Von ganz unten

Meistertitel für den FC Basel gelten heute als Normalfall. Dabei geht leicht vergessen, woher dieser Club kommt.

Das Fussball Nationalliga B-Spiel, FC Basel gegen FC Chur im Basler St. Jakob-Stadion, aufgenommen am 3. August 1988. (KEYSTONE/Str) (Bild: Keystone)

Meistertitel für den FC Basel gelten heute als Normalfall. Dabei geht leicht vergessen, woher dieser Club kommt.

Der Raum war dunkel und die Treppe, die zu ihm hoch führte, steil. Knabe für Knabe stieg hinauf, einer nach dem anderen, und legte 70 Franken auf den Tisch. Wer den Mitgliederbeitrag zahlte, der durfte weiter bei den Junioren mitspielen. Der Mann hinter dem Tisch hatte einen Schnauz und das Geld der Jungen bitter nötig. Denn seinem Club ging es nicht gut. Und wenn Gusti Nussbaumer in seiner Funktion als Junioren-Obmann und Transferchef nicht wenigstens ein paar Rechnungen bezahlte, dann drohte das Aus.

Der bekannteste Fussballjournalist der lokalen Zeitung hatte ebenfalls einen Schnauz. Und wenn ihm der Club gerade wieder an Herz und Nieren ging, dann schrieb er in der BaZ solche Sätze: «Wie Sigi und Ceccaroni, wie Hauser und Knup träum’ auch ich manchmal ganz leise davon, dass es dem FCB einst wieder besser gehen möge. Es muss nicht gerade ein Titel sein oder gar eine Teilnahme im Europacup, behüte nein, nur so, dass der FCB zu Hause gegen Bulle gewinnt, einfach gewinnt.»

Seinen Oberlippenbart trägt Josef Zindel noch immer. Der FC Basel aber, jener Club, der ihm 1988 so sehr zusetzte, ist heute nicht nur sein Arbeitgeber. Er hat auch mit dem Verein, dem der jetzige Pressesprecher einst einen Sieg gegen Bulle wünschte, bis auf Namen und Clubfarben kaum mehr etwas gemein. Im Mai 2013 hat der FCB einen Umsatz von 86 Millionen Franken bekannt gegeben. Das war fast auf den Tag genau 25 Jahre, nachdem der Club den Gang in die Nationalliga B hatte antreten müssen.

Beim Abstieg vor 25 Jahren stand der heutige Vizepräsident im Basler Angriff.

Es ist angesichts von Europa-League-Halbfinal und Business-Seats, von 24 000 Jahreskarten und vier Meistertiteln in Serie fast nicht mehr vorstellbar, dass der FC Basel einst ein Club war, der zu Hause gegen Bulle nicht gewann. Und gegen Bellinzona auch nicht. Als dann die Basler am 15. Mai 1988 mit dem heutigen Vizepräsidenten Adrian Knup im Sturm auch noch in Wettingen 2:3 verloren hatten, da war der Abstieg Tatsache, der FCB ganz unten angekommen.

Der Regierungsrat sammelt

Das Wasser stand dem Verein meist höher als bloss zum Hals. Ende der Saison hatte er 1988 zwei Millionen Franken Schulden. Ein Betrag, den der FCB 2012 allein für Werbung ausgegeben hat, ging damals an die Existenz. 1989 drohte der Zwangsabstieg zu den Amateuren. Nur dank einer Sammelaktion des FDP-Regierungsrats Hans-Rudolf Striebel überlebten die Rotblauen gerade eben so. Bevölkerung und Gewerbe hatten eine Million zusammengebracht.

Alles, was der FCB in dieser Zeit noch vorzuweisen hatte, war seine ruhmreiche Vergangenheit mit zehn Titeln aus der Ära Benthaus. Um aus diesem Rumpf eines Clubs wieder die stärkste Kraft im Schweizer Fussball werden zu lassen, waren viel Geld und Geduld nötig – und oft ein richtiger Entscheid im Moment der bitteren Niederlage.

