Beim FC Barcelona wird bereits das Ende einer Ära besungen. Und ein argentinischer Fussballphilosoph fragt sich: Ist Lionel Messi zu lange mit dem Fussball verheiratet?
Bei der Auslosung sprachen viele von einem vorgezogenen Endspiel. Beim Hinspiel immerhin noch vom bisherigen Höhepunkt der Champions-League-Saison. Vor dem Rückspiel jedoch streiten sich der FC Barcelona und Manchester City vor allem noch darum, wer gerade die grössere Krise durchlebt.
Nach dem 2:0-Sieg im Hinspiel spricht eigentlich alles für Barcelona, zumal City sich mit dem Cup-Out zuhause gegen die Zweitligsten von Wigan Athletic nicht in beängstigender Verfassung präsentierte. In Barcelona freilich insistieren sie nach einer 0:1-Niederlage beim Abstiegskandidaten Valladolid: Wir sind noch viel schlechter beieinander, auf einem historischen Tiefpunkt nämlich.
Stellvertretend kommentierte die clubnahe Zeitung «Sport»: «Barças Ära ist zu Ende. Das beste Barça der Geschichte, erschaffen von Pep Guardiola, hat sich überlebt, auf wie neben dem Platz. Das Gegenteil zu sagen oder zu schreiben, wäre Betrug an Fans und Mitgliedern.»
Die ewige Schuldfrage
Sofort folgt natürlich die Frage nach der Hauptschuld. Trägt sie der gleichmütige Trainer Gerardo Martino, der, so die Kritiker, nicht mal mehr zu einer Brandrede in der Lage ist? Trägt sie die Vereinsführung, die auf das Halbfinal-Debakel gegen Bayern München vorige Saison bloss mit dem Transfer von Neymar reagierte? Ist eben dieser Neymar schuld, der seine Expedition nach Barcelona als lockeren Aufgalopp für die Heim-WM zu verstehen scheint? Oder liegt es vor allem an Messi?
Ja, Messi. Selbst der ist trotz seiner Verdienste nicht mehr sakrosankt, und ausnahmsweise hat das mal nichts mit Populismus zu tun. Ganz im Gegenteil sogar. Viele Experten beissen sich eher auf die Zunge, als Messi zu kritisieren. Wo sie doch genau wissen, dass er möglicherweise schon nach dem Spiel gegen City wieder für zwei, drei oder vier Tore zu feiern ist. Allein in den letzten fünf Champions-League-Achtelfinalrückspielen hat er 14-mal getroffen.
Messi wirkt teilnahmslos, wie abgeschaltet
Messi schiesst ja immer noch Tore. Und wer ihn nur im Fernsehen sieht, gar nur in Zusammenschnitten vielleicht, wird höchstens feststellen, dass ihm seine Sololäufe immer häufiger misslingen. Im Stadion aber ergibt sich ein anderes Bild. Da erschrecken die Zuschauer oft angesichts seiner Apathie.
Messis Körpersprache sprühte auch früher nicht vor Testosteron, dafür verbreitete sie immer diese überbordende Lust am Spiel. Irgendwo auf dem Weg vom Kind zum Mann ist sie ihm verloren gegangen.
Befindet sich der Ball gerade nicht in der Nähe, wandert der viermalige Weltfussballer oft teilnahmslos über den Platz, den Kopf gesenkt, wie abgeschaltet. Am für Barcelonas Fussball so wichtigen Pressing beteiligt er sich nur in äusserst ausgesuchten Momenten.
Mehr als die Gegner verunsichert er damit die eigenen Mitspieler, die ihn ständig zu interpretieren versuchen müssen. Womöglich kein Zufall, dass Barcelona während seiner Verletzungspause zum Jahresende 15 von 18 möglichen Ligapunkten holte. Und seit seiner Rückkehr nur 14 von 27.
Der Beweis kommt aus Madrid: Messi nimmt immer weniger am Spiel teil
Die individuellen Statistiken zum Niedergang lieferte die Madrider Zeitung «Marca». In der Saison 2011/12 partizipierte Messi im Schnitt 101,56 Mal pro Ligapartie am Fortgang des Geschehens. Diese Saison kommt er im Schnitt auf bloss auf 65,78 Aktionen. Auch die Anzahl seiner Pässe – 43,73 pro Partie, im Vergleich zu seinem Höchstwert von 70,72 – ist auf das Niveau seiner Anfangsjahre gefallen, als er noch in der Peripherie des Spiels agierte, auf dem rechten Flügel, und nicht im Zentrum. Im Alter von 26 Jahren entwickelt sich Messi nicht mehr weiter, sondern zurück.
Das gilt auch in Bezug auf sein Verhalten in der Gruppe, das noch verschlossener geworden ist. Captain Carles Puyol hat gerade seinen Rücktritt zum Saisonende bekannt gegeben, auch Vize Xavi verwelkt mit seinen 34 Jahren allmählich, Torwart Valdés verlässt den Klub auf eigenen Antrieb, Andrés Iniesta ist zu gutmütig, Sergio Busquets zu phlegmatisch, Gerard Piqué zu selbstbezogen.
Es wäre an Messi, die Mannschaft durch ihr Vakuum zu führen. Aber Leader-Qualitäten verlangt ihm schon gar keiner mehr ab. Sie wären ja alle froh, wenn sie überhaupt an ihn herankämen und eine Antwort erhielten auf die Frage dieser Saison: Was ist bloss mit Messi los?
Sind es die Steuern, ist es der Magen?
Es gab den Prozess wegen Steuerhinterziehung im Sommer, aber der endete glimpflich mit einer Strafzahlung, und um finanzielle Angelegenheiten hat er sich sowieso nie selbst gekümmert. Es gab seine Muskelverletzungen, die lange als Begründung für seine Schwächephase herhielten – die Hoffnung, dass er generalerholt aus einer zweimonatigen Auszeit vor Weihnachten zurückkäme, haben sich allerdings nicht erfüllt.
Und es gibt die Debatte um seinen Magen. Vorige Woche beim Länderspiel von Argentinien in Rumänien musste er sich übergeben, nicht zum ersten Mal. «Es passiert während der Spiele, im Training und zu Hause», sagte Messi, er habe sich auch schon öfters untersuchen lassen, ohne Ergebnis, aber ein Problem sei es nicht. Tatsächlich übergab er sich etwa auch schon im Supercup-Final 2011 gegen Real Madrid, das er mit zwei Toren für Barcelona entschied.
Bleibt also nur die eine, schlimmste Erklärung, die Ángel Cappa so deutlich wie kein anderer in Worte gekleidet hat. «Um Fussball zu spielen, braucht es enorme Leidenschaft, eine Energie, die von der absoluten Liebe zu diesem Spiel rührt», erklärte der argentinische Trainer und Schriftsteller: «Die hat Messi verloren. Es ist, als ob er seit 15 Jahren mit dem Fussball verheiratet wäre – und der ihn einfach langweilt.»