Viel mehr Tradition, Mythos und Skurrilität geht nicht: Australien zeigt im Cricket den Engländern mal wieder, wo die Wickets stehen. Entschieden wurde der epische Wettstreit über Wochen hinweg bereits Ende Dezember, aber die Serie wurde am Sonntag bis zum bitteren Ende und dem 0:5 aus englischer Sicht weitergespielt.
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Cricket ist anders. Was im Fussball nach 90 oder bestenfalls 120 Minuten vorbei ist, kann beim Cricket fünf Tage dauern. Das Regelwerk besteht nicht aus Regeln sondern aus «laws», die Pause heisst Tea-Time und das Spiel ist für viele mindestens so undurchsichtig wie Zusammenhänge der Finanzwirtschaft.
Für die Eingeweihten jedoch ist es so spannend und packend, dass am 26. Dezember 91’092 Zuschauer im Melbourne Cricket Ground für einen Rekord sorgten. Nie zuvor sahen so viele Menschen in einem Stadion beim Cricket zu. Und das, obwohl die «Ashes» eigentlich nach drei Siegen Australiens über England bereits entschieden waren.
Exklusiver Vergleich in eigener Liga
Die oberste Liga des Cricket-Sports, das Test-Cricket, ist ein auserwählter Club von zehn Nationen im Gürtel des Commonwealth, von Australien über Pakistan bis zu den West Indies. Die in englischen und australischen Augen wichtigste, mit Sicherheit aber traditionsreichste Auseinandersetzung ist aber noch exklusiver.
Selbst grosse Cricket-Nationen wie Südafrika, Sri Lanka oder auch Weltmeister Indien bleiben per se Zaungäste wenn sich Engländer (gemeinsam mit Walisern) gegen Australier zwei Monate lang in einer fünf Tests umfassenden Serie um eine kleine Urne voll mysteriöser Asche streiten und ihre Landsleute in Euphorie versetzen oder in Depression stürzen.
Die Ashes: viel postkoloniale Abneigung und ein klein wenig Freundschaft
Die Ashes sind für viele Engländer viel mehr als ein Cricket-Test. Sie sind ein Drama in fünf Akten und der Stellvertreter für die lange Rivalität zwischen England und Australien, die geprägt ist von viel postkolonialer Abneigung und einem klein wenig Freundschaft.
Wenn die Engländer spotten «God Save Your Queen» und die australischen Medien im englischen Spieler Stuart Broad den Teufel persönlich sehen, dann schwingt da immer auch ein sublimierter Kriegsersatz mit.
Der Gewinner der Ashes schwebt hypnotisiert auf Wolken und ist dem Verlierer physisch, psychologisch, organisatorisch und moralisch überlegen. Der Verlierer stürzt für gewöhnlich in eine tiefere Identitätskrise. Und doch hält die beiden Erzrivalen im Innersten etwas zusammen. Für beide gilt: Wir sind eigentlich wie ihr – nur eben doch ganz anders.
Englands Comeback 2005
Auf der sportlichen Bühne hat der Vergleich zwischen «Aussies» und «Poms» eine erbitterte Tradition, die auch ausserhalb des Cricket-Sports spannende Kapitel schrieb. An Rugby-Weltmeisterschaften standen sich die beiden schon zweimal im Finale gegenüber – mit je einem Finalsieg. Den Engländern gelang der Sieg im Jahre 2003 dank Superstar Johnny Wilkinson in quasi letzter Sekunde – und das auf australischem Boden.
Im Radsport lieferten sich Victoria Pendleton und Anna Meares ein langjähriges Kopf-an-Kopf-Rennen um olympische Ehren. Und als Tim Henman im Jahre 2002 kurz vor dem Einzug in den Wimbledon-Final stand, wurde er nicht von irgendjemandem daran gehindert, sondern vom Australier Lleyton Hewitt.
Bei den Ashes war die Angelegenheit lange unausgeglichener. Nach 1987 begann eine australische Dominanz aus der sich die Engländer erst 2005 in einer spektakulären Serie mit einem 2:1 Sieg (bei zwei Unentschieden) befreien konnten. Obwohl die Engländer die Urne seither weitere dreimal gewinnen konnten, reden noch heute alle nur vom historischen Sieg 2005.