Sechs ewig scheinende Jahre lang seuchte sich der FCB durch die NLB. Jeder Sommer begann mit frischer Hoffnung und neuer Mannschaft. Jeder Frühling gipfelte in der Enttäuschung, den Aufstieg erneut verpasst zu haben. So wuchs eine Generation von FCB-Fans heran, die den Erfolg nur aus den ewig gleichen nostalgischen Nacherzählungen kannte.

Luden und Raucher

Es kam vor, dass ein wohlwollender Beamter auf die Geschäftsstelle in einem Untergeschoss in der St.-Johanns-Vorstadt anrief mit dem Hinweis, es sei vielleicht an der Zeit, den neuen Ausländer bei der Fremdenpolizei anzumelden: «Er spielt doch schon zwei Monate bei euch.»

Eine Zeit lang machte es sich der FCB gar zur Gewohnheit, vor Matchtagen bei der Polizei anzufragen, ob er mit dem gesamten Kader rechnen könne, weil ein Spieler nebenbei noch als Lude tätig war. Einer wie der holländische Stürmer André Sitek genoss Heldenstatus, weil er rauchte und trank und am Wochenende trotzdem ab und an ins Tor traf.

Kurz, es sprach nur ganz wenig dafür, dass dieser Club wieder an die Spitze kommen sollte. Eigentlich war es bloss die noch immer tiefe Verankerung in der Stadt, die ihm wenigstens überdurchschnittliche Zuschauerzahlen und damit einen kleinen, aber steten Geldfluss bescherten.

Und auch damit war es nicht immer weit her. Wenn Urania Genf oder Châtel St. Denis ins alte St.-Jakob-Stadion kamen, verloren sich 2500 Zuschauer auf den Rängen. Ein respektabler Wert für einen NLB-Club, aber ein trostloser Anblick im für 56 000 Zuschauer gebauten Joggeli.

Das Kapital des FCB: Seine tiefe Verankerung in der Stadt.

Und dennoch: In all den tristen Jahren zwischen Etoile Carouge, Glarus, Chiasso und Emmenbrücke hielt sich die breit verankerte und doch irgendwie diffuse Gewissheit, dass dieser Verein nicht einfach verschwinden dürfe. Wenn der Club zur Hundert-Jahr-Feier 1993 die halbe Stadt auf die Beine brachte, wenn gegen GC oder Luzern über 30 000 Zuschauer zu einem Aufstiegsspiel kamen, dann fragte sich die halbe Schweiz, warum dieser FCB nicht weiter oben spielt.

Die Antwort war simpel: Die Rotblauen hatten vor ihrem Abstieg zu viel Geld ausgegeben und zugleich ihren Ruf bei möglichen Sponsoren ramponiert. In dieser Atmosphäre von glorioser Historie, überbordender Erwartungshaltung und zurückhaltendem lokalem Gewerbe war es bereits eine Leistung, den Club wieder auf gesunde Füsse zu stellen. Dass einst Geld des Daig in den lokalen Fussballclub fliessen könnte – das war blosser Wunschtraum der FCB-Anhänger.

Der Präsident als Klinkenputzer

Charles Röthlisberger hatte als 1987 angetretener Präsident den Abstieg nicht mehr verhindern können. Aber er übernahm klaglos die undankbare Aufgabe, in der Region die Klinken zu putzen, um Spenden aufzutreiben. In den ersten Jahren in der NLB spielte Basel mit einem Haushalt von 3,2 Millionen Franken. 19 Spieler gehörten zum Kader. Sie waren allesamt Halbprofis, 1989 betrug ihr durchschnittliches Einkommen 5558 Franken im Monat.

Das Ziel Aufstieg blieb so in unerreichbarer Ferne. Doch der Club überlebte und wurde saniert. Der 2010 verstorbene Röthlisberger darf also als der Mann gelten, der den Grundstein gelegt hat zur derzeitigen Basler Hochphase.

Friedel Rausch: Der Trainer, der lieber ohne Murat Yakin spielte.

Seinem Nachfolger Peter Epting sollte nach dem Amtsantritt 1992 gar die Quadratur des Kreises gelingen: Der Aufstieg in die Nationalliga A mit ausgeglichenem Budget. Zunächst allerdings wurde das Ziel unter Friedel Rausch noch einmal verpasst. Der Deutsche hatte bei seiner Verpflichtung zwar in der Stadt (wieder einmal) Euphorie entfacht. Er bleibt in Basel aber vor allem als der Trainer in Erinnerung, der das Talent des damals 16-jährigen Murat Yakin nicht in seiner Mannschaft haben wollte.

