Warum Barcelona den Fussball gerettet hat

Wen die fussballerische Stilistik des FC Barcelona langweilt, den langweilt auch Mozart – findet unser Autor. Ausserdem werde eine Weltanschauung im Sport widerlegt: dass es nicht möglich sei, gleichzeitig schön und erfolgreich zu spielen.

Mehr als ein Club: Choreographie im Nou Camp von Barcelona. (Bild: Imago/Miguelez Sports Foto)

Wen die fussballerische Stilistik des FC Barcelona langweilt, den langweilt auch Mozart – findet unser Autor. Ausserdem werde eine Weltanschauung im Sport widerlegt: dass es nicht möglich sei, gleichzeitig schön und erfolgreich zu spielen.

Vielen Fussballliebhabern ist der FC Barcelona langweilig geworden. Manchmal scheint es so, als ob das bessere Team sich dem schlechteren anpassen müsste, damit das Spiel interessanter ist. Die Zuschauer sind an Wettkampf gewöhnt, nicht an die Ästhetik des Spiels. Fussballgeschmack wird kultiviert wie das Gefühl für Musik, Literatur und Kunst. Dabei könnte ein Liebhaber des Fussballs, der kein frenetischer Fan ist, erkennen, dass Barcelona den Sport wirklich gerettet hat.

Diese Erkenntnis stachelt leider die restliche Fussballwelt nicht zur gesunden Eitelkeit an, diesen Zustand selbst zu erreichen. Der Grund ist, dass hinter Barça eine bestimmte Philosophie steht. Diese bezieht sich nicht nur auf den Fussball, sondern auch auf die Kultur und Mentalität.

Das Erscheinen von Barcelona hat das Louis-Schmeling-Paradox hervorgerufen. Joe Louis und Max Schmeling sind die grössten Boxer der 30er-Jahre gewesen, erst der Afroamerikaner, dann der Deutsche. In den 60er-Jahren haben Theoretiker versucht die politische Ökonomie des Sports und alles andere zu etablieren, das nötig ist, damit der Wettkampf attraktiv wird. Mit anderen Worten: Der Gegner muss annähernd so gut sein, damit das Aufeinandertreffen interessant wäre.

Alle anderen sind im falschen Film

Genau das ist geschehen, als nach Louis Schmeling auftauchte und ihre Kämpfe zu Spitzenspektakeln wurden. Dies zeigt sich heute nachweislich in den Einzelsportarten wie beispielsweise Tennis, Golf oder auch Formel 1, welche nicht annähernd so spannend wären, wenn ein Sportler dominieren würde. Fussball ist indes etwas anderes, aber es ist auch Tatsache, dass Barcelona sich nicht soweit von den anderen Teams entfernt hat, dass es unerreichbar ist.

Der Rest der Fussballwelt – besonders die Präsidenten der Vereine, Trainer, Spieler und Fans – können das Phänomen Barcelona nicht ertragen. Der Grund ist profan: Barcelona ist der Beweis ihrer Schwäche und Ohnmacht. Der Club hat bei der Erschaffung seiner Spieler die Logik des Kapitals besiegt, wonach das Geld das beste Team zusammenstellt – einmal abgesehen von den enormen Schulden, die der Club dennoch ausweist.

Barcelona beweist an jedem Wochenende und jedem Champions-League-Spieltag, dass alle anderen im falschen Film sind. Die Rivalen können ihre Frustration nicht verstecken: nicht deren eitle Präsidenten, nicht die Trainer und auch nicht die Fans. José Mourinho – den wir aus der Premier League als souveränen, entschlossenen und arroganten Trainer kennen – hat sein Verhalten komplett geändert. Die Kommunikation, die Mimik – es ist vieles anders geworden. Man könnte gar noch weiter gehen und die äusserlichen Zeichen deuten: Der Mann ist gealtert und ergraut.

Abgesehen von Sergio Ramos und Pepe, die ihre Verzweiflung auf dem Feld bei den Angriffen auf Lionel Messi nicht verstecken können, hat Mourinho selbst am meisten zur Zerstörung des Images des «königlichen Klubs» beigetragen. Ein Image, das immer schon zweifelhaft war, angesichts dessen, dass Real Madrid immer den Club der Monarchie und des zentralistischen Spaniens verkörperte. Die grössten Erfolge feierte der Verein während des Franco-Regimes.

Menotti würde es linken Fussball nennen

Es ist normal, dass Barcelona besser und eingespielter ist als die spanische Nationalmannschaft, die weit weniger Gelegenheit hat gemeinsam zu trainieren. Trotzdem und aller Kritik an Trainer Vincente Del Bosque zum Trotz hat Spanien im Final der Europameisterschaft 2012 den europäischen Fussball entblösst und seine Gegner vorgeführt. Die fussballerische Öffentlichkeit, die in der Regel fussballtechnisch nicht geschult ist, kritisierte Spanien für seine Taktik und das Spiel, anstatt die restliche Fussballwelt zu provozieren in die Fussstapfen Spaniens und Barcelonas zu treten.

Genau das sollten aber alle, spätestens seit die beiden Mannschaften den Fussball absolut dominieren. Ganz Spanien – das sich so über die Erfolge ihrer Mannschaft freut – sollte Barcelona dankbar sein und es nicht verachten, wie das der Fall ist. Barcelona hat die Spieler hervorgebracht, die den Erfolg von drei grossen Titeln in Folge hauptsächlich verantworten. Und natürlich war König Juan Carlos – der sich, während seine Nationalmannschaft spielte und sein Land an Schulden erstickt, auf Elefanten-Jagd in Afrika befand – pünktlich zur Feier des Titels zurück, im Wissen welche Bedeutung dieser Erfolg in der heutigen Politik hat.

