Nach seinem 91. Turniersieg legt Roger Federer eine Pause ein. Trotz der erstaunlichen Erfolge in der noch jungen Saison sagt der Schweizer: «Der eigentliche Start ins Jahr kommt nach Paris.»
Als Roger Federer sich im Winter-Trainingslager in Dubai mit seinen engsten Vertrauten zusammensetzte, war die Marschroute für 2017 schnell abgesteckt. In den ersten vier, fünf Monaten sollte Federer sich bei seinem Comeback langsam, aber beharrlich an die Weltspitze zurücktasten, Selbstbewusstsein und Schlagsicherheit finden und vielleicht auch einmal in die Nähe eines Turniersieges kommen.
Seine Saison, das war der naheliegende Plan, würde «erst so richtig nach den French Open» beginnen. In der Vorbereitung auf Wimbledon, auf die Hartplatzmonate – die Zeit also, die traditionell Federer-Zeit im Tennis ist. Die Zeit, in der er fast immer seine grössten Erfolge feierte.
Federer ist einer der grössten Realisten in seinem Sport. Er weiss, was möglich ist für ihn und was nicht. Er ist der schärfste Analytiker, der klarsichtigste Beobachter, wenn es um sich selbst geht. Und deshalb könnte es in diesen wundersamen Tagen auch keinen geben, der über Federer mehr erstaunt wäre als Federer.
«Der eigentliche Start ins Jahr kommt nach Paris. Wimbledon ist weiter das grösste Ziel für mich.»
Am Sonntagabend stemmte der 35-Jährige schon zum dritten Mal in der noch jungen Saison einen mächtigen und wichtigen Pokal in die Höhe, beim Millionenspektakel in Miami. Wie zuvor in Melbourne, bei den Australian Open, und in Indian Wells löste sich das grosse Fragespiel um den Turniergewinner ebenso verblüffend wie denkwürdig im Namen Federer auf: «Es ist das Verrückteste, was mir in meiner Karriere passiert ist», sagte der Baselbieter nach dem 6:3, 6:4-Sieg über Rafael Nadal, nach dem 91. Erfolg seiner Ausnahmekarriere.
Noch immer gelte für ihn, so Federer: «Der eigentliche Start ins Jahr kommt nach Paris. Wimbledon ist weiter das grösste Ziel für mich.»
Miami, Ort des dritten Triumphs von Roger Federers junger Saison. (Bild: Reuters/Geoff Burke)
In dieser Saison hat Federer schon scheinbar Unmögliches geschafft, Wunder können nun etwas später folgen. Sein Comeback ist – bei aller Vorsicht vor Superlativen – das eigenartigste und unglaublichste im Welttennis überhaupt, eine Rückkehr zu höchsten Höhen, quasi aus dem Nichts.
Aus den Zweifeln und auch Ängsten heraus, was eigentlich werden würde nach den sechs Monaten quälender Verletzungspause seit Juli 2016. Und nach einer rundum verkorksten Spielserie. «Du hast für nichts eine Garantie. Ich war auch darauf eingestellt, dass es eine ganz zähe, komplizierte Angelegenheit wird», sagt Federer, «deshalb habe ich zunächst gar nichts erwartet. Keine Finals, keine Siege. Nichts.»
So riskantes und vorwärtsgewandtes Tennis wie nie zuvor
Federer hat sich in seiner Karriere immer wieder neu erfunden, verändert und neu aufgestellt als Ein-Mann-Unternehmen am Spielplatz Centre Court. Die Zwänge des fortgeschrittenen Alters hat er nun in eine spielerische Frische und Freiheit uminterpretiert, die einem den Atem raubt.
«Es geht gar nicht anders, als jetzt Prioritäten zu setzen» – Roger Federer will fit sein, wenn es zählt.
Was noch in der gemeinsamen Zeit mit Berater Stefan Edberg begann, eine grössere Offensivkraft und zunehmende Netzattacken, hat Federer nun – unter dem Eindruck körperlicher Grenzen – konsequent weitergedacht: Er spielt nach seinem Comeback jedenfalls so riskant, so vorwärtsgewandt wie nie zuvor. Oft ist es regelrechtes Harakiri-Tennis.
Aber die Erfolge geben ihm recht. «Wenn du gewinnst, ist schnell das Selbstbewusstsein da. Und dieses Selbstbewusstsein trägt dich immer weiter», sagt Federer. Schon ist er auch in der Hackordnung der Profis wieder auf Platz 4 gestiegen. Begonnen hatte er seine unsichere Rückkehrmission auf Platz 16.
Pause bis zu den French Open – mindestens
Die wichtigste Erkenntnis für Federer, der ermutigende Lerneffekt für seine späten Jahre in der Tretmühle der Tingeltour ist aber dies: Er kann sich nicht nur kürzere und mittellange Pausen leisten, um wieder zu Kräften zu kommen. Er kann sogar lange Auszeiten nehmen, ohne wirklich an Boden zu verlieren.
Alle Objektive sind auf den 18-fachen Grand-Slam-Sieger gerichtet – Roger Federer ist das Aufregendste, was die ATP-Tour zur Zeit zu bieten hat. (Bild: Reuters/ERIK S. LESSER)
Deshalb hat Federer auch jetzt Mut zur Lücke und setzt knallhart und kompromisslos seine Prioritäten. Statt Energie bei den zermürbenden Rutschpartien im Sand zu verschwenden, gegen die hochspezialisierten Ausdauerkünstler, tritt der Schweizer erst einmal gepflegt zur Seite. Mindestens bis zu den French Open will er pausieren.
Ob er dann wirklich im Stadion Roland Garros aufschlägt, ist aber noch keineswegs ausgemachte Sache. «Ich bin nicht mehr 24. Ich muss mich auf das konzentrieren, was für mich aussichtsreich ist und was gut für meine Gesundheit ist», sagt Federer. «Ausserdem braucht mich meine Familie auch.»
Meister der strategischen Planung
Damit ist Federers Weg nicht nur für 2017, sondern für die letzten Jahre seines Berufslebens vorgezeichnet. Der Champion, schon immer ein Meister der strategischen Planung, wird zum möglichst effizienten Teilzeitarbeiter – rar und rarer werden seine Auftritte sein. Immer mit der Prämisse, dann fit zu sein, wenn es zählt für ihn. Ob nun in Wimbledon, New York oder bei der WM in London.
«Es geht gar nicht anders, als jetzt Prioritäten zu setzen», sagt Federer. Die Hetzjagd um Platz eins, sie zählt auch nicht mehr zu diesen Prioritäten. Darum können sich nach Federers Willen andere kümmern.