Rausch wehrte sich zwar in der Folge vehement gegen die Darstellung, er habe gesagt: «Was will ich mit dem fetten Türken?» Als gesichert gilt aber, dass er dem heutigen FCB-Trainer 1992 Übergewicht vorwarf und ihn aussortierte: «Der soll fünf Kilogramm abnehmen und dann wieder kommen.» Yakin aber ging lieber zu den Grasshoppers.

Aufstieg mit «Didi Offensiv»

Der Aufstieg kam nicht unter Lautsprecher Rausch. Er kam ein Jahr später mit einem Trainer, der bald einmal bekannt dafür war, mit wenigen Worten praktisch gar nichts zu sagen: Claude «Didi» Andrey, dessen Vorliebe für eine stabile Abwehr ihm irgendwann den ironischen Kosenamen «Didi Offensiv» einbrachte.

Das Frühjahr 1994 verbrachte Basel in Ekstase. 42’000 im Joggeli gegen den FC Zürich, der endgültige Aufstieg am 2. Mai 1994 mit einem harzigen 1:1 bei Etoile Carouge, die Crossair, die die Mannschaft aus Genf zurück zur nicht nur freude-trunkenen Anhängerschaft nach Basel flog. Und Gusti Nussbaumer, der auf dem Barfüsserplatz rief, das Schönste sei, dass der FCB «der Stadt das geben konnte, was sie verdient hat».

1994 und die Rückkehr in die Nationalliga A: FC Basel gegen FC Zürich

Plötzlich schien alles möglich. Captain und Kultfigur Admir Smajic fantasierte in der ersten NLA-Saison gegenüber dem «SonntagsBlick»: «Ja, auch das Undenkbare spreche ich aus: Der FC Basel kann schon 1995 Meister werden!»

Das war Wunschdenken. Basel spielte zwar wieder in der höchsten Liga und hatte mit 5,5 Millionen Franken ein Budget, über das die BaZ urteilte, es sei «nicht überbordend, aber auch keinesfalls mager». Doch von den Strukturen her gehörte der FCB nicht an die Spitze. Noch nicht.

Der Club spielte in einem zwar riesigen, aber auch maroden Stadion, in dem sich angriffslustige Fans ohne Probleme direkt neben dem Rasen auf die Mütze geben konnten. Der FCB-Nachwuchs durfte im Aufstiegsjahr nicht einmal alle Teams an der Meisterschaft teilnehmen lassen, weil der Club zu wenige Schiedsrichter stellte. Und auf dem Transfermarkt war es illusorisch, 1994 ein tschechisches Talent namens Pavel Nedved zu verpflichten. Der spätere Star von Juventus Turin wäre für 600 000 Franken zu haben gewesen – für die Basler eine horrende Summe.

Ein absurder Deal

Stattdessen musste sich der FCB bisweilen auf dubiose Spielervermittler einlassen. Über einen solchen und seine eigene Naivität stolperte im Oktober 1995 Aufstiegstrainer Andrey. Er hatte sich von Robert Zeiser, einem Mann, der mit Möbeln und afrikanischen Fussballern handelte, eine Beteiligung an einem allfälligen Transfergewinn beim Weiterverkauf des Nigerianers Gabriel Okolosi festschreiben lassen. Eine Dummheit, die noch absurder wirkt mit Blick auf Okolosis Leistung beim FCB: 2 Tore in 25 Spielen.

Mitte der 90er Jahre drohte der FCB, sein wichtigstes Gut zu verlieren – das Interesse der Bevölkerung.

Offiziell wurde Andrey wegen dieser Transferabmachung entlassen. Doch es ging in diesem zweiten Jahr in der NLA um mehr. Der FC Basel drohte sein wichtigstes Gut zu verlieren: das Interesse der Bevölkerung. Zwar berauschten sich die Baslerinnen und Basler gerne an der angeblichen Grösse ihres Fussballvereins. Und wenn sich das Joggeli zu speziellen Anlässen füllte, feierten sich die Zuschauer nur zu gerne selbst.

