Für FCB-Captain Marco Streller ist der PFC Ludogorets Razgrad eine Wundertüte. Der bulgarische Meister schaffte es erst vor vier Jahren auf die nationale Fussball-Landkarte und spielte vor Jahresfrist erstmals überhaupt im Europacup. Jetzt ist er der letzte Gegner des FC Basel auf dem Weg in die Champions League.
Ivan Ivanov, am Mittwoch erst zum FC Basel gewechselt, ist seinem neuen Trainer schon sehr hilfreich. Als das Los für die Playoffs der Champions League am Freitag auf Ludogorets Razgrad gefallen war, konnte Murat Yakin bei seinem neuen Innenverteidiger schon einmal die ersten Erkundigungen aus zweiter Hand einholen.
Innert sieben Tagen finden die beiden Playoff-Spiele gegen Razgrad statt, erst am Mittwoch, 21. August, in Sofia, dann am Dienstag, 27. August, im St.-Jakob-Park. Beide Partien werden um 20.45 Uhr angepfiffen.
Der Sieger zieht in die Gruppenphase der Champions League ein, was inklusive der Prämie für die Playoffs (2,6 Millionen) 11 Millionen Franken aus dem Uefa-Geldtopf garantiert. Dem Verlierer bleibt als Trostpflaster die Teilnahme an der Gruppenphase Europa League. (cok)
Auch wenn der FCB-Trainer findet, dass es «keine einfachen Gegner gibt», so geht der Schweizer Meister als grosser Favorit in diesen Vergleich. Oder, wie es Marco Streller ausdrückt: «Man hat schon schwierigere Hürden nehmen müssen, um in die Champions League zu kommen.»
Der FCB-Captain hatte es sich vor der Auslosung so zurecht gelegt: Wunschgegner waren Maribor oder Austria Wien, gar nicht gerne wäre er nach Warschau oder Kasachstan gereist und Razgrad sei der Gegner aus der «neutralen Zone». Damit, so Streller, «kann man leben». Und: «Uns wird sicher nichts geschenkt werden, aber wenn man in die Champions League will, und das wollen wir unbedingt, muss man diese Hürde nehmen.»
Ivan Ivanov – der Informant
Streller schätzt die Ausgangslage ähnlich ein wie vor drei Jahren, als es in den Playoffs gegen den moldawischen Meister Sheriff Tiraspol aus der abgespalteten Region Transnistrien ging und der FCB ebenso auf einen unbeschriebenen Gegner traf (1:0, 3:0). Diesmal wird Ivan Ivanov wenigstens für etwas Erhellung sorgen können.
Ivanov hat noch am Dienstagabend in Belgrad mit Partizan gegen Razgrad gespielt, schied mit dem serbischen Meister gegen den bulgarischen aus und setzte sich tags darauf ins Flugzeug, um beim FC Basel einen Vertrag zu unterschreiben.
Ausserdem kennt Ivanov einige Ludogorets-Akteure sehr gut aus der Nationalmannschaft. Vladislav Stoyanov, die Nummer 2 im Tor, gehört dazu, Linksverteidiger Yordan Minev und Svetloslav Dyakov, der 29-jährige Strippenzieher im zentralen defensiven Mittelfeld. Neu hinzugekommen auf diese Saison ist Hristo Zlatinski, ein Routinier und auch er Nationalspieler.
Gute Erinnerungen an Sofia
So wird sich nach und nach herausstellen, was drinsteckt in der bulgarischen «Wundertüte», wie Marco Streller den Gegner nennt. Für den FCB-Captain ist es vor allem eine schöne Nachricht gewesen, dass die Partie aus dem nordostbulgarischen Provinznest in die Hauptstadt verlegt wurde. «Das ist toll für mich», sagt Streller, der nach dem Rückzug von Mediensprecher Josef Zindel wohl derjenige mit den grössten Flugängsten im FCB-Tross ist und dem so ein paar Flugmeilen erspart bleiben.
Weil das kleine, 8000 Zuschauer fassende Stadion in Razgrad nicht den Uefa-Normen für dieses Stadium des Wettbewerbs entspricht, muss Ludogorets ins Vasil-Levski-Nationalstadion von Sofia umziehen, einen Ort, an den der FC Basel gute Erinnerungen hat: Am 22. Oktober 2009 kam der FCB mit Trainer Thorsten Fink dort zu einem souveränen 2:0-Gruppenspielsieg gegen CSKA Sofia. Alex Frei war damals zweifacher Torschütze, und Streller war ebenso mit von der Partie wie Valentin Stocker und Behrang Safari.
