Simon Ammann: Wenn auf Wolke sieben kein Landeplatz frei ist

Mit Platz 29 in der Qualifikation hat Simon Ammann die Hürde für das erste Springen in Oberstdorf an der 65. Vierschanzentournee genommen. Die Skispringerszene fragt sich, warum der 35-Jährige sich das noch antut.

Simon Ammann from Switzerland reacts at the men's FIS World Cup Ski Jumping at the Titlisschanze in Engelberg, Switzerland, Sunday, 18 December 2016. (KEYSTONE/Urs Flueeler)

(Bild: Keystone/URS FLUEELER)

Mit Platz 29 in der Qualifikation hat Simon Ammann die Hürde für das erste Springen in Oberstdorf an der 65. Vierschanzentournee genommen. Die Skispringerszene fragt sich, warum der 35-Jährige sich das noch antut.

Es ist für Simon Ammann vermutlich kein allzu grosser Trost, dass er bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg zuletzt Peter Prevc hinter sich gelassen hatte. Peter Prevc, der Mann, der im vergangenen Winter etliche Weltcuprekorde pulverisiert hatte mit seinen 15 Saisonsiegen und 2303 Punkten, ist in diesem Winter bislang noch ein Schatten seiner selbst. Wer also den schwächelnden Slowenen überflügelt, muss deshalb selbst noch lange kein Überflieger sein.

» Ammann mit Platz 29 in der Qualifikation – im K.o.-Duell gegen Tepes

Der 24. Platz beim letzten Tournee-Formtest in Engelberg spiegelt vielmehr den aktuellen Leistungslevel des 35-jährigen Ammann wider. 25., 23., 21., 28., 38., 35., 24. – die Zahlen, die sein Flugschreiber auswirft, belegen deutlich, dass der Toggenburger augenblicklich bestenfalls zum Mittelmass zählt. Und dass ihm noch die Trendwende zum Guten gelingt, geschweige, dass er wieder alte Weiten erreicht, dafür gibt es vor der Vierschanzentournee keine Anzeichen.

65. Vierschanzentournee

30. Dezember: Oberstdorf, Grosse Schattenbergschanze | 143,5 m, Sigurd Pettersen (2003)
  1. Januar: Garmisch-Partenkirchen, Olympiaschanze | 143,5 m, Simon Ammann (2010)
  4. Januar, Innsbruck, Bergiselschanze | 138 m, Michael Hayböck (2015)
  6. Januar, Bischofshofen, Paul-Aussenleitner-Schanze | 143 m, Daiki Ito (2005)

» Webseite der Tournee | » Skispringen bei FIS-online

Selbst Experten und Wegbegleiter, die dem beliebten Schweizer wohlgesonnen sind, meinen mittlerweile, Simon Ammann habe den richtigen Zeitpunkt für den Absprung ins Privatleben verpasst. Eine triumphale Rückkehr, wie sie zum Beispiel der nimmermüde Japaner Noriaki Kasai eindrucksvoll vorexerziert hat, der im März mit 43 Jahren noch auf das Siegespodest gesprungen war, traut dem ehemals besten Skispringer der Welt jedenfalls kaum noch einer zu.

Warum tut sich Simon Ammann das noch an?

Jahrelang hatte der vierfache Olympiasieger in den Tagen vor der Vierschanzentournee immerfort nur eine Frage beantworten müssen. Wann er, der in seiner Karriere nahezu alles gewonnen hat, was es auf Sprungschanzen zu gewinnen gibt, denn endlich auch einmal bei der prestigeträchtigen Tournee ganz oben stehen würde. Mit solchen Themen wird Ammann längst nicht mehr belästigt, seit seinem folgenschweren Sturz vor zwei Jahren beim Tourneefinale in Bischofshofen fragen sich vielmehr alle, wieso sich der 35-Jährige das alles überhaupt noch antut.