So viel zu den treuen Baslern

Aber ein FCB, der bloss spielte, um nicht zu verlieren, der sich einfach über Wasser hielt? Das interessierte nicht. Im Frühling 1996 wollten im Schnitt nicht einmal 10 000 Zuschauer die Heimspiele der Finalrunde sehen. Zur Kehrauspartie gegen Servette kamen 4500 Unentwegte. So viel zu den ewig treuen Basler Zuschauern.

Der FCB musste lernen, dass Spektakel gefordert war, wenn er nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken wollte. Geboten wurde es nach dem Präsidentenwechsel von Peter Epting zu René C. Jäggi im November 1996. Epting, der Architekt mit dem anscheinend nie versiegenden Fundus an karierten Sakkos, hatte das Fundament verbreitert. Die Basler aber dürsteten nach jemandem, der darauf ein ­Hochhaus baute – oder es zumindest versprach.

Jäggi war dieser Mann. Seine Vorgänger Röthlisberger und Epting waren davon ausgegangen, dass man nur das Geld ausgeben darf, das man besitzt. Selfmademan Jäggi aber wusste: Man kann so viel Geld ausgeben wie man will, solange man jemanden findet, der die Löcher wieder stopft.

Jäggis Verdienst war es, Visionen zu entwerfen – und Geldgeber dafür zu finden.

Das waren Jäggis grosse Leistungen beim FCB: Er konnte mit Visionen Euphorie entfachen. Und er wusste, wie die zur Realisierung nötigen Geldquellen angezapft werden können. Unter ihm wurde 1997 die Marketing AG gegründet, die die Transferrechte der Spieler übernahm und sich im Gegenzug dazu verpflichtete, das Defizit des Clubs zu decken.

Ein cleverer Schachzug, denn Gewinn war mit dieser AG in seiner Amtszeit bloss einmal zu machen – 2002 bei der ersten Teilnahme an der Champions League. Bis dahin aber verbrannte der Club tüchtig Geld und höhlte die AG mehrfach aus.

Die Grossbank UBS, mit Jäggis Schulfreund Marcel Ospel an der Spitze, war verlässliches Auffangnetz, wenn es darum ging, den Club zu retten. Allein 1999 sprach die Bank acht Millionen Franken, verteilt auf drei Jahre. Daneben fand Jäggi Geld bei der englischen Investmentfirma Enic und sogar in Japan, wo sich Toyota sein Trikotsponsoring zwei Millionen Franken kosten liess.

Das Bundesliga-Konzept

Sportlich aber führte Jäggis Aktionismus erst einmal beinahe zum neuerlichen Absturz. In einer für den FCB beispiellosen Transferoffensive verpflichtete Jäggi den deutschen Trainer Jörg Berger. Es folgten Maurizio Gaudino (Eintracht Frankfurt), Oliver Kreuzer (Bayern München) und Jürgen Hartmann (Hamburger SV).

Das Ganze nannte sich Bundesliga-Konzept. Berger deswegen einen Konzepttrainer zu nennen, wäre allerdings übertrieben. Laut Überlieferung lautete seine Teamansprache vor dem ersten Heimspiel gegen Etoile Carouge: «Wir haben Gaudino, wir haben Zuffi, wir haben Huber! Wen haben die? Niemand!» Das Spiel endete vor 12 000 konsternierten Fans 0:0.

«Wir haben Gaudino, wir haben Zuffi! Die haben niemand!»

In der Folge ging es noch weiter bergab. Und als der FCB das Rückspiel in Carouge am 5. Oktober 1997 1:2 verloren hatte, war Bergers Zeit in Basel bereits zu Ende. Jäggi zog die Reissleine, hatte aber wenigstens seine Eloquenz nicht verloren: «Ich wollte mit der Concorde nach New York. Jetzt stehe ich mit dem Velo in den Langen Erlen.»

