Strippenzieher im Hintergrund

Der Fall Bickel mag nicht Alltag sein, doch im Fussball-Business läuft vieles krumm.

Zocken im Fussball: Wo lässt sich noch etwas mehr Geld verdienen? (Bild: Hans-Jörg Walter)

Der wirre Fall Bickel mag nicht Alltag sein im Fussball-Business. Doch merkwürdige Geschäftspraktiken sind auf dem Transfermarkt keine Seltenheit.

Ein Spieleragent und die graue Eminenz des Schweizer Fussballs in Untersuchungshaft. Der Vorwurf der Erpressung im Raum, ein Vertrag, der einem Agenten das Vorkaufsrecht für Spieler der Young Boys ohne sichtbaren Vorteil für den Club übertragen sollte. Es klingt reichlich abenteuerlich, was via «Fall Bickel» über das Wesen des Profifussballs bekannt wird (vgl. Kasten).

Ist das der Alltag im Transfer­geschäft, wenn zwischen Clubs und Beratern um neue Verträge, Ablösesummen und Handgelder gefeilscht wird? Natürlich nicht. So dilettantisch wie der nun in Haft sitzende «Berater» geschäften die Grossen der Branche nicht. Im Rampenlicht steht heute ­einer der Sorte Adabei, der vor seiner Verhaftung zuletzt Schlagzeilen machte durch den Konkurs eines Gartenbad-Restaurants in Rheinfelden, an dem auch der heutige FCB-Trainer Murat Yakin beteiligt war.

Das heisst aber nicht, dass sich auf dem Markt nicht zum Teil äusserst merkwürdige Geschäftspraktiken beobachten liessen. Ganz im Gegenteil. Das bringt eine Branche mit sich, die stark informell organisiert ist. In der Kontakte alles sind – und sehr wenige Involvierte zum Teil sehr viel Geld verschieben und verdienen können.

Rund 120 Millionen Franken soll Real Madrid in diesem Sommer für Gareth Bale ausgegeben haben. Es sind aber nicht nur surreale Transfersummen wie diese, die die Hoffnung auf schnelles Geld nähren und Menschen ins Geschäft als Spieleragent einsteigen lassen, denen das eigene Portemonnaie näher ist als die langfristige Karriere eines Fussballers.

Die Seriösen – und die anderen

Sicher, es gibt sie, die seriösen Berater, die sich nicht in erster Linie als Börsenspekulanten mit Fussballer-Aktien verstehen. Aber auch sie stehen in einem merkwürdigen Loyalitätskonflikt, den das übliche Transfergeschäft mit sich bringt.

Zwar gibt es Spielerberater, die prozentual an den Verträgen partizipieren, die sie für ihre Klienten aushandeln. Bei «acht bis zwölf Prozent» des Bruttolohnes ohne Prämien liege die Provision einer «seriös arbeitenden Agentur», sagte Thomas Kroth im Juli dem «Handelsblatt». Kroth vertritt unter anderen den deutschen Nationalgoalie Manuel Neuer.

Häufig aber wird der Berater für seine Dienste nicht vom Spieler bezahlt, den er vertritt – sondern vom Club, der den Spieler neu unter Vertrag nimmt. Im für den Profi besten Fall ärgert das bloss die Clubverantwortlichen, die nach Vertrags­abschluss auch noch jene Person bezahlen müssen, die eben noch auf der anderen Seite des Verhandlungstischs gesessen ist. Im schlechteren Fall vergisst der Agent bei den Verhandlungen die Interessen seines Klienten – und schaut auf den eigenen Vorteil.

Wenn sich der Agent verzockt

Im Januar 2009 zum Beispiel fühlte sich Cristian Ianu wohl bereits als Spieler des FC Basel. Doch dann verzockte sich sein rumänischer Agent Ioan Becali in der letzten Verhandlungsrunde – in Abwesenheit von Ianu. Der Stürmer ist derzeit nach Stationen in Luzern, Sion und Wohlen arbeitslos.

Der deutsche Ex-Goalie Lars Leese schildert im Buch «Der Traumhüter», wie sein Agent Tony Woodcock plötzlich nicht mehr erreichbar war. Als sich Leese persönlich bei einem schottischen Club nach dem Stand der Verhandlungen erkundigte, wurde ihm beschieden, er habe zu viel verlangt. Ohne dass Leese je eine Lohnforderung gestellt hätte. Es war das Ende seiner Karriere als Profifussballer.

