Während seine potentiellen Rivalen noch nachdenken, macht Thomas Bach den ersten Stich: Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes will an die Spitze des Internationalen Olympischen Komitees.
Der Politiker, der Diplomat, der Stratege, der Taktiker, der Sportler, der Kämpfer, der Mensch: Der Kandidat für das höchste Amt im Weltsport präsentierte am Donnerstagmittag im Frankfurter Haus des deutschen Sports im blauen Anzug und mit gefalteten Händen den ganzen Thomas Bach. Mit allen Facetten, die ihm schon bis heute zu einer steilen Karriere verholfen haben.
Nun aber steht der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und Fechtolympiasieger von 1976 vor dem Gipfel seiner Laufbahn. Aus dem Vizepräsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) kann am 10. September in Buenos Aires der Nachfolger des belgischen Comtes Jacques Rogge und damit erste deutsche IOC-Präsident werden. Den Chirurgen aus Gent, der satzungsgemäss nach zwei Wahlperioden zurücktritt, will der 59 Jahre alte Wirtschaftsanwalt aus Tauberbischofsheim beerben.
Am Mittwoch offenbarte sich Bach in einem längeren Gespräch zunächst seinem Freund Rogge. Der bekam auch als erster Bachs Bewerbungsschreiben zu lesen, das am Mittwochabend an die übrigen IOC-Mitglieder versendet wurde. Am Donnerstag erklärte Bach vor fünfzig Journalisten und neun Kameras die Beweggründe für sein Bestreben, in vier Monaten auch noch den letzten Schritt zur IOC-Spitzenposition gehen zu wollen, nachdem sein Anspruch schon am Abend zuvor publik geworden war.
Bach setzt ersten Stich
Wirklich überrascht hat Bach zwar mit seiner Kandidatur niemand mehr, doch dass er als Erster den Hut in den Ring warf vor den erwarteten Konkurrenten, etwa dem IOC-Finanzchef Richard Carrion aus Puero Rico oder den olympischen Kollegen Ng Ser Miang aus Singapur und Denis Oswald aus der Schweiz, war denn doch ein Coup. Während die potentiellen Rivalen bei einem Meldeschluss bis zum 10. Juni noch nachdenken, kann Bach schon handeln.
Ein weiterer Vorteil für den Wahlfavoriten und früheren Florettfechter, der am Mittwoch, touché, den ersten Stich bei seinem letzten grossen Wettkampf setzte und am Donnerstagabend in Rom bei einer Jubiläumsveranstaltung des italienischen Nationalen Olympischen Komitees (Coni) die erste Wahlkampf-Gelegenheit nutzte, seine Ziele zu umreissen.
Bach ist längst einer der prägenden Köpfe der olympischen Bewegung.
«Ich wollte nicht weiter mit einer Quasihängepartie antreten», sagte Bach dazu, dass das, was alle ahnten, endlich heraus musste. Der Schauplatz des Showdowns in vier Monaten kommt dem obersten deutschen Sportfunktionär, seit 1991 IOC-Mitglied und bei den Winterspielen 2010 in Vancouver zum dritten Mal zum Vizepräsident gekürt, gerade recht. In der argentinischen Hauptstadt wurde der Mannschaftsolympiasieger 1977 zum letzten Mal Mannschaftsweltmeister – nach einem 1:7-Rückstand gegen Italien.
Aus einer derart aussichtslos anmutenden Position wird sich Bach diesmal nicht zum Sieg durchschlagen müssen. Er, der im IOC seit 2001 die Juristische Kommission leitet und unter anderem auch Chef der Disziplinarkammer bei den Spielen ist, ist längst einer der prägenden Köpfe der olympischen Bewegung.
Angela Merkel wünscht sich «Erfolg»
Einst gefördert von grossen deutschen Vorgängern im elitären Kreis der Ober-Olympier wie den vormaligen IOC-Vizepräsidenten Willi Daume, der mit seiner Präsidentschaftskandidatur 1980 am Spanier Juan Antonio Samaranch scheiterte, und Berthold Beitz, verfügt der fränkische Jurist über ein fein gewirktes Netzwerk bester Kontakte zur Politik, zur Wirtschaft und zu den Granden des Sports. «Erfolg» wünschte ihm Bundeskanzlerin Angela Merkel, die die Kandidatur nach den Worten eines Regierungssprechers «sehr begrüsst».
«Man muss Courage haben, sich in einem Wahlkampf als erster darzustellen. Das finde ich gut.»
Zu den ersten Gratulanten des Bewerbers Bach gehörte am Donnerstag auch Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fussball-Bundes. «Ich weiss», erklärte er, «welch aussergewöhnlich hohe Wertschätzung er im internationalen Sport geniesst, über welch grosse Erfahrung und Kompetenz er verfügt.
Für den gesamten deutschen Sport wäre es ein Zeichen höchster Anerkennung, sollte er an die Spitze des IOC gewählt werden.» Joseph Blatter, als Präsident des Internationalen Fussball-Verbandes noch nie um eine Finte verlegen, bewunderte Bachs Mut. «Man muss Courage haben, sich in einem Wahlkampf als erster darzustellen. Das finde ich gut.»
Bach selbst definiert sich und seine Ambitionen vor allem aus seiner «Leidenschaft» für den Sport und die olympische Idee; dazu lassen ihn seine gebündelten «Führungs- und Managementerfahrungen auf nationaler und internationaler Ebene zu der Überzeugung kommen, für die Aufgabe des IOC-Präsidenten vorbereitet zu sein».
Seinen höchsten Anspruch auf ein Amt, das ihn «demütig» mache, will Bach demnächst auch programmatisch unter dem Motto «Einheit in Vielfalt» untermauern, um der «Universalität und Solidarität der Olympischen Bewegung» an oberster Stelle dienen zu können.
Kein Gedanke an Niederlage
Würde er am 10. September am Ort eines früheren sportlichen Triumphs gewählt, er bekleidete sein neues Amt so ehrenamtlich wie all seine acht Vorgänger in der 119 Jahre alten Geschichte des IOC. Dass er als erster ehemaliger Olympiasieger die Chance vor Augen hat, nun auch zum Chef-Olympier zu werden – und dafür wie früher als Sportler kämpfen muss, erinnert Bach «an gute, alte Athletenzeiten. Man ist, wenn man so will, auf dem Weg in ein Trainingslager.»
Der Fechter von gestern, dem eine gewisse Raffinesse und pragmatische Schläue zueigen ist, fiebert den kommenden vier Monaten im Wettkampfmodus entgegen. Einen direkten Zusammenhang mit dem neuen Anlauf, den München als möglicher Ausrichter der Olympischen Winterspiele 2022 unternimmt, sieht Bach nicht, «und wenn, dann höchstens positiv». Dass ihn auf dem Weg zum erhofften Sieg der deutsche Sport, wie DOSB-Generaldirektor Michael Vesper – ein denkbarer Nachfolger Bachs als DOSB-Gründerpräsident – sagte, «geschlossen und mit ganzer Kraft unterstützen» wird, freut den Kandidaten.
«Wenn man an eine Niederlage denkt, trägt man einen erheblichen Teil dazu bei, dass das dann auch passiert.»
An eine Niederlage denkt Thomas Bach dabei nicht. «Wenn ich die Planche betrete und dabei denke, was passiert, wenn ich verliere, trägt man einen erheblichen Teil dazu bei, dass das dann auch passiert.» Darum, und da sprach Bach wie ein Profi der Fussball-Bundesliga, will der Präsident in spe bei seiner Kampagne nur auf sich und nicht auf die Wahlkampfmanöver der Konkurrenz schauen. Sagt er zumindest.