Was folgte, war eine Rettung vor dem Abstieg in letzter Not, als sich Goalie Stefan Huber mit einem gehaltenen Elfmeter in Kriens unsterblich machte. Und noch immer war der FCB ein Club, bei dem ein Trainer – Guy Mathez – handgreiflich gegen einen Mitarbeiter werden konnte, weil der den Rückflug aus dem Trainingslager falsch gebucht und deswegen gelogen hatte. Dass dieser Eric Lovey zugleich Betreuer beim FCB und Spielerberater von drei Basler Profis war – eine weitere Basler Merkwürdigkeit.

Entlassen wurde Mathez schliesslich, weil ihm wie Andrey vorgeworfen wurde, er habe an einem Spielertransfer verdienen wollen. Wie schon bei Andrey stand die Entlassung juristisch auf wackligen Beinen, und der FCB wurde später von einem Gericht zur Zahlung einer Entschädigung verknurrt.

Vordergründig stand der FCB also wieder in etwa dort, wo er schon unter Epting gestanden war – leicht chaotisch organisiert, sportlich im unbedeutenden Mittelfeld der Liga. Und doch hatten sich entscheidende Dinge verändert: Im April 1997 war die Baubewilligung für ein neues Stadion erteilt worden, nachdem der Berner Generalunternehmer Marazzi sein Projekt für den St.-Jakob-Park lanciert hatte. Spatenstich war am 13. Dezember 1998.

Das neue Stadion, Jäggi und Gigi Oeri

Der FCB mochte der Grund sein, weswegen ein neues Stadion errichtet wurde. Der Bau war das in Beton gegossene Vertrauen, in das Potenzial dieses Fussballclubs. Im Projekt selbst aber war der FCB bloss als Mieter vorgesehen, der sich darüber freuen durfte, bald im modernsten Stadion der Schweiz spielen zu können.

Jäggi selbst gelang sein grösster Coup, als er Gigi Oeri zum FCB brachte. Am 12. Oktober 1999 wurde die Gattin von Roche-Erbe Andreas Oeri als erste Frau überhaupt in den Vorstand ­eines Schweizer Fussballclubs gewählt. Fast noch wichtiger für den FCB: Es floss endlich Geld des Daig in den Club. Und auf dem Trainerposten sass einer, der wusste, wie dieses Geld einzusetzen war: Christian Gross.

Den Zürcher hatte Jäggi im Sommer 1999 verpflichtet. Gross war ein Trainer, der dem Präsidenten Paroli bot. Mit seiner fordernden Art drängte er auf professionelle Strukturen. Und auf bessere Spieler, die ihm nach und nach zur Verfügung gestellt wurden. Erst wurde Ivan Ergic in einem Deal mit Juventus Turin geholt, Anfang 2001 kamen die Brüder Hakan und Murat Yakin. Und im August vermeldete Jäggi: «Ich fliege jetzt nach Lugano und mache den Gimenez.»

Alles, was der Erfolg braucht

In seiner ersten kompletten Saison im neuen Stadion hatte der FCB plötzlich alles, was es für den Erfolg braucht: Geld, gute Spieler, einen Trainer, der bereit war, dem Club den Hang zum Chaos auszutreiben – und vor allem einen fast unstillbaren Hunger nach Titeln und Pokalen.

Der Jubel über den ersten Meistertitel nach 22 Jahren ging fast nahtlos über in den exzessiven Rausch der ersten Teilnahme an der Champions League. Den FC Liverpool aus dem Wettbewerb geworfen, Manchester United zu Besuch – das war alles neu und aufregend.

Mitten in dieser Dauerparty übergab Jäggi im Herbst 2002 das Präsidium an Werner Edelmann, der den Statthalter gab für Gigi Oeri, die seit September die Aktienmehrheit der FCB AG besass. Jäggi hatte Wort gehalten: Er hatte den schlummernden rotblauen Riesen geweckt. Und ganz nebenbei hatte er als Geschäftsmann noch ein kleines Geschäft gemacht, als er seinen Fitnessclub John Valentine an Oeri verkaufte.

Mit den Geldern der Champions League präsentierte der FCB im Oktober 2002 ein Budget von 32 Millionen Franken. Was damals ein wunderbarer Ausreisser gegen oben zu sein schien, wurde zur Gewohnheit. Der FCB war finanzstärkster Club des Landes geworden und schickte sich an, eine rotblaue Ära einzuläuten.