Der Druck, einen Transfer anzustreben, ist bei den Agenten gross. Einerseits, weil nur hier das schnelle Geld lockt. Andererseits sind auch die Spieler nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung. Viele hängen sich an jenen Berater, der den besten Wechsel verspricht. So kann ein Agent einen Nachwuchsspieler über Jahre betreuen, nur um im entscheidenden ­Moment von einem anderen aus­gebootet zu werden.

Plötzlich nicht mehr im Boot

Marcel Schmid kann ein Liedchen davon singen. Er beriet Zdravko Kuzmanovic, bis zu jenem Moment, in dem dessen Karriere durch die Decke ging. Der Transfer zur US Palermo war eigentlich schon in trockenen Tüchern, die Verantwortlichen aus Sizilien in Basel, um die Verträge zu unterschreiben, als Kuzmanovic den Deal in letzter Sekunde platzen liess. Rund eine Woche später wechselte der Mittelfeldspieler dann doch noch vom FCB nach Italien – mit einem anderen Agenten, Marko Naletilic, und zu einem anderen Club, der Fiorentina.

Immerhin, Naletilic ist heute noch Kuzmanovics Berater. Er war kein reiner Dealer, der sich zwischen Spieler und Clubs schaltet, die Provision einstreicht – und wieder verschwindet. Diese Sorte von Agenten gibt es immer mehr. Sie halten Spieler feil, mit denen sie gar keine Verträge haben – und kontaktieren die Profis erst dann, wenn sie einen Verein haben, der Interesse an einer Verpflichtung zeigt.

Eine Erfahrung, die Giovanni Sio beim Wechsel von Sion zu Wolfsburg gemacht hat. «Ich bin mit einem Agenten ins Ausland, den ich vorher nicht gekannt habe», erzählt der FCB-Stürmer, «er hat Geld auf meinem Buckel verdient und sich danach nie mehr gemeldet, als ich Probleme hatte.»

Die Vereine sind auf die Agenten angewiesen

Und die Vereine? Sie ergeben sich in das System, weil sie bei der Spielersuche auf Angebote der Agenten angewiesen sind. Und wer einen Profi verpflichten will, muss sich auch mit dessen Berater arrangieren. Selbst wenn sich manch ein Sportchef fragt, warum er für die blosse Vertragsverlängerung mit einem Spieler auch noch ­dessen Agenten 100’000 Franken überweisen muss. Eine übliche Summe im Segment der gehobenen Schweizer Super-League-Clubs.

Doch solche Kröten muss ein Club offenbar schlucken. Der FCB zum Beispiel hält sich an eine sehr pragmatische Linie. Was bringt es, dem ehemaligen Stürmer Christian Giménez seinen Absprung nach Marseille kurz vor einem Qualifikationsspiel zur Champions League nachzutragen, wenn derselbe Giménez als Spieleragent acht Jahre später helfen kann, die heiss ersehnte Rückkehr von ­Matias Delgado einzufädeln?

5000 Franken für mich, 5000 Franken für dich

Und es gibt auch auf Clubseite nicht nur Engel. Sogenannte Kickback-Zahlungen auf Kosten der Vereine sind keine grosse Zauberei. Ein Sportchef verpflichtet einen Spieler über Wert und wird im Gegenzug vom Spieler-berater am Honorar beteiligt. Keine neue Erfindung. Volker Finke, ehemaliger Trainer des SC Freiburg, schilderte Jahre nach dem Transfer, wie ihn der Agent von Stürmer Harry Decheiver 1995 im Auto fragte, wie viel des Honorares er denn für sich reklamiere. Finke lehnte entrüstet ab.

Dasselbe wird offenbar bis zu kleinsten Beträgen herunter versucht. Ein Co-Trainer erzählt hinter vorgehaltener Hand, wie ihm der ehemalige Sportchef eines inzwischen konkursiten Schweizer Vereins vorschlug, sie könnten doch eine Ablösesumme erfinden. Der Trainer solle behaupten, der Ex-Club verlange 10 000 Franken für den Wechsel. Dieses Geld würden sie sich danach brüderlich teilen.

