«Viele Trainer haben eine zu schwache Position»

Mit 31 Jahren wurde er Sportchef in St. Gallen, mit knapp 40 hat er den FC Aarau als Trainer zurück in die Super League geführt. Ein Gespräch mit René Weiler über die Arbeit mit beschränkten Möglichkeiten, über Diven und Vertrauen, über den heutigen Gegner FC Basel und warum er Aarau den Vorzug vor den Grasshoppers gegeben hat.

26.09.2013; Zuerich; Fussball Super League - FC Zuerich - FC Aarau; Trainer Rene Weiler (Aarau) (Valeriano Di Domenico/freshfocus) (Bild: Valeriano Di Domenico/Freshfocus)

Mit 31 Jahren wurde er Sportchef in St. Gallen, mit knapp 40 hat er den FC Aarau als Trainer zurück in die Super League geführt. Ein Gespräch mit René Weiler über die Arbeit an einem Standort mit beschränkten Möglichkeiten, über Diven und Vertrauen, über den heutigen Gegner FC Basel und warum er Aarau den Vorzug vor den Grasshoppers gegeben hat.

Es ist, neben der Pontaise von Lausanne, der letzte archaische Schauplatz der Super League: das Brügglifeld-Stadion von Aarau. Das letzte Mal hat der FC Basel hier vor dreieinhalb Jahren gespielt, 3:0 gewonnen durch Tore von Chipperfield, Stocker und Zoua auf dem Weg zum ersten Meistertitel unter Thorsten Fink. Die letzte Niederlage kassierte er im Brügglifeld im Mai 2009, ein 1:3, das dem FCB damals die Meisterschaft kostete.

Heute, Samstagabend, wenn der Serienmeister aus Basel seine Aufwartung macht, hoffen die Aarauer auf ein volles Stadion, was 8000 Zuschauer wären und was nach dem ersten Heimspiel seit Wiederaufstieg gegen den FC Luzern (4:2) zum zeiten Mal ein ausverkauftes Haus bedeuten würde.

Am Vortag nimmt sich Trainer René Weiler nach dem Vormittagstraining eine Stunde Zeit. In der kleinen Küche mit Sitzecke im Bauch des Brügglifeld-Stadions erläutert er seinen Blick auf die Welt des FC Aarau, den Schweizer Fussball und den FC Basel.

René Weiler, 14 Punkte aus 13 Spielen, den Tabellenletzten vorerst distanziert, Ihre Mannschaft wird für erfrischenden Fussball gelobt – sie müssten ein zufriedener Trainer sein.
Wir wissen, woher wir kommen und mit was wir uns in dieser Liga wehren müssen: über Solidarität und Kampfgeist. Alles andere wäre vermessen. Wir haben unsere Grenzen, vom Budget her und der Infrastruktur. Und dennoch wollen wir uns bewähren. Die Mannschaft hat bis auf ganz wenige Ausnahmen gute Auftritte gezeigt; dass diese zum Teil ohne Punkte enden, davon musste man ausgehen. Aber wir haben zwischendurch immer wieder was geholt, und ich als Trainer bin mit der Entwicklung sehr zufrieden.

René Weiler (40)
Gebürtig in Winterthur, hat er seine Spielerkarriere beim FCW begonnen (1990) und dort auch beendet (2001). Der FC Aarau, Servette und der FCZ waren weitere Stationen. Ein Länderspiel ist in den Annalen festgehalten (1997). Als Trainer hat er ebenfalls in Winterthur seine erste Sporen abverdient, er war interimistisch in St. Gallen verantwortlich, wo er als gleichzeitig Sportchef fungierte, danach nahm er über die U16-Junioren bei GC einen neuen Anlauf, übernahm den FC Schaffhausen und schliesslich 2011 in Aarau den Cheftrainerposten.