Bei der ausgearteten Meisterfeier 2004 in Thun hiess es: «Das bezahlt die Gigi».

Für Aussenstehende sah der Club bald einmal aus wie ein FC Oeri. Als ein randalierender Jugendlicher 2004 während einer ausgearteten Meisterfeier im Thuner Lachen-Stadion vom Abwart zur Rede gestellt wurde, sagte er lapidar: «Ach das? Das bezahlt doch die Gigi.» Intern aber wurden Strukturen gebaut, die den Club breiter abstützten. Unter Ruedi Zbinden bauten die Basler ein Netz von Scouts auf, das sich alleine mit der Entdeckung des Argentiniers Matias Delgado auf Jahre hinaus amortisierte.

«Den Topf im Kopf»

Vom 9. Mai 2002 stammt eine knapp einstündige Dokumentation des Schweizer Fernsehens über den FC Basel. Ein Beitrag, der die Ankunft des Clubs in einer neuen Ära beschreibt: «Den Topf im Kopf».

Und 2003 kam einer in den Club, der säte, was der FCB unter anderem im Sommer 2012 mit den Transfers von Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri ernten konnte: Peter Knäbel wurde Nachwuchs-Chef, baute die Juniorenabteilung zur besten des Landes aus und brachte unter anderem Spieler wie Valentin Stocker oder Fabian Frei nach Basel.

Die Journalisten mochten Oeris Satz, der FCB müsse auch überleben, «wenn ich morgen unters Tram komme», bald nicht mehr hören. Aber sie hielt sich an die eigene Vorgabe: Unter ihrer Ägide konsolidierte sich der Club so weit, dass er heute auf eigenen Beinen zu stehen vermag.

Was nicht heisst, dass es unter Oeri nur ruhig und gesittet zugegangen wäre. Aber es ist eine bemerkenswerte Konstante in der Zeit nach 2001, dass die Basler aus Rückschlägen oft die richtigen Schlüsse zogen – um gestärkt daraus hervorzugehen.

Der Journalist in der Tiefgarage

Das war der Fall, als im September 2004 ruchbar wurde, dass Philipp Degen ablösefrei zu Dortmund wechseln würde. Der heutige FCB-Sportdirektor Georg Heitz hatte, damals noch als Journalist der BaZ, Degen in der Tiefgarage des St.-Jakob-Parks abgepasst und ihm das Geständnis abgerungen, dass er mit Dortmund gesprochen hatte.

Zunächst reagierte der FCB beleidigt. Aber längerfristig zog der Club die richtigen Konsequenzen: Der 21-jährige Degen war längst zum Stammspieler avanciert und hatte trotzdem noch immer praktisch mit Lehrlingsvertrag gespielt. Seither ist es in Basel Usus, die Verträge junger Spieler bei guter Leistung finanziell nach oben anzupassen – unter gleichzeitiger Verlängerung der Laufzeit. Fremde Clubs, die sich aus dem Basler Talentpool bedienen wollen, müssen kräftig ins Portemonnaie greifen.

Am Ende konnte der FCB sogar aus dem schwarzen Samstag des 13. Mai 2006 Kraft ziehen.

Weitaus einschneidender war, was am 13. Mai 2006 geschah. Das System Gross, in dem Niederlagen keinen Platz hatten, hatte sich vom Feld auf die Ränge übertragen. Der Verlust der Meisterschaft in letzter Minute war ein Ereignis, das sich jenseits jeder Vorstellungskraft befand. Entsprechend explosiv war die Reaktion.

Iulian Filipescu, der eben in der 93. Minute den FC Zürich zum Meistertitel geschossen hatte, stand im Bauch der Muttenzerkurve. Oben schien die Welt unterzugehen. Und unten sagte Filipescu über jenen Randalierer, den er in einem Akt der Selbstverteidigung im Stil eines Strassenkämpfers niedergestreckt hatte, tatsächlich: «I’m sorry for the guy.»

