Slampoet Etrit Hasler ist neben dem Espenmoos aufgewachsen. Sein Herz aber schlägt für den FC Winterthur. Hier erzählt er, wie er auf den nächsten Cupgegner des FC Basel kam.
«Wie zur Hölle kommst du als Ur-Sankt-Galler dazu, Fan des FC Winterthur zu sein?» Diesen Satz höre ich häufig, meist von entgeisterten Gesichtszügen begleitet, weil die Frage allein schon zwei tief verankerte Klischees impliziert.
Erstens: Alle Sankt-Galler sind Fans des FC St. Gallen, das ist so sicher wie das Amen in der Stiftskirche, beziehungsweise die komplette Senffreiheit einer Bratwurst in der Gallusstadt. Und zweitens: Winterthur ist eine eher sportarme Stadt, in der ein bisschen Handball gespielt wird, aber was die Huldigung von König Fussball betrifft, ist die Eulachstadt schlichtweg atheistisch veranlagt.
Zwar verhält es sich in meinem Fall tatsächlich so, dass ich gleich gegenüber dem altehrwürdigen Espenmoos aufgewachsen bin und in meiner Kindheit wie alle anderen Kinder im Quartier ein Fan des Klubs war. Wenn ich nicht an die Matches durfte (zum Beispiel, wenn GC oder Zürich zu Gast waren), konnte ich die Spiele bei offenem Fenster verfolgen, indem der Spielstand von den Gesängen und Rufen der Zuschauer abgeleitet wurde.
In meiner Jugend verlor der Fussball seine Faszination, wohl nicht zuletzt, weil ich der wahrscheinlich untalentierteste Fussballer der gesamten kosovarischen Diaspora bin und mir meine Mitschüler, die allesamt in irgendwelchen Jugendmannschaften kickten, den Spass am ledernen Rund im Turnunterricht tüchtig austrieben.
Die Wiedererweckung – ein Halbfinal
Meine Wiedererweckung begann 2005, als ich nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in Kairo mit einem rot-weissen Schal des FC Al-Ahly in die Schweiz zurückkehrte. Im fussballverrückten Ägypten hatte mir der Schal vor allem als Integrationshilfe gedient, nach meiner Rückkehr war er plötzlich mein Markenzeichen, und ich knüpfte ihn bei jedem Auftritt als Slampoet an den Mikrofonständer.
Es dauerte nicht lange, bis mich ein befreundeter Slampoet, der Thurgauer Journalist Matthias Frei, fragte, ob das eigentlich ein Schal des FC Winterthur sei – weil einer der Schweizer Nati könne es ja kaum sein. Ich blickte ihn ähnlich entgeistert an wie die eingangs Erwähnten mich und antwortete nur: «Winterthur? Haben die einen Fussballklub?» Er schwärmte mir vor von einem kleinen, aber feinen Nationalliga-B-Klub, dessen Fankurve hauptsächlich aus Punks bestünde und ich erinnerte mich an die Phrase: «Winterthur ist das St. Pauli der Schweiz.»
Er nahm mich mit an ein Spiel, das mir für immer im Gedächtnis bleiben wird. Es war der Halbfinal im Schweizer Cup 2005/2006. Winterthur spielte gegen Sion, verlor nach hart umkämpfter Partie auf verschneitem Platz in den letzten Minuten mit 0:1. Nach dem Spiel stürmten die gegnerischen Fans das Spielfeld und formierten sich vor der Winterthurer Kurve.
Mir war klar, dass es nun zu einer dieser Massenschlägereien kommen würde, über die damals die ganze Schweiz sprach (und die zwei Jahre später zur Einführung des sogenannten Hooligan-Konkordats führten). Doch nichts von dem geschah. Die Winterthurer standen lakonisch an der Seitenlinie, reagierten kaum auf Provokationen; ich glaube, einer warf einen Schneeball. Stattdessen warteten sie, bis die Walliser abgezogen waren, um dann der eigenen Mannschaft nach bitterer Niederlage Trost zu spenden.
Der etwas abgelutschte St.-Pauli-Vergleich
Ich war verliebt. Dieser kurlige Verein hatte es mir angetan. Obwohl der FCW in der zweithöchsten Liga gegen den Abstieg kämpfte (wie derzeit gerade wieder), hielt er einen der höchsten Zuschauerschnitte der Liga und tatsächlich: Da standen Punks auf der Tribüne. Das kannte ich bis dahin nur aus Hamburg. Und kurz zuvor hatte der Verein – wie St. Pauli, aber als erster Klub der Schweiz – rassistische und sexistische Fangesänge via Stadionordnung verboten. Das war übrigens in der Saison, als den Fans des FC St. Gallen ein antirassistisches Banner untersagt wurde mit der Begründung: «Politik hat im Stadion nichts verloren».
Von ungefähr kommt der Vergleich mit dem FC St. Pauli, jenem Kultklub aus dem verruchten Hamburger Stadtteil, also nicht. Zudem reiste der Kiezklub in den letzten Jahren mehrfach für Freundschaftsspiele nach Winterthur. Trotzdem wirkt der Vergleich ein wenig abgelutscht, denn bei genauerer Betrachtung haben die beiden Vereine eher wenig Gemeinsamkeiten.