1882 fing alles an
Angefangen hat der ganze Wettstreit aber bereits im 19. Jahrhundert. Nachdem eine englische Auswahl 1882 zum ersten Mal gegen eine australische ein bereits sicher gewonnen geglaubtes Spiel noch verloren hat, druckte eine britische Sport-Zeitung eine Todesanzeige für das englische Cricket: «In Affectionate Remembrance of English Cricket, which died at the Oval on 29th August 1882, (…) The body will be cremated and the ashes taken to Australia».
Es geht um eine elf Zentimeter hohe Miniatururne
Dies wollte sich der damalige Captain der englischen Mannschaft und 8. Graf von Darnley, Ivo Bligh, nicht gefallen lassen und machte sich mit seinen Cricketern auf die Reise nach Australien um die Asche zurückzuholen. Soweit existierten die Ashes nur als humoristische Idee unter Sportfreunden und Journalisten. Nachdem die englischen Touristen den Test für sich entscheiden konnten, überreichten ihnen die australischen Gastgeber in Person der Musiklehrerin des Anwesens in freundschaftlicher Art eine elf Zentimeter hohe Urne wahrscheinlich mit der Asche eine Querholzes (Bail).
Die Urne nahm Bligh mit zurück nach England – und eine junge Musiklehrerin, die er noch in Australien heiratete, auch. Die Idee der Ashes ging für einige Jahre vergessen bevor sie um die Jahrhundertwende von einigen Spielern wieder aufgegriffen wurde und bis heute zur kleinsten, aber eine der wichtigsten und sagenumwobensten Trophäe im Sport geworden ist. Nach der letzten Serie im vergangenen Sommer hatte beide Nationen die Asche je 31 mal gewonnen.
Engländer in aktueller Serie vorgeführt
Das englischen Ambitionen, bei der nun zu Ende gehenden Ashes-Serie nach langer Zeit wieder einmal die Gesamtführung zu übernehmen, lösten sich im Dezember ziemlich schnell in Luft auf. Obwohl sie die letzte Serie zu Hause für sich hatten entscheiden können und mit viel Selbstvertrauen und als Favoriten nach Australien gereist, wurden die Engländer von den Australiern in jeder Hinsicht vorgeführt.
In einer Test-Serie, die so lange dauert, spielt das Momentum und die Psychologie eine entscheidende Rolle und die war auf Seiten der Gastgeber. Erschwerend kam für die Engländer hinzu, dass sie mit Jonathan Trott, der krankheitsbedingt wieder nach Hause flog, eine Schlüsselfigur in ihrem Spiel verloren.
Die Australier haben die ersten vier Tests für sich entschieden und werden die Ashes somit gewinnen. Sportlich ist alles entschieden. Wo jedoch in fast jeder anderen Sportarten eine Best-of-five-Serie nach dem dritten Sieg einer Mannschaft zu Ende ist, wird im Cricket weitergespielt – mit Zuschauerrekord.
Cricket – ein Produkt vergangener Zeit
Cricket erfreut sich nun einmal einer ungeheueren Beliebtheit – zumindest in Ländern, in denen es gespielt wird. Vielleicht, weil es wie 2005 nervenaufreibend spannend sein kann. Vielleicht aber auch, weil es eben so anders ist. Ausser bei der telegeneren Twenty20-Version des Sports, bei der ein Spiel nur etwa drei Stunden dauert, passt vieles an Test-Cricket nicht in das moderne kommerzielle Modell von Sport. Es ist ein Produkt einer vergangenen Zeit, als die Dinge noch langsamer liefen und Menschen mehr Zeit zu füllen hatten. Auch zwei Monate mit einer Cricket-Serie.
Die Cricket-Regeln sind streng genommen keine Regeln sondern «Gesetze» und bestimmen auch das Benehmen der Spieler. Ignoriert man die vielen Details, dann ist der Sport einigermassen zugänglich: Ein Team versucht Punkte zu erzielen indem es Bälle wegschlägt und Runs erzielt (batting). Das andere Team versucht dies zu verhindern, indem es die Schlagmänner «out» macht (fielding).
Während im Baseball gepitcht wird, bowlt der Cricket-Spieler den Ball, das heisst, er muss den Arm während der Wurfbewegung gestreckt lassen. Es gibt verschieden Möglichkeiten einen Schlagmann auszuspielen. Die spektakulärste ist, wenn der Bowler die hinter dem Batter stehenden Hölzer (Wickets) direkt trifft. Wenn alle Spieler out sind, wird gewechselt. Aber das kann dauern.