Das Phänomen Barcelona – welches einen linken Fussball pflegt, wie das César Luis Menotti sagen würde – kann man auf eine politische, kulturelle und ökonomische Ebene heben. Es ist angelehnt an sein Fussball-Internat und die Menschen im Verein, die mit Schönheit die arroganten Eigentümer und Investoren besiegten, die glauben, das Erfolg sich kaufen lässt wie eine Jacht, ein Hotel, ein Flugzeug oder ein Lamborghini.

Die Philosophie entzaubert auch den Trainer als Strategen

Besonders schmerzlich für die Branche ist, dass Barcelona das Bild des Trainers als grossen Strategen und Kenner gebodigt hat, nicht nur den Taktiker mit der Vorstellung Fussball sei Schach, sondern auch jene Trainer mit dem Charakter eines Feldmarschalls, wie Fabio Cappelo nachgesagt wird. Grossen Anteil haben daran die Medien, die diesen fussballerischen Archetypen von Anfang an pflegten und es bis heute tun, wenn sie die Fussball-Intelligenz von José Mourinho, Alex Ferguson oder Marcello Lippi feiern und hochjubeln.

Niemand denkt daran, dass der Fussball so bescheiden ist, dass es reicht, Spielern von Kindesbeinen an eine gewisse Philosophie zu vermitteln, welche sie unter minimen Korrekturen des Trainers über die Jahre reproduzieren. Mit anderen Worten: Fussball-Intelligenz gehört zum Können der Spieler.

Wie viel wichtiger die Philosophie ist als die Taktik, demonstriert Barcelona vortrefflich. Seit der Verein die Weltspitze des Fussballs dominiert, spielt die Mannschaft auf identische Art, während ihre Gegner alle möglichen Taktiken versuchen, letztlich aber immer einen Guerilla-Fussball spielen. Das Tor zum Bunker zu machen und auf Konter zu warten, ist üblicherweise die Vorrgehensweise von weit unterlegenen Gegnern – Mannschaften des europäischen Mittelmasses. Gegen Barcelona ist aber selbst Spitzenmannschaften geraten, so zu spielen. Es ist grotesk, zu sehen, wie destruktiv die besten Mannschaften gegen Barça agieren und nicht einmal versuchen, dies zu verstecken.

Wen Barcas Fussball langweilt, den langweilt auch Mozart

Wer das Spiel von Barcelona nicht geniesst, hat einfach keinen genügend ausgebildeten Fussballgeschmack. Wen das Spiel der Katalanen begonnen hat zu langweilen, den beginnt auch Mozart zu langweilen. Es ist die Desensibilisierung des durchschnittlichen Fussballzuschauers, der sich den hyperkommerzialisierten britischen Fussball gewöhnt ist. Die Premier League ist einem Hollywood-Actionfilm gleich, in dem nur die Dynamik wichtig ist. Wenn Fussball je als Kunst verstanden wird, dann kommt das Spiel des FC Barcelona dem am nächsten.

Der spanische Fussballfan ist aber auch anders als der britische: Es geht ihm nicht nur um den Sieg, sondern auch um die Schönheit. Der Brite hingegen will den Sieg um jeden Preis – wenn er aber verliert, dann müssen die Spieler «das Herz auf dem Feld verlieren». Diese Einstellung war schon der Imperativ bei den trojanischen Kriegen und dem Epos von Odysseus, so dass über 1000 Jahre vergangen sind, sich aber der Sinn der Menschen fürs Schöne nicht verändert hat. Der physische Aspekt des Sports reproduziert die epischen Elemente in der Kultur, die schon lange überwunden sein sollten.

Die Ignoranten und die Romantiker

Barcelona als «Unfall» im europäischen Sport hat eine enorme Bedeutung und hat symbolische wie auch reale Auswirkungen. Die Fussballexperten haben bis zu den Triumphen von Barcelona und deren Spielern mit der spanischen Nationalmannschaft postuliert, dass es nicht möglich sei schön und erfolgreich zu spielen. Dieses Denken wurde in den Kreisen der Fussballexperten gepflegt und erlangte den Stand eines Axioms in der Fussballlehre.

Jene, die sich gegen diese Fussballweltanschauung wehrten, wurden zynisch als Romantiker ohne jeglichen Sinn für die realen Bedingungen im Fussball bezeichnet. Diese Rhetorik beeinflusste die öffentliche Meinung und prägte den durchschnittlichen Fussballfan, tatsächlich bildete sie aber nur die Ingoranz, Ideenlosigkeit und mangelnde Kreativität der Experten ab. Diese Mentalität ist dieselbe, die die Menschen lehrt, dass eine andere Welt nicht möglich ist.

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass der Transfer des Phänomens Barcelonas in die Gesellschaft zeigt, dass es möglich ist, etwas als Utopie abgestempeltes in Wirklichkeit zu erreichen. Die Stadt Barcelona beweist dies auch in anderer Hinsicht: Als einer von wenigen Orten auf der Welt existierten und herrschten dort – wenn auch nur kurz – Anarchismus und absolute Egalität. Man müsste nur George Orwells «Homage to Catalonia» lesen.

Artikelgeschichte

Übersetzung aus dem Serbokroatischen: Amir Mustedanagic

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