Simon Ammann of Switzerland jumps during the men's ski jumping FIS World Cup at the Titlisschanze in Engelberg, Switzerland, on Sunday, December 18, 2016. (KEYSTONE/Alexandra Wey)

Schön sieht der Flug aus: Simon Ammann am 18. Dezember auf der Titlisschanze in Engelberg … (Bild: Keystone/ALEXANDRA WEY)

Simon Ammann from Switzerland in action at the men's FIS World Cup Ski Jumping at the Titlisschanze in Engelberg, Switzerland, Sunday, 18 December 2016. (KEYSTONE/Urs Flueeler)

… aber mit seiner Landung gewinnt Simon Ammann keinen Blumentopf mehr. (Bild: Keystone/URS FLUEELER)

Mehrere Tage war der Toggenburger damals im Krankenhaus gelegen, nachdem er beim Landemanöver kopfüber in den eisigen Auslauf gekracht war. Da Ammann zuvor schon öfter auf ähnliche Weise zur Sturz gekommen war, nahm er das Unglück zum Anlass, um auf seine alten Tage noch einmal die Landetechnik umzustellen – vom linken auf das rechte Führbein. Das ist so ziemlich der gravierendste und schwierigste Eingriff, den ein erfahrener Skispringer vornehmen kann. Am ehesten vergleichbar damit, als würde Roger Federer von einem Tag auf den anderen sein Racket mit der linken Hand schwingen wollen.

Eine Stil-Ikone wird aus dem Routinier ganz bestimmt nicht mehr werden, dass ein Wertungsrichter für einen Ammann-Telemark noch einmal die Haltungsnote 20,0 zückt, ist ungefähr so wahrscheinlich wie die Verlegung des Neujahrsspringens von Garmisch-Partenkirchen auf den Bergisel nach Innsbruck. Das ist ja auch das grosse Dilemma des Weltmeisters und Olympiasiegers: Bei seinen Haltungsnoten von 16,0 müsste Simon Ammann den Gegnern bei jedem Sprung mindestens fünf Meter abnehmen, um konkurrenzfähig zu sein.

Es gibt keinen Springer mit Dauerwohnsitz auf Wolke sieben

Dass er trotzdem nicht aufgibt und immer noch gute Laune verbreitet, das erstaunt nicht nur die Experten und Konkurrenten. «Ich bin selbst immer wieder erstaunt, wie ich mich trotz aller Rückschläge weitertragen lasse», sagt Simon Ammann.

Die Gesamtsieger der Vierschanzentournee seit 1953  |  Alle Tagessieger
Die Sieger der letzten 10 Jahre
2015/16 Peter Prevc Slowenien
2014/15 Stefan Kraft Österreich
2013/14 Thomas Diethart Österreich
2012/13 Gregor Schlierenzauer Österreich
2011/12 Gregor Schlierenzauer Österreich
2010/11 Thomas Morgenstern Österreich
2009/10 Andreas Kofler Österreich
2008/09 Wolfgang Loitzl Österreich
2007/08 Janne Ahonen Finnland
2006/07 Anders Jacobsen Norwegen

Die Geschichte von Simon Ammann macht einmal mehr deutlich, wie sensibel der Skisprungsport ist. Es gibt keinen Springer, der seinen Hauptwohnsitz permanent auf Wolke sieben hatte, früher oder später ist noch jeder Seriensieger und Superstar auf dem harten Boden der Realität gelandet.

Der Österreicher Gregor Schlierenzauer, mit 53 Weltcupsiegen die Nummer eins in der ewigen Bestenliste: Stellte sich mit 26 die Sinnfrage und kämpft nun nach einem Kreuzbandriss um seine Rückkehr in den Weltcup. Oder Thomas Diethart, der niederösterreichische Senkrechtstarter, der 2014 aus heiterem Himmel als Nobody die Tournee gewann: Ist mittlerweile schon froh, wenn er im sogenannten FIS-Cup, der dritten Leistungsstufe der Skispringer, in den Finaldurchgang kommt.

«Bei meinem Tourneesieg habe ich den Kopf ausgeschaltet und mich einfach treiben lassen. Das ist der Idealzustand für jeden Skispringer. Wenn du zu denken anfängst und dir über alles Gedanken machst, dann hast du schon verloren», erklärt Diethart.