Bernhard Heusler hätte einem auch leid tun können, als er bei der Aufarbeitung der Geschehnisse sichtlich gezeichnet auf dem Podest des Presseraums im Joggeli sass. Und doch war es ein entscheidender Moment seines schliesslich logischen Aufstiegs zum FCB-Präsidenten. 2003 war er beim verworrenen Transfer von Hakan Yakin zu Paris St-Germain als juristischer Berater zum FCB gestossen. Drei Jahre später stand der Anwalt, der sich zuvor bewusst im Hintergrund gehalten hatte, erstmals im Rampenlicht.

Bernhard Heusler – der richtige Mann

Die Öffentlichkeit begriff nicht. Sie rief nach der im Club doch scheinbar alles bestimmenden Gigi Oeri, die vier Tage vor den Ausschreitungen zur Präsidentin gewählt worden war. Dabei hatte Oeri das tägliche Geschäft intern längst nie so bestimmt, wie das immer wieder nach aussen transportiert worden war. Mit Heusler sass schon der richtige Mann der Presse gegenüber. Er war es, der in der Folge das sogenannte «Basler Modell» mitformte, das im Umgang mit der auf Autonomie pochenden Szene in den Fankurven auf eine Mischung aus Dialog und Repression setzt.

Bei seinem kometenhaften Aufstieg drohte der FCB den Kontakt zur Basis zu verlieren. Ein Graben hatte sich aufgetan zwischen Club und Teilen der Anhängerschaft. Auch deswegen war es zu diesem Ausbruch der Gewalt gekommen. Heusler war der Mann, der verstand, dass das wichtigste Gut des FCB auch im grössten Erfolg die Verankerung in der Bevölkerung war. Und der den Club wieder zu erden suchte. So wurde der 13. Mai für den FCB zu einem Wendepunkt, aus dem der Club sogar neue Kraft ziehen konnte. Und Heusler wurde immer mehr auch in der Öffentlichkeit greifbar zu jenem Mann, der die Alltagsgeschäfte des FCB führte.

Gigi Oeri war die Versicherung gewesen für den Club in harten Zeiten.

Obwohl Heusler seit Januar 2009 auch offiziell der Mann war, der die Verantwortung trug, so war es immer noch ein aufsehenerregender Schnitt, als Gigi Oeri im August 2011 ihren Rückzug bekannt gab. Auch wenn sie nicht stetig Geld in den FCB gepumpt hatte, so war sie doch eine Versicherung gewesen für harte Zeiten. So wie bei der teuren Entlassung von Gross 2009, als sie 9,7 Millionen Franken einschoss, um das Defizit zu decken. Teils aus eigenem Vermögen, teils aus der FC Basel Holding AG, die ihr zu 90 Prozent gehörte.

Seit diese Aktien in den Besitz von Heusler gewechselt sind, ist der FCB daran, sich finanziell breiter abzustützen. Beim Nachwuchs-Campus kann er weiter auf die Unterstützung von Oeri zählen. Daneben hat der Club das Catering und die Vermarktung des Stadions übernommen. Ein logischer Schritt, aber auch ein Kraftakt für den Verein.

2013: An Grenzen gestossen

Ganz zu schweigen von der ablaufenden Spielzeit mit einer schmerzhaften Trainer-Rochade, dem vierten Meistertitel in Serie, dem Halbfinal in der Europa League und 62 Pflichtspielen. Für Marco Streller ist es die «wohl beste Saison in der Geschichte des FCB». Das hatte der FCB-Captain schon im Sommer 2012 nach Double-Gewinn und Champions-League-Achtelfinal gesagt. Fast scheint es, als ob der FC Basel der Gegenwart völlig selbstverständlich immer noch einen weiteren Tritt auf der Leiter nach oben nehmen würde.

Das Stade de Suisse ist fast leer, als Bernhard Heusler an diesem 29. Mai nach dem 1:0-Sieg seiner Spieler gegen die Young Boys den Weg zum Mannschaftsbus sucht. Gelöst wirkt er und doch auch ermattet. «Diese Saison hat uns auf allen Ebenen die Limiten eines Vereins von unserer Grösse aufgezeigt», sagt er, «es war eine Grenzerfahrung in der bescheidenen Welt eines Fussballclubs.»

Weit oben ist der FC Basel angekommen. Schwindelerregend hoch für einen Club, von dem sich die Fans vor 25 Jahren doch bloss gewünscht hatten, er möge bitte zu Hause gegen Bulle gewinnen, einfach gewinnen.