Die Uefa ist aufgeschreckt

Das sind natürlich Peanuts verglichen mit dem Geld, das im richtig grossen Fussball verdient werden kann. Und hier gibt es eine Entwicklung, die ­inzwischen sogar den Europäischen Fussballverband Uefa aufgeschreckt hat. Immer häufiger gehören die Transferrechte eines Spielers nicht dem Verein, bei dem er spielt, sondern einer Firma, die sich auf den Handel mit Fussballern spezialisiert hat.

«Wir wissen alle, dass der Besitz von Fussballspielern durch Dritte viele Gefahren mit sich bringt», sagte Uefa-Generalsekretär Gianni Infantino im letzten Dezember. Die Uefa beantragte deshalb beim Weltverband Fifa ein Verbot solcher Geschäfte.

Vor allem in Argentinien und Brasilien ist es üblich, dass die klammen Clubs die Rechte ihrer Spieler an Firmen von Spieleragenten verkaufen. Aber auch der FC Zürich hat auf seine Geldnot mit dem Versilbern seiner Transferrechte an (unbekannte) Drittpersonen reagiert.

In Argentinien gilt der FC Locarno als «mythischer Club»

Wie gut organisiert die wirklich grossen Agenturen sind, beweist ein Fall, der momentan in Argentinien Wellen schlägt. 150 Spielerberater wurden dort vorerst gesperrt, zehn Personen im Juni verhaftet. Ihnen wird Steuerhinterziehung vorgeworfen. Sie sollen Spieler zu geringen Transfersummen zu Clubs ausserhalb des Landes vermittelt haben. Und von dort ohne Unterbruch zu weit höheren Summen nach Europa – oder sogar wieder zurück nach Argentinien.

So konnten sie die Steuer von über 25 Prozent umgehen, die in Argentinien auf Transfererlöse erhoben wird. Als Umschlagplatz funktionierte dabei auch der FC Locarno. Dessen Präsident Stefano Gilardi gab 2007 im «Corriere del Ticino» offen zu, dass sein Club im Jahr 600’000 Franken erhalte, um als Drehscheibe zu funktionieren. «Absolut legal» sei dieses Geschäft. Inzwischen mag Gilardi nicht mehr viel dazu sagen.

Sein FC Locarno aber geniesst in Argentinien inzwischen eine gewisse Berühmtheit. «Der mythische Club» wird er in der Zeitung «Clarín» genannt. Und tatsächlich ist es einigermassen spektakulär, dass zum Beispiel der eben für 60 Millionen Franken von Real Madrid zu Napoli transferierte Gonzalo Higuaín einmal dem FC Locarno «gehörte». Wenn auch nur virtuell.

Sollte die argentinische Steuerbehörde Erfolg haben mit ihren Untersuchungen, könnte das zu einem Erdbeben im lateinamerikanischen Fussballmarkt führen. Der Schweizer Erpressungsfall wirkt dagegen bloss wie ein schlechter Krimi.

Bickel, Vogel und ein Agent ohne Lizenz

Die Geschichte klingt so absurd, dass sie als Buchmanuskript bei jedem Verlag durchfallen würde: Fredy Bickel unterschreibt als Manager der Young Boys am 22. November 2002 einen Brief, der Spielervermittler Peter Bozzetti das Vorkaufsrecht für die YB-Spieler mit 20 Prozent Rabatt einräumt. Im Gegenzug sollen 300 000 Franken an YB-Präsident Heinz Fischer fliessen. Die Abmachung wird nie umgesetzt – aber publik. Bickel und Fischer müssen YB verlassen. Eine Strafuntersuchung gegen Bickel wird eingestellt. Begründung: Die Anschuldigungen seien «haltlos».

Seither taucht das Dokument jeweils dann im «Blick» auf, wenn Bickel eine neue Stelle antritt. Zuletzt im Januar 2013. Bickel klagte wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte gegen den «Blick».

Am 12. September 2013 wird der hoch verschuldete Bozzetti verhaftet, der sich jahrelang im Dunstkreis der Yakins bewegte, aber über keine Lizenz verfügte. Auch Erich Vogel kommt in Untersuchungshaft, eine Art graue Eminenz des Schweizer Fussballs, früher GC- und FCB-Manager. Sie sollen versucht haben, bei Bickel 131 000 Franken zu erpressen. Womit, ist bislang unklar. Der ominöse Brief soll in Vogels Safe gelagert sein. Für Vogel und Bozzetti gilt die Unschuldsvermutung.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 27.09.13

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