Zwei Highlights waren die hohen Heimsiege gegen Luzern und den FCZ. Waren das bloss schlechte Tag der höher dotierten Gegner, oder ist das zu billig als Erklärung?
Jeder Match hat seine eigene Geschichte, Luzern hat 1:0 geführt, dominiert und das zweite Tor nicht gemacht. Dann haben wir uns in einen Rausch gespielt, hatten die Réussite und das Glück auf unser Seite, und fast jeder Schuss war ein Treffer. Gegen Zürich war die Schlüsselszene die 20. Minute, der Penalty und die Rote Karte gegen den Goalie des FCZ, bei dem ein Junior im Tor eingewechselt wird. Der hat dann Lehrgeld bezahlt. Aber wir tragen schon unseren Teil dazu bei, dass das Wettkampfglück auf unsere Seite kippt.

Was ging dann bei der Heimniederlage gegen den Tabellenletzten Lausanne schief?
Das ist eben auch möglich. Lausanne ist mit Aarau auf Augenhöhe, die schlagen wir  nicht einfach so. Wir haben in Lausanne gewonnen, stehen vor dem zweiten Spiel besser in der Tabelle – und schon geht man automatisch davon aus, dass wir sie daheim schlagen. Dem ist eben nicht so.

Nach dem unterhaltsamen 2:2 am Mittwoch gegen den FC St. Gallen hat Sie die «Aargauer Zeitung» augenzwinkernd für den «prix courage» vorgeschlagen, weil Sie Ihre Mannschaft mutig nach vorne spielen lassen. Nehmen Sie die Auszeichnung an?
Es geht nicht um meine Person, sondern um die Spieler, von denen die meisten den Aufstieg geschafft haben. Und das nicht unter den besten wirtschaftlichen Bedingungen. Diesen Spielern gebe ich die Chance, sich in der Super League zu beweisen. Und wir möchten als Aussenseiter nicht nur zuschauen, wie der Gegner die Früchte des Spiels erntet. Dazu gehört, dass man etwas probiert und wagt. Die Mutigen werden in der Regel irgendwann belohnt. Es widerspricht unserem Geist, dass wir auf den Platz rausgehen, nur um etwas zu verhindern. Und wenn man infiziert ist von einer Vorwärtsstrategie und dem Mut zum Risiko, dann will man das der Mannschaft vermitteln. Damit sind wir in der Challenge League gut gefahren. Im Fussball muss man in erster Linie versuchen zu unterhalten, und das gelingt eher, indem man ein Tor erzielen will, als um jeden Preis verhindern zu wollen, dass der Gegner eins macht.

Hinten kompakt stehen und vorne hilft der liebe Gott – das scheint nicht Ihre Idee vom Fussball zu sein?
Der Antrieb eines Fussballers ist doch, ein Tor erzielen zu wollen. Dazu kommt, dass unsere Abwehr ziemlich grün hinter den Ohren ist. Die Spieler haben auf diesem Niveau kaum Erfahrung und zum Teil auch noch sehr wenig Lebenserfahrung. Das führt zu Fehleranfälligkeiten. Aber wenn man nur hinten rein steht und mit Mann und Maus verteidigt, wird man das Gegentor trotzdem kassieren. Dann kommt ein Frustpotenzial hinzu, bei den Spielern und den Zuschauern auf den Rängen – und diese Vorstellung widerstrebt mir. Ich schaue schon auf die Umstände und den Gegner. Aber wenn man schon das eine oder andere Defizit in der Defensive hat, muss man antizyklisch eine Vorwärtsstrategie fahren. Davon bin ich überzeugt.

«Wahrscheinlich ist Fussball die einzige Sportart, in der es extrem viel Diven gibt.»

Ist es bei einem Underdog wie dem FC Aarau einfacher eine Einheit herzustellen, oder gibt es da auch Diven in der Mannschaft?
Das ist ein Phänomen des Fussballs. Wahrscheinlich ist es die einzige Sportart, in der es extrem viel Diven gibt, und die gibt es auch bei uns. Es herrschen so viele Nebeneinflüsse von Eltern, Beratern, den Medien. Jeder Fussballer verfolgt auch egoistische Ziele, und die sind nicht immer vereinbar mit den Zielen der Mannschaft. Die Herausforderung ist, Fremd- und Eigeneinschätzung auf einen Nenner zu bringen, und das ist beim FC Aarau nicht anders als beim FC Basel, höchstens auf einem anderen Niveau.

