Turnt Simone Biles, kommt man aus dem Staunen nicht heraus

Simone Biles turnt bei den Sommerspielen in ihrer eigenen Klasse. Auch wenn sie auf dem Schwebebalken eine vierte Goldmedaille verpasste und damit die Chance, zur erfolgreichsten Athletin ihrer Sportart werden – das US-amerikanische Wunderkind verzückt die Turnwelt.

2016 Rio Olympics - Artistic Gymnastics - Final - Women's Individual All-Around Final - Rio Olympic Arena - Rio de Janeiro, Brazil - 11/08/2016. Simone Biles (USA) of the U.S. competes. REUTERS/Dylan Martinez FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS.

(Bild: Reuters/DYLAN MARTINEZ)

Simone Biles turnt bei den Sommerspielen in ihrer eigenen Klasse. Auch wenn sie auf dem Schwebebalken eine vierte Goldmedaille verpasste und damit die Chance, zur erfolgreichsten Athletin ihrer Sportart werden – das US-amerikanische Wunderkind verzückt die Turnwelt.

Dieses Warten ist unerträglich. Viele Turnerinnen gehen nervös auf und ab, andere kneten vor Aufregung ihre Finger. Aus Sekunden werden gefühlte Minuten. Wie haben die Wettkampfrichter entschieden? Hat es gereicht für eine Medaille? Es ist immer das gleiche Prozedere, wenn sie in Rio de Janeiro ihren Auftritt haben. Nur bei Simone Biles nicht.

Hat die 19-Jährige ihre Übung absolviert, eilen sogleich die Gratulanten herbei: Kollegen, Trainer, Betreuer. Es bedarf keines Urteils der Jury, um zu wissen, wer die Beste ist. Die vielen Fotografen haben sich längst in Stellung gebracht.

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Es ist Biles. Natürlich, wer denn sonst? Die 19-Jährige ist der grosse Star bei den Sommerspielen in der Rio Olympic Arena, fast täglich kommen 12’000 Zuschauer aus dem Staunen nicht mehr heraus. Biles turnt in ihrer eigenen Liga – kraftvoll, akrobatisch, spektakulär.

Am Sonntag siegte Simone Biles am Pferd, nachdem sie zuvor mit dem Team und im Mehrkampf gewonnen hatte. Das gerade einmal 1,45 Meter grosse Wunderkind aus Texas ist auch hohe Favoritin am Balken (Final an diesem Montag um 20.45 Uhr MESZ) und auf dem Boden (Dienstag, 19.45).

Simone Biles‘ Schwebebalken-Übung im Mehrkampffinal (mit einem Klick aufs Bild zum SRF-Video):

2016 Rio Olympics - Artistic Gymnastics - Final - Women's Individual All-Around Final - Rio Olympic Arena - Rio de Janeiro, Brazil - 11/08/2016. Simone Biles (USA) of USA competes on the beam during the women's individual all-around final. dy REUTERS/Dylan Martinez FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS.

(Bild: Reuters/DYLAN MARTINEZ)

Schon jetzt werden Vergleiche mit der einzigartigen Nadia Comaneci angestellt. Die Rumänin eroberte als 14-Jährige bei den Sommerspielen in Montreal 1976 die Turn-Welt und war als erste Athletin mit der Traumnote 10 ausgezeichnet worden. 1980 in Moskau trat sie erneut an und holte insgesamt fünfmal Gold, dreimal Silber und einmal Bronze.

Die 10er-Wertung wurde 2004 abgeschafft, heute wird nach Ausführung und Schwierigkeitsgrad entschieden, nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Das gilt auch für Biles, die mit einer schier unglaublichen Sicherheit ihr Programm abspult und die Gesetze der Schwerkraft scheinbar widerlegt. Mit zehn WM-Titeln war sie nach Rio angereist, drei Olympiasiege waren es bereits bis zum Sonntag. Und das soll noch längst nicht alles gewesen sein.