Die Unberechenbarkeit des Skispringens

Peter Prevc ist das jüngste Beispiel für die Launen und die Unberechenbarkeit in dem so wankelmütigen Sport namens Skispringen. Binnen weniger Wochen sind dem 24-jährigen Slowenen seine traumwandlerische Sicherheit und sein unerschütterliches Selbstvertrauen abhanden gekommen.

Domen Prevc of Slovenia jumps during the men's ski jumping FIS World Cup at the Titlisschanze in Engelberg, Switzerland, on Sunday, December 18, 2016. (KEYSTONE/Alexandra Wey)

Domen Prevc, der 17-jährige Bruder des Vorjahressiegers Peter Prevc, ist der neue Überflieger. (Bild: Keystone/ALEXANDRA WEY)

Beim Weltcupauftakt in Kuusamo war Prevc auf dem Weg zum sicheren Sieg bei der Landung zu Sturz gekommen und trotzdem noch Dritter geworden. Das Malheur hat den Superstar trotzdem aus allen Wolken fliegen lassen, zuletzt in Engelberg reichte es nicht einmal mehr für Weltcuppunkte, bei der Tournee muss Prevc als Weltcup-13. genauso in die Qualifikation wie Simon Ammann (Rang 28).

«Das ist ein Phänomen im Skispringen. Im letzten Winter hätte man ihn mitten in der Nacht aufwecken können und er hätte seine Sprünge runtergetrommelt. Aber wehe du fängst an zu zweifeln, dann wird es schwierig», sagt Werner Schuster, der Cheftrainer der deutschen Skispringer, «ich vergleiche das gerne mit dem Golf: Wenn da einer beim ersten Loch den Ball ins Wasser drischt, dann kann er eigentlich immer noch eine tolle Runde spielen. Aber meist hat so ein Erlebnis dann den gegenteiligen Effekt und es wird immer schlechter.»

Domen Prevc: Der Nächste im seelischen Idealzutand

Immerhin springt ein Prevc für den Tournee-Gesamtsieger des letzten Winters in die Bresche. Domen, der 17-jährige Bruder, agiert in dieser Saison bislang ähnlich dominant wie Peter Prevc vor einem Jahr. Vier Siege hat der unbekümmerte Teenager, der in der Luft so spektakulär und wagemutig wie kein anderer zwischen den Skiern klemmt, bereits eingefahren und reist als Top-Favorit zum Tourneeauftakt nach Oberstdorf (30.Dezember).

Werner Schuster vergleicht den Senkrechtstarter bereits mit Formel 1-Rookie Max Verstappen: «Domen Prevc springt Ski, wie Max Verstappen Formel 1 fährt», sagt der Vorarlberger, «aber so kannst du nur Skispringen, wenn du noch nie mit 250 gegen die Mauer gefahren bist. Domen hat vermutlich keine Negativerlebnisse, so wie er springt: Er kennt keine Grenzen.»

Tatsächlich scheint sich Domen Prevc gerade in jenem seelischen Idealzustand zu befinden, den alle Skispringer anstreben. Und den gerade Winnertypen wie Gregor Schlierenzauer, Peter Prevc oder auch Simon Ammann zur Genüge kennen. Domen Prevc fliegt derzeit in eigenen Sphären, geradewegs so als hätte er den Autopiloten eingeschaltet.

«Mein Kopf ist frei. Ich spüre nicht, dass man von mir besondere Dinge erwartet. Klar will ich gewinnen, aber es kümmert und beschäftigt mich nicht wirklich. Wenn ich gewinne, ist es okay, wenn nicht, fahre ich halt nach Hause. Ich habe keinen Druck, Erster zu sein», sagt der 17-Jährige, «ich habe einfach Lust zu springen.»

Domen Prevc from Slovenia reacts at the men's FIS World Cup Ski Jumping at the Titlisschanze in Engelberg, Switzerland, Sunday, 18 December 2016. (KEYSTONE/Urs Flueeler)

Mit jugendlicher Unbeschwertheit: Domen Prevc. Der junge Slowene ist einer der Favoriten bei der 65. Vierschanzentournee. (Bild: Keystone/URS FLUEELER)

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