Warum sind Sie eigentlich im Frühjahr dem FC Aarau treu geblieben, als die Grasshoppers sich für Sie interessierten?
Für mich ist in erster Linie wichtig, dass es zwischenmenschlich passt. Ich muss das Gefühl haben, willkommen und gern gesehen zu sein, mit meinen Charakterzügen akzeptiert und respektiert zu werden. Mein Ziel ist es nicht, mich zu profilieren, mich als Trainer einer Top-Mannschaft zu sehen. Ich möchte eine Zufriedenheit im Alltag haben, möchte gerne zum Schaffen gehen…

…was auch in Zürich möglich sein sollte…
Und an vielen anderen Orten hoffentlich auch. Für mich ist auch entscheidend,wie ein Verein funktioniert und wie er zusammengestellt ist. Da spielt es schon eine Rolle, woher der Präsident kommt, ob er eher dezent oder extrovertiert auftritt oder wie lange er das Amt bereits ausübt. Das sind Faktoren, über die ich mir Gedanken mache, und was mir auch schon die Etikette des Querdenkers verschafft hat. Fussball ist meine Leidenschaft, aber er ist nicht alles in meinem Leben.

«Die Herausforderung ist, mit bescheidenen Möglichkeiten etwas herauszuholen.»

Also lieber Überlebenskampf mit dem FC Aarau?
Die Herausforderung hier ist für mich, mit bescheidenen Möglichkeiten etwas herauszuholen. Die Herausforderung beim FC Basel ist es, ohne Diskussion Meister zu werden. Der Fussball produziert mehr Verlierer als Gewinner. Keiner will absteigen und mindestens drei wollen Meister werden – das geht nicht auf. Wir haben hier einen Vorstand, der den Verein seit Jahren unter schwierigen Umständen zusammenhält, der auch in stürmischen Zeiten dem Gegenwind trotzt. Wir haben gegenseitiges Vertrauen zueinander.

Spürt man als Trainer des FC Aarau einen existenziellen Druck?
Das streift einen schon. Man ist von viele Faktoren abhängig: von den wirtschaftlichen Möglichkeiten, die ein Verein hat oder vom Zuschauerpotential. Wenn man sieht, dass wir 4000, 5000 Zuschauer pro Spiel haben, dann erkennt man, dass nicht die halbe Welt am FC Aarau hängt, auch wenn viele mit dem Verein sympathisieren. Wir kommen gerade aus der Challenge League, das Stadionprojekt ist immer noch nicht umgesetzt. Als Trainer muss man sich auch ein bisschen abgrenzen. Mehr als das Beste geben, ist nicht möglich.

Träumen Sie davon, mal bei einem Club wie dem FC Basel zu arbeiten und als Trainer die Möglichkeiten zu haben, die ein Verein dieser Grössenordnung bieten kann?
Das sage ich nicht einfach so: Ich träume wirklich nicht. Ich nehme es, wie es kommt und setze mich diesbezüglich nicht unter Druck.

«In der Schweiz ist die Funktion des Sportchefs leider gar nicht richtig etabliert.»

Wie kam es eigentlich, dass Sie mit jungen Jahren Sportchef in St. Gallen wurden?
Es fing damit an, dass ich beim FC Winterthur in der Nachlassstundung geholfen habe. Der Präsident meinte, bei diesem Crash-Kurs würde ich mehr lernen als an jeder Hochschule. Zu Dritt haben wir den Club wieder stabilisiert. Ich war zweieinhalb Jahre Sportchef und Interimstrainer. Dann kam die Anfrage aus St. Gallen, das hat mich geehrt. Ich dachte aber auch: Mit 31 Sportchef beim FC St. Gallen zu werden – das geht ja gar nicht. Aber ich wollte das – getrieben vom Ehrgeiz – meistern, obwohl mir damals viele abgeraten haben…

…weil es strube Zeiten beim FC St. Gallen waren?
In den drei Jahren habe ich sehr viel gelernt, auch die unschönen Seiten des Jobs erlebt und darunter gelitten, dass es oftmals nicht um die Sache, sondern um Personen geht. Heute profitiere ich von dieser Erfahrung. Ich weiss, was ‚Schaffen‘ heisst, was Akribie und Detailbewusstsein für eine Bedeutung haben in diesem Business. Aber als Trainer ist man schon näher an der Quelle wie als sportlicher Leiter. Gerade in der Schweiz ist der Sportchef als Funktion leider gar nicht richtig etabliert.

