanövern macht der Routinier bisweilen immer noch keine gute Figur, weshalb die Konkurrenz mit formvollendeten Telemarks und hohen Stil-Noten Ammann überflügeln kann.
So geschehen auch im Schwarzwald, wo der Schweizer zwar 3,5 Meter weiter flog (144 und 138 m) als Kamil Stoch (137 bzw. 141,5 m) aber trotzdem hinter dem polnischen Stilisten auf Rang drei landete, der einmal sogar die Höchstnote 20,0 erhalten hatte. Der österreichische Sieger Thomas Morgenstern (143,5 bzw. 139 m) war ohnehin ausser Reichweite.
Knapp am Rekord vorbei
Der Ärger über den verschenkten zweiten Platz und die x-te unästhetische Kacherl-Landung dürfte sich beim 32-Jährigen trotzdem in Grenzen halten. Denn ungeachtet der berechtigten Punkteabzüge für seinen 144-Meter-Satz im ersten Durchgang – damit schrammte er nur einen Meter am Schanzenrekord vorbei – hat das jüngste Springen auf der Grossschanze in Titisee-Neustadt vor allem eines gezeigt: Simon Ammann ist rechtzeitig zur Olympiasaison wieder flügge geworden, erstmals seit Januar (Skifliegen in Vikersund) sprang der Toggenburger wieder in die Top drei.
Die Erleichterung über das starke Lebenszeichen war dem Routinier im Auslauf auch deutlich anzumerken. Nach dem weitesten Sprung des Tages reckte Ammann wieder in bewährter und bekannter Simi-Manier seinen Finger in die Höhe und präsentierte dabei sein sympathisches Siegerlächeln, während oben auf dem Trainerturm Chefcoach Martin Künzle regelrecht Luftsprünge fabrizierte. Gesten und Emotionen, die man in dieser euphorischen Form rund um den 32-Jährigen schon länger nicht mehr gesehen hat. «Die letzte Saison hat mich richtig aufgefressen», erinnert sich Ammann, der mangels Form und Spass den vergangenen Weltcup-Winter vorzeitig beendet hatte.
Morgensterns private Probleme
Nun zeigen Form- und Flugkurve des Schweizers aber wieder steil nach oben. Auch deshalb, weil Simon Ammann in der Sommervorbereitung so intensiv wie selten zuvor trainiert hatte, um sich mit dem neuen Material (engere Sprunganzüge) anzufreunden. Die vielen Sonderschichten forderten ihren Tribut: Ammann wurde im Spätsommer von Rückenproblemen geplagt und musste im Training leiser treten. «Ich hatte meinem Körper schlicht zu viel zugemutet.»
Eine ähnliche Durststrecke hatte auch der Sieger von Titisee-Neustadt durchgemacht: Thomas Morgenstern plagten zuletzt allerdings private Probleme, nachdem sich der Jungvater – der 27-Jährige wurde vor einem Jahr Vater eine Tochter – von seiner Langzeitfreundin getrennt hatte und deshalb in ein Formloch fiel. Im Sommer ging der dreifache Olympiasieger eigene Wege und bereitete sich solo auf den Olympiawinter vor. Nun meldete er sich in neuer, alter Frische zurück und hält mit Weltcup-Leader Gregor Schlierenzauer (zwei Saisonsiege) die österreichischen Fahnen hoch.
Gedränge an der Spitze
Eines hat die bisherige Skisprung-Saison aber schon jetzt gezeigt. Der Luftraum ist umkämpfter geworden, die Dominanz der lange übermächtigen Österreicher geringer. Und hätten die ÖSV-Adler in Gregor Schlierenzauer und Thomas Morgenstern nicht zwei Ausnahmekönner in ihren Reihen, dann wäre die Grossmacht nur mehr ein Niemandsland im Skispringen, wie nicht zuletzt der enttäuschende fünfte Platz im Teamspringen von Klingenthal gezeigt hatte. Polen, Norweger, Deutsche, Slowenen, Japaner und auch die Schweiz in Simon Ammann stellen mittlerweile potenzielle Siegspringer.
Das verspricht nicht nur einen spannenden Heimweltcup in Engelberg (21./22.12.) – Gregor Deschwanden holte in Titisee-Neustadt übrigens als 28. zum zweiten Mal in diesem Winter Weltcuppunkte – auch für die Vierschanzentournee (29.12. bis 6.1.) zeichnet sich nach fünf österreichischen Erfolgen in Serie ein Mehrkampf ab.
Mit der Tournee hat der Schweizer Vorzeige-Flieger Simon Ammann noch ein Hühnchen zu rupfen. Ein Sieg beim Schanzen-Klassiker ist der einzige Titel, der dem 32-Jährigen immer noch in seiner Sammlung fehlt. «Dafür würde ich viel geben», gesteht Ammann.