«Vieles musst du mit dir selbst regeln» – Sascha Zverev über die Magie des Tennis

Alexander Zverev ist bei den Swiss Indoors als Nummer 2 gesetzt. Ihn muss Roger Federer also womöglich bezwingen, um erneut bei seinem Heimturnier zu triumphieren. Es heisst, der 21-jährige Deutschen bringe alles mit, um ein ganz Grosser zu werden.

Die Nummer 2 an den Swiss Indoors: Alexander Zverev, Germanys nächste Tennis-Hoffnung. Hier bei seinem ersten Einsatz in Basel, einem Doppel an der Seite seines älteren Bruders Mischa. 

Er kann nicht anders. Er will immer gewinnen. Im Tennis sowieso. Aber auch wenn Alexander Zverev nicht auf einem der grossen Centre Courts steht, muss er siegen. «Es ist einfach drin in mir. Das ist schon so, seit ich ein kleines Kind war», sagt Zverev: «Playstation, Basketball, Würfeln. Ich wollte gewinnen.» Und dann sagt er, mit einem angedeuteten Lächeln, auch dies: «Wenn man mit mir befreundet sein will, verliert man besser gegen mich.» Reine Ironie? Oder auch ein Hauch von Wahrheit?

Zverev, dieser schlaksige 1,98-Meter-Bursche aus Hamburg, ist der Mann, auf den sich die Aufmerksamkeit konzentriert – wenn man über die kommende Führungsstruktur in der Tenniswelt spricht. Aber auch, wenn man über den ersten Grand-Slam-Titel für einen der neuen jungen Wilden der Szene spekuliert. Kürzlich war Zverev noch ein Versprechen für die Zukunft, einer, mit dem die Profigewerkschaft ATP in ihrer Vermarktungskampagne für die NextGen warb, also die nächste Generation dieses Sports. Nun ist der Riese, den alle nur «Sascha» nennen, schon in der Gegenwart ein Grosser.

Der Durchbruch von Zverev begann Ende Mai 2017 im römischen Foto Italico, als er beim dortigen Masters-Turnier einen gewissen Novak Djokovic schlug. «Alexander, der Grosse» titelte daraufhin die FAZ schwärmerisch über den 20-jährigen Youngster.

https://www.blick.ch/sport/tennis/schweiz/zverev-eroeffnet-die-swiss-indoors-ich-bin-hier-um-basel-danke-zu-sagen-id9005257.html

Zverev, so sagt Boris Becker, sei zwar noch nicht so weit, um schon ganz vorne in der Weltrangliste zu stehen, aber er habe alle Voraussetzungen, um es eines nicht ganz so fernen Tages zu schaffen: «Er ist eins der grössten Talente der letzten Zeit überhaupt.»

Zverev ist akutell auf Position 5 der Weltrangliste, stand aber auch schon auf  Platz 3; er hatte nur noch Nadal und Federer vor sich. Für Federer ist er bei den Swiss Indoors nun auch auf dem Papier der Herausforderer Nummer eins. «Sascha ist ein aussergewöhnlicher Spieler», sagt Federer, «er wird früher oder später auch Grand Slams gewinnen.»

Ein junger Wilder findet auf den Centre Courts zu mehr Ruhe und Souveränität: Alexander Zverev, hier beim Masters-Turnier in Schanghai, wo er Novak Djokovic im Halbfinal unterlag.

Womit der Maestro auf die Ungeduld mancher Fans, Experten und Reporter anspielt, die Zverevs durchaus ausbaufähige Major-Ergebnisse kritisieren. Bei den vier Topturnieren ist er bisher nicht übers Viertelfinal hinausgekommen. Andererseits hat Zverev nun schon zum dritten Mal in Serie die Teilnahme am Masters in London erreicht, und das mit gerade einmal 21 Jahren.

Zwischen Jähzorn und Souveränität

Es gab in Zverevs junger Karriere bereits erstaunliche Höhen, aber auch einige Tiefen. Solche Schwankungen und Rückschläge sind in dieser frühen Zeit einer Profilaufbahn ganz normal. Zverev hat sich schnell verändert in den letzten Jahren – und dann noch einmal in den letzten zwölf bis achtzehn Monaten, in denen er einen bemerkenswerten Aufstieg erlebte.

Zverev ist ruhiger geworden auf dem Centre Court, ruht mehr in sich selbst, ist sich seiner Sache sicherer geworden. Was nicht heisst, dass es keine hitzigen, jähzornigen, wütenden Momente mehr gibt. «Ich habe mir bestätigt, dass ich wirklich mit den Grossen mitspielen, sie sogar besiegen kann», sagt er, «letztes Jahr stabilisierte sich alles, ich siegte mehr, ich vertraute mir mehr, ich fand eine andere Souveränität.»