Für Marco Streller ging im Vasil-Levski ein halbes Jahr danach die Nationalmannschaftskarriere zu Ende. Nach dem trostlosen 0:0 in der EM-Qualifikation gegen Bulgarien gab er wenig später gemeinsam mit Alex Frei den Rücktritt. Mit dabei damals in Sofia auf bulgarischer Seite: Ivan Ivanov.
Klingende Namen und ein paar Routinier
Drei weitere Akteure aus den Begegnungen mit CSKA Sofia stehen nun auf der Seite von Ludogorets: Verteidiger Minev, Stürmer-Schlachtross Ivan Stoyanov, der 2011/12, als Razgrad erstmals Meister wurde, mit 16 Treffern bulgarischer Torschützenkönig wurde, sowie Michel Platini Ferreira Mesquita. Der Künstlername des brasilianischen Wandervogels ist klingender als sein Palmarès: Nach Brasilien, Mexiko, China und Rumänien ist Razgrad nun schon seine vierte Station in Bulgarien. Er kam im Sommer von Rekordmeister CSKA Sofia, für das der Stürmer in der vergangenen Saison in 16 Spielen 8 Tore erzielte.
Viel weiss man nicht über den Gegner, der die letzte Hürde zur Königsklasse darstellt. Auf die europäische Landkarte spielte sich der PFC Ludogorets erst vor Jahresfrist: In der zweiten Runde der Champions-League-Qualifikation trat Razgrad erstmals international an, der Brasilianer Marcelinho, auch heute noch in der Stammelf offensiv gesetzt, erzielte das ersteEuropcup-Tor der Vereinsgeschichte, das Heimspiel gegen Dinamo Zagreb endete 1:1 und in Kroatien schieden die Bulgaren erst mit dem 3:2-Siegtor Zagrebs in letzter Minute aus.
Will Yakin vor Ort beobachten, muss er den Cup sausen lassen
In dieser Saison hat Ludogorets bereits Slovan Bratislava (1:2, 3:0) und Partizan Belgrad (2:1, 1:0) hinter sich gelassen, und Murat Yakin ist einerseits froh, dass es nicht gegen Austria Wien oder Legia Warschau («Das wäre ein Kracher gewesen») geht, anderseits darüber, dass dem Team eine komplizierte Reise erspart bleibt. Dafür muss er sich nun mit einer ihm unbekannten Mannschaft auseinandersetzen. «Erst mal schauen, was sie drauf haben», ist seine Losung.
Um optimal vorbereitet zu sein, will Yakin nichts unversucht lassen und wie schon vor den Duellen mit Maccabi Tel Aviv den Gegner selbst unter die Lupe nehmen. Zum Heimspiel von Razgrad am Samstag gegen CSKA Sofia schafft es Yakin nicht, und die letzte Möglichkeit wäre kommenden Samstag das parallel zum Cup-Spiel de FCB gegen die Old Boys stattfindende Auswärtspartie von Ludogorets in Plovdiv.
Wie auch immer: Die Konstellation – erst am Mittwoch, 21. August, auswärts, dann, am Dienstag, 27. August, im St.-Jakob-Park – kommt Yakin entgegen: «Wir können daheim alles klar machen.»
Der PFC Ludogorets Razgrad hat die wahrscheinlich aufregendste Geschichte aller Playoff-Teilnehmer zu bieten: 2009/10 erst stieg der Club aus der 40’000-Einwohner-Gemeinde im Nordosten Bulgariens in die zweite Liga auf. Inzwischen ist Ludogorets, das seinen Namen der Region verdankt, zweimal in Folge Meister geworden.
Mit dem Einstieg des Unternehmers Kiril Domuschiew, der den PFC Ludogorets im September 2010 kaufte, ging es steil bergauf für den Club aus der 40’000-Einwohner-Stadt in der Donautiefebene. Eine bunt zusammengewürfelten Mannschaft aus Brasilianern, Finnen, Franzosen, Kolumbianern, Spaniern, Portugiesen und ein paar bulgarischen Routiniers marschiert seither unaufhaltsam durch. In der Aufstiegssaison ging es gleich weiter: Erstmals stieg Ludogorets in die A Grupa auf, das Oberhaus des bulgarischen Vereinsfussballs.
Damit nicht genug: Gleich anschliessend wurde man Meister, holte das Double, und in der vergangenen Saison wiederholte Razgrad den Gewinn der Meisterschaft. Von der Drittklassigkeit zu drei Titeln in vier Jahren – ein Tempo, bei dem sogar Dietmar Hopp in Hoffenheim schwindlig würde.
Aber Erfolg schützt nicht vor Überraschungen und die Sitten sind rau: Nach der Niederlage im ersten Spiel der neuen Saison wurde Trainer Iwailo Petew am 22. Juli entlassen und durch Stoycho Stoev ersetzt. Seither wird wieder gewonnen. (cok)