Entdeckt bei einem Vorschulausflug

Wenn Biles in ihrem roten Dress mit den Glitzerpailletten die Turnwelt verzückt, sitzen Ron und Nellie immer in der ersten Reihe. «Mom und Dad», sagt Biles zu ihnen, dabei sind es eigentlich die Grosseltern. Doch ohne die beiden wäre Rio wohl um eine Attraktion ärmer.

Denn Biles stammt ursprünglich aus Cleveland/Ohio. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt, ihre Mutter Shannon war abhängig von Drogen und Alkohol. Mit ihren drei Geschwistern wuchs sie im Pflegeheim auf, ehe sie zusammen mit Schwester Adria in die Obhut ihrer reichen Grosseltern kam. Das war im Alter von sechs Jahren.



2016 Rio Olympics - Artistic Gymnastics - Victory Ceremony - Women's Vault Victory Ceremony - Rio Olympic Arena - Rio de Janeiro, Brazil - 14/08/2016. Ron and Nellie Biles clap as Simone Biles (USA) of USA receives her gold medal. REUTERS/Ruben Sprich FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS.

Mom an Dad, die eigentlichen Grosseltern Ron and Nellie Biles, sind, sind immer dabei, wenn Simone Biles ihr nahezu perfektes Kunstturnen zelebriert. (Bild: Reuters/MIKE BLAKE)

Und schon bald sollte sich ihr Leben ein weiteres Mal massgeblich verändern. Ein Vorschulausflug führte die Gruppe ins Bannons Gymnastix. Dort machte Biles die Übungen der älteren Turner nach. Die Trainer waren so sehr beeindruckt, dass sie gleich einen Brief an die Grosseltern schickten und darum baten, sie mögen doch das grosse Talent im Turnverein anmelden.

Für die Übung «The Biles» gibt es noch keine Nachahmerinnen

Gesagt, getan: Die Grosseltern aus Texas bezahlten die teure Ausbildung. Biles’ Karriere konnte beginnen. Ihr zur Seite steht seitdem Aimee Boorman, die bereits seit 13 Jahren ihre Trainerin ist: Und so stellte Boorman die kleine Simone Biles vor eine schwere Entscheidung. Sie könne zur High School gehen und womöglich eine gute College-Turnerin werden, oder sie konzentriere sich auf ihre Karriere und werde in Heimarbeit unterrichtet. Biles entschied sich für die zweite Option.

Zum Glück, ansonsten hätte die Turnwelt die sagenhaften Sprünge des Teenagers womöglich nie erlebt. So hat die Ausnahmesportlerin den doppelten Salto mit halbrechter Drehung erfunden. «The Biles» heisst die Übung inzwischen. Nachahmer gibt es derzeit keine, die Übung ist schlichtweg zu schwer.

Doch wo sind schon bei Biles die Grenzen?

Fünf Goldmedaillen sollen es werden, in Tokio 2020 könnten weitere hinzukommen. Wobei für Kunstturnerinnen die Zeit oft begrenzt ist. Gewichtszunahme oder Längenwachstum können den Körper so verändern, dass die über Jahre wie bei einer Dressur fest eingeschleiften Übungen nicht mehr funktionieren. In Rio jedoch ist Simone Biles die Turnsensation schlechthin.

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2016 Rio Olympics - Artistic Gymnastics - Victory Ceremony - Women's Vault Victory Ceremony - Rio Olympic Arena - Rio de Janeiro, Brazil - 14/08/2016. Simone Biles (USA) of USA, Giulia Steingruber (SUI) of Switzerland and Maria Paseka (RUS) of Russia listen to the USA anthem. REUTERS/Ruben Sprich FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS.

Die dritte Goldmedaille: Simone Biles eingerahmt von Giulia Steingruber und der Russin Maria Paseka bei der Siegerehrung im Pferdsprung. (Bild: Reuters/RUBEN SPRICH)

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