Was er sagt und wie er es sagt, deutet auf eine neue Reife hin – auf jemanden, der rasch gelernt hat, sich in einem komplizierten Profisport durchzusetzen. Zverev weiss, was er wie und mit wem tun muss, um erfolgreich zu sein, er hat es bewiesen mit seinem geglückten Transfer vom Junioren- ins Erwachsenentennis.

Dazu zählt die Zusammensetzungs seines Teams und zuletzt der Entscheid, sich den grossen Ivan Lendl an die Seite zu holen: «Du musst schnell lernen, sonst wirst du abgehängt», sagt Zverev, der einst der beste Nachwuchsspieler der Welt war.

«Ich muss meinen Ärger abladen, da muss auch mal ein Schläger dran glauben.»

Wesentlich beflügelt wurde sein Aufschwung durch die neue Balance zwischen hitziger Leidenschaft und eiserner Matchkontrolle. Zverev hat alles: Esprit und Disziplin, Power und Präzision, Feuer und Eis. «Ich flippe nicht mehr total aus. Ich habe mich viel besser im Griff», sagt Zverev.

Ganz ohne Emotion und Action geht es aber auch nicht – jetzt und wahrscheinlich niemals so ganz: «Wenn ein Spieler total ruhig ist und nie etwas sagt, dann habe ich das Gefühl, dass ihm sein Job irgendwie egal ist», erklärt er, «ich muss meinen Ärger abladen, da muss auch mal ein Schläger dran glauben.»

Das Profil von Alexander Zverev auf der Website der ATP

Und wie steckt er heute Niederlagen weg, wo er zu den Spitzenleuten der Branche gehört? Besser oder schlechter als früher? Zverev sagt, es gebe da einen «feinen Unterschied». Wenn er schlecht, sehr schlecht gespielt habe, «gehe ich direkt zum Training, lade mir Arbeit auf. Und dann lässt die Wut nach.» Verliert er knapp und unglücklich, will er für sich bleiben: «Da rede ich mit niemandem. Das weiss auch meine Familie, sie lassen mich in Ruhe in solchen Momenten.»

Feiern: ja, Alkohol: nein

Er findet es auch faszinierend, dieses Auf und Ab, mit dem er klarkommen muss, das ihn ständig herausfordert: «Tennis hat diese Magie, dass du so vieles selbst mit dir regeln musst. Du bist ganz allein, ein Solist auf der Bühne.» Und weil Tennis ihn, den Anspruchsvollen, auch so wunderbar prüft, gibt er gerne alles, immer und immer wieder: «Es gab noch keinen Tag, an dem ich meine Arbeit lustlos gemacht habe. Tennis auf diesem Niveau funktioniert nur, wenn du in jeder Sekunde 100 Prozent investierst. Ohne Einschränkungen, ohne Kompromisse.»

«Ich lebe und liebe diesen Sport mit jeder Faser meines Körpers» – Alexander Zverev.

Mutter, Vater, Bruder, er selbst – alle Zverevs waren und sind professionelle Tennisspieler. Doch Sascha, der Jüngste und Talentierteste, spürte nie den Druck, die Verpflichtung, Tennis spielen zu müssen. Als Jugendlicher spielte er auch Fussball, wurde Jugendmeister mit einem Hockeyverein.

Mit zwölf entschied er sich fürs Tennis, selbstständig: «Ich habe es nie bereut», sagt er, «es ist der Sport, der zu mir passt.» Zu jemandem, der sich am liebsten auf sich selbst verlässt, der Eigen-Mächtigkeit auf dem Centre Court lebt. Zverev, der Erfolgsbesessene, lebt und liebt Tennis. «Mit jeder Faser meines Körpers», sagt er. Für ein Leben neben dem Tennis, etwa eine feste Freundin, bleibt keine Zeit.

Ab und zu geht Zverev auf die obligatorischen Spielerpartys, er feiert ausgelassen, trinkt aber keinen Schluck Alkohol: «Ich bin eigentlich ein ziemlich entspannter Typ, abseits des Tennis.» Doch noch wichtiger ist ihm der nächste Morgen, die Arbeit nach dem Vergnügen: «Dann bin ich der Erste auf dem Trainingsplatz.» Das wird auch in Basel nicht anders sein.

Alexander Zverev bestreitet sein Startspiel in Basel am Mittwoch gegen den Niederländer Robin Haase.  Roger Federer trifft bereits am Dienstag (19 Uhr, SRF2 live) auf den Serben Filip Krajinovic. Zum Spielplan der Swiss Indoors.

https://tageswoche.ch/sport/federer-nimmt-in-basel-gegen-krajinovic-anlauf/

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