Die Schweizer Fussball-Meister

Der FC Basel schafft an diesem Samstag, dem 2. Juni 2013, historisches im Schweizer Fussball. Nur rein rechnerisch ist ihm eine Bestmarke noch zu nehmen, die bisher einzig die Young Boys, und dies vor über einem halben Jhahrundert erreicht haben: vier Meistertitel in Folge.

Für den FC Basel 1893 ist es die 16. Meisterschaft in seiner Geschichte, womit er in der ewigen Bestenliste bis auf einen Titel an Servette Genf herangerückt ist. Rekordmeister mit 28 Titeln sind die Grasshoppers.

2013 FC Basel2012 FC Basel2011 FC Basel2010 FC Basel • 2009 FC Zürich • 2008 FC Basel • 2007 FC Zürich • 2006 FC Zürich • 2005 FC Basel2004 FC Basel • 2003 Grasshoppers • 2002 FC Basel • 2001 Grasshoppers • 2000 FC St. Gallen • 1999 Servette • 1998 Grasshoppers • 1997 FC Sion • 1996 Grasshoppers • 1995 Grasshoppers • 1994 Servette • 1993 FC Aarau • 1992 FC Sion • 1991 Grasshoppers • 1990 Grasshoppers • 1989 FC Luzern • 1988 Xamax • 1987 Xamax • 1986 Young Boys • 1985 Servette • 1984 Grasshoppers • 1983 Grasshoppers • 1982 Grasshoppers • 1981 FC Zürich • 1980 FC Basel • 1979 Servette • 1978 Grasshoppers • 1977 FC Basel • 1976 FC Zürich • 1975 FC Zürich • 1974 FC Zürich • 1973 FC Basel1972 FC Basel • 1971 Grasshoppers • 1970 FC Basel1969 FC Basel • 1968 FC Zürich • 1967 FC Basel • 1966 FC Zürich • 1965 Lausanne • 1964 La Chaux-de-Fonds • 1963 FC Zürich • 1962 Servette • 1961 Servette • 1960 Young Boys1959 Young Boys1958 Young Boys1957 Young Boys • 1956 Grasshoppers • 1955 La Chaux-de-Fonds • 1954 La Chaux-de-Fonds • 1953 FC Basel • 1952 Grasshoppers • 1951 Lausanne • 1950 Servette • 1949 FC Lugano • 1948 AC Bellinzona • 1947 FC Biel • 1946 Servette • 1945 Grasshoppers • 1944 Lausanne • 1943 Grasshoppers • 1942 Grasshoppers • 1941 Lugano • 1940 Servette • 1939 Grasshoppers • 1938 Lugano • 1937 Grasshoppers • 1936 Lausanne • 1935 Lausanne • 1934 Servette • 1933 Servette • 1932 Lausanne • 1931 Grasshoppers • 1930 Servette • 1929 Young Boys • 1928 Grasshoppers • 1927 Grasshoppers • 1926 Servette • 1925 Servette • 1924 FC Zürich • 1923 Kein Meister * • 1922 Servette • 1921 Grasshoppers • 1920 Young Boys • 1919 Etoile La Chaux-de-Fonds • 1918 Servette • 1917 FC Winterthur • 1916 Cantonal Neuchâtel 1915 Brühl St. Gallen 1914 FC Aarau • 1913 Montriond LS (später Lausanne-Sports) • 1912 FC Aarau • 1911 Young Boys • 1910 Young Boys • 1909 Young Boys • 1908 FC Winterthur • 1907 Servette • 1906 Winterthur • 1905 Grasshoppers • 1904 FC St. Gallen • 1903 Young Boys • 1902 FC Zürich • 1901 Grasshoppers• 1900 Grasshoppers • 1899 Anglo-American Club Zürich • 1898 Grasshoppers (inoffiziell)

* Der FC Bern gewann die Finalpoule, hatte im Saisonverlauf aber einen nicht qualifizierten Spieler eingesetzt. Der Titel wurde deshalb aberkannt, und es gab in jenem Jahr keinen Meister.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 31.05.13

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