«Was ich mitnehmen kann, nehme ich mit»

Die Vierschanzentournee, die heute mit der