Der FC Winterthur ist ein Traditionsverein, einer der ältesten noch bestehenden Fussballklubs der Schweiz, 1896 gegründet und dreifacher Schweizer Meister der damals noch als Serie A bezeichneten Schweizer Meisterschaft: 1906, 1908 und 1917. Dieser letzte Titel ist denn auch der erste, der auf dem ältesten noch erhaltenen Schweizer Meisterschaftspokal (heute im Besitz von YB) eingraviert ist.
Selbstironie als Markenzeichen
Danach gelang zwar kein Titelerfolg mehr, aber Winterthur war noch in den 1970er-Jahren Dauergast in Cup- und Ligacupfinals. In den 1980er-Jahren erfuhr der Klub einen Niedergang und Fanschwund, mit abenteuerlichen Führungswechseln, die den Verein mehrfach an den Rand des Konkurses trieben – ein letztes Mal 2001, als Hannes W. Keller zum Präsidenten gewählt wurde.
Der damalige Vorstand hatte den finanzkräftigen St. Galler (!) Unternehmer ins Boot geholt, in der Hoffnung, er werde den überschuldeten Klub retten – was dieser auch tat. Allerdings nicht ohne das gesamte bisherige Führungsteam in die Wüste zu schicken und sie der Unfähigkeit und der Misswirtschaft zu bezichtigen.
Keller sanierte den Klub nicht nur finanziell, sondern auch personell. Zum Geschäftsführer machte er Andreas Mösli, den Gitarristen der Winterthurer Punkband Ear, einen Fan aus der Kurve, der in den schwierigsten Zeiten Sammelaktionen unter den Fans organisiert hatte und in der Szenekneipe «Widder» arbeitete.
«Erstklassig Zweitklassig»
Mösli und die Fans brachten eine Selbstironie in die Vereinskommunikation, die den meisten grossen Klubs fehlt: Der FC Winterthur wirbt mit Slogans wie «Erstklassig Zweitklassig», einem Shirt, das stolz den Schweizermeistertitel 07/08 verkündet (wobei ganz klein und kaum zu erkennen «19» davor steht), oder nach dem Scheitern des Hardturm-Projektes und dem Umbau des Letzigrund damit, das «einzige echte Fussballstadion im Kanton» zu bespielen.
Sportlich arbeitet der Verein seit der Ära Keller pragmatisch, mit vier Trainerwechseln in zehn Jahren und einer längerfristigen Strategie, die nicht darauf angelegt ist, auf Teufel komm raus und mit teuren Transfers in die oberste Spielklasse aufzusteigen, sondern stattdessen das Geld in die Ausbildung junger Spieler zu stecken. Die Resultate sprechen für sich: An der EM 2016 waren fünf ehemalige Spieler des FC Winterthur dabei – Admir Mehmedi, Fabian Frei, Marwin Hitz für die Schweiz sowie Amir Abrashi und Ermir Lenjani für Albanien.
Ein prominenter ehemaliger FCW-Junior war kurz zuvor aus dem Kader gefallen: Luca Zuffi vom FC Basel. Zuffi hat seine Laufbahn beim FCW begonnen, wo sein Vater Dario, ehemaliger Starstürmer der Schweizer Nati, nach seinen fünf Jahren im FCB-Trikot (1993 bis 1998), seine Aktivkarriere beendete. Seither amtet Dario Zuffi in Winterthur als Nachwuchschef – und derzeit obendrein gemeinsam mit Umberto Romano als Interimstrainer der ersten Mannschaft.
Der Match gegen Basel – ein Schicksalsspiel
Wenn der FCW am 5. April zu Hause auf den FC Basel trifft, ist das ein Schicksalsspiel. Präsident Keller hat vor zwei Jahren den Rücktritt erklärt und seine letzte finanzielle Garantie läuft aus. Ob der Verein seinen Abgang wirtschaftlich verkraften kann, ist noch unklar.
Die einst aus ein paar Hundert Punks bestehende Kurve ist gewachsen, aber damit auch die Ansprüche: Mittelfristig wäre der Aufstieg das Ziel. Derzeit belegt der FCW jedoch den letzten Platz in einer Liga, bei der man noch nicht mit Gewissheit weiss, ob überhaupt alle Vereine die Saison zu Ende spielen.
Es ist für Winterthur der dritte Cup-Halbfinal in zwölf Jahren. 2006 scheiterte der Verein wie beschrieben am FC Sion, der danach Cupsieger wurde (gegen die Young Boys, die so schlecht spielten, dass wohl jede Mannschaft gegen sie gewonnen hätte, vielleicht sogar YB selber). 2012 scheiterte Winterthur zu Hause am FC Basel – auch aufgrund einer höchst umstrittenen Entscheidung zugunsten der Basler.
Es hat nichts mit der Enttäuschung über die Niederlage von damals zu tun, dass ich nicht mehr so häufig ins Stadion gehe – meist bin ich an den Wochenenden beruflich unterwegs. Aber am 5. April halten mich keine 100 Bratwürste mit Senf davon ab, auf der Schützenwiese zu stehen.
Das 2:1 des FCB im Halbfinal 2012 und die umstrittene Szene (0:55):