Ihr Leben und ihre Karriere gleicht einer Achterbahnfahrt. Nun spielt Timea Bacsinszky ein hervorragendes Jahr, die Waadtländerin hat zwei Turniere gewonnen und steht in Indian Wells in den Achtelfinals. Und ihre grossen Träume hat die 25-Jährige noch nicht aufgegeben.
Es hätte Tausend gute Gründe für Timea Bacsinszky gegeben, dieses Spiel in Indian Wells zu verlieren, in der grünen Tennis-Oase in der Wüste Kaliforniens. Viel Tennis hat die 25-jährige Waadtländerin in den letzten Wochen gespielt, sehr erfolgreiches Tennis, sehr kraftraubendes Tennis.
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Das hätte niemanden gewundert, wenn sie, die stolze und strahlende Turniersiegerin der zurückliegenden Wettbewerbe von Monterrey und Acapulco, nun im Match gegen die Weltranglisten-Neunte Elena Makarowa (Russland) irgendwann innerlich das Handtuch geworfen hätte. Nach dem verlorenen ersten Satz oder auch nach den beiden Breaks, die sie im dritten Satz in Rückstand brachten, schliesslich sogar mit 2:4.
Aber wer bei seiner Arbeit so viel Spass, «tiefe Glücksgefühle» und «positive Emotionen» spürt wie gerade Bacsinszky, der ist auch fähig, das Unmögliche möglich zu machen – und nicht etwa, wie in schwärzeren Tagen dieser wechselhaften Karriere, das Mögliche unmöglich.
Der 16. Erfolg in Serie
Jedenfalls drehte die beste Schweizerin im Welttennis, die Nummer 26 der WTA Tour, diese Partie noch zu einem 3:6, 7:5, 6:4-Sieg um, holte sich damit den 16. Erfolg in Serie und zog erstmals ins Achtelfinale bei einem der grössten Turniere abseits der Grand Slams ein. Es ist wahrlich keine Übertreibung, wenn man Bacsinszky als Frau der Stunde im Tennis-Wanderzirkus bezeichnet. Oder auch als Phänomen der Branche.
Timea Bacsinszky nach ihrem Finalsieg in Monterrey, Mexico, am 9. März 2015. (Bild: Keystone/MIGUEL SIERRA)
«Ich spüre eine tiefe Genugtuung, was ich in den letzten Wochen und Monaten erreicht habe», sagt die Mittzwanzigerin, die in Indian Wells jetzt in der Runde der letzten 16 auf die Ukrainerin Elina Switolina trifft, eine Spielerin, der sie bei ihren Reisen durch die Tenniswelt bisher noch nie auf dem Platz begegnet ist.
Die Befreiung aus schwierigen Lebenslagen und Spielständen
Schaut man auf die Bacsinszky dieser Märztage des Jahres 2015, dann steht auch die Frage im Raum, was mehr zu respektieren und zu bewundern ist: Die sportliche Dynamik und Power, die Siegermentalität und der Kampfeswille? Oder, auf einer ganz anderen Ebene, die Stärke, mit der sie ihrem ganzen Leben, auch ihrer schweren Tennis-Biografie, diesen unwahrscheinlichen Dreh gegeben hat? Zuletzt eben auch diesen Dreh zu unwahrscheinlicher Konstanz auf hohem Niveau?
Denn, das muss ja gesagt werden: So wie sie im Moment aus Bedrängnis und Not heraus immer wieder Matches gewinnt, sechs Mal nach Satzrückstand allein in diesem Jahr, so rettete sie ja auch ihre ganze Karriere gegen massive Widerstände und persönlich schwierigste Lebensbedingungen. Auch die gebürtige Lausannerin gehörte zu den Tenniskindern, die unter einem dominanten Vater litten, unter totaler Fremdbestimmung. Die nicht wussten, wofür und für wen sie eigentlich Tennis spielten. Die bei kleinsten Fehlschlägen in grösste Verzweiflung stürzten, weil sie glaubten, alles könne vorbei sein im Tennisleben.
«Ich bekam eingetrichtert, dass ich überall die Jüngste und Erfolgreichste sein muss», sagt Bacsinszky, «erst heute weiss ich, dass man vor allem Geduld braucht. Eine Tenniskarriere ist lang, es bringt nichts, sich unter Druck zu setzen.»
Souverän geht Bacsinszky mit ihrer Vergangenheit um
Mit dieser neuen Gelassenheit geniesst sie nun das Glück der späten Jahre. Bacsinszky hat sich von vielem und von vielen emanzipieren müssen, um mit frischer Souveränität und Eigen-Mächtigkeit auf den Centre Court gehen zu können. Und Stärke gewinnt sie heute auch aus der Offenheit und Konsequenz, mit der sie über ihre schlimmeren Jahre redet, die verkorkste Kindheit, das elterliche Scheidungsdrama, die Loslösung vom Vater. Und auch darüber, dass sie nicht weit davon entfernt war, die billige, schlechte Lösung ihrer Probleme in Drogen zu suchen: «Ich hätte auch kaputt gehen können damals», sagt sie, «weit entfernt war ich davon nicht.»
Die Krisen ihres Lebens hat Timea Bacsinszky bis anhin gemeistert. (Bild: Keystone/MICHAEL NELSON)
Bacsinszky ist der Boss des Unternehmens Bacsinszky, das betont sie. Aber nicht aus Angeberei, aus Prahlerei. Sondern, um klarzumachen, wohin der lange, schwere Weg sie geführt hat – zu einer anerkannten Chefin, die hellsichtig die Strukturen im System Profitennis durchblickt und genau weiss, mit wem sie für den Erfolg zusammenarbeiten muss und soll.
«Ich bin mit 100 Prozent in dieser Arbeit drin, das ist mein Revier jetzt», sagt Bacsinszky, die vor allem von der Zusammenarbeit mit Dimitri Zavialoff profitiert, einst der langjährige Begleiter und Förderer von Stan Wawrinka.
Der Traum vom Grand-Slam-Sieg
Wohin kann und soll es noch gehen für Bacsinszky, die Spielerin, die in der Jahres-Weltrangliste der WTA unter den Top Ten steht, zusammen mit den Arrivierten und Etablierten der Szene? Keine «festen Ziele» gebe es, returniert die 25-Jährige, um sich dann doch lächelnd zu korrigieren: «Doch, ich habe schon ein Ziel: Ich will weiter so viel Spass am Tennis haben wie jetzt, mit den richtigen Leuten an meiner Seite.»
Dann, so sagt sie, «geht auch noch einiges für mich. Den Traum, mal einen Grand Slam zu gewinnen, den träume ich auch noch immer.» Nach der Achterbahnfahrt eines ganzen Lebens, einer ganzen Karriere.
Der Tennis Garden in der kalifornischen Wüste von Indian Wells. (Bild: Reuters/Jayne Kamin-Oncea)