Woran liegt das?
Es gibt in der Schweiz nur wenige Sportchefs. Vielleicht liegt es an den fehlenden Strukturen oder am fehlenden Vertrauen, um eine gewisse Verantwortung und Macht an einen sportlichen Leiter abzugeben.

Zum Spiel gegen den FC Basel: Ist Ihre Mannschaft parat für ein weiteres Husarenstück?
Der FC Basel ist schon ein anderes Kaliber. Der kann, auch ohne einen Top-Match abzuliefern und mit Spielern, die sonst nicht regelmässig zum Einsatz kommen, den Unterschied herstellen. Wir sind parat, aber wenn nicht jeder über sich hinauswächst, wird das fast ein Ding der Unmöglichkeit. Aber: Nichts ist unmöglich.

Ihr Kollege Murat Yakin predigt die taktische Flexibilität und will unberechenbar sein. Ist diese Mannschaft für einen gegnerischen Trainer tatsächlich ein Buch mit sieben Siegeln?
Nein, wir wissen, wie Basel auftreten wird. Der FCB ist deshalb unberechenbar, weil er individuelle Könner in seinen Reihen hat, die matchentscheidende Sachen machen können. Streller, Stocker, Salah, oder Diaz sind nur einige davon. Sie haben einfach Einzelspieler mit mehr Qualität als andere, aber als gegnerische Mannschaft ist es nicht so, dass man das Gefühl hat: Oha, was ist das für ein Fussball? Was passiert denn da heute? Das haben wir ja noch gar nicht gesehen. So empfinde ich das nicht.

«Ich will den Trainerjob nicht schlauer machen als er tatsächlich ist.»

Was sagt das über Rolle und Einfluss des Trainers?
Im letzten Match wird bei uns Linus Hallenius eingewechselt und erzielt den Ausgleich. Dann bekomme ich die Frage nach dem goldenen Händchen des Trainers gestellt. Ich habe gesagt: Dann habe ich aber schon oft nur ein Kupferhändchen gehabt. Ich als Trainer versuche Einfluss zu nehmen, in dem ich das Spiel lese, was die Spieler auch tun müssen, und versuche mit meinen Möglichkeiten zu reagieren. Aber letztlich gibt es keine grossen Geheimnisse mehr. Wir trainieren öffentlich, wir spielen jedes Wochenende, die Spieler haben ihre Fähigkeiten, und Flexibilität versuche auch ich der Mannschaft beizubringen – aber irgendwann ist auch die ausgereizt. Da will ich den Trainerjob nicht schlauer machen, als er tatsächlich ist. In erster Linie muss ein Team funktionieren.

Sie sind jetzt seit zweieinhalb Jahren Trainer beim FC Aarau und damit neben Jeff Saibene der dienstälteste Trainer in der Super League. Erstaunlich, oder?
Ich verstehe das nicht, und ich finde es verrückt, wie schnell die Trainer gewechselt werden. Ihre Position müsste gestärkt werden. Spieler haben zum Teil zu viel Macht, zu viel Gehör. Die Spieler gehen einem Traumjob nach, sie haben ein stattliches Salär, und als Gegenleistung müssen sie totalen Einsatz und körperliche Bereitschaft zeigen. Sie sollten sich nicht beim geringsten Widerstand über das System, den Trainer, das Training oder die Motivation beklagen dürfen. Aber es ist, wie es ist: eine Zeiterscheinung. Viele Trainer haben meiner Meinung nach eine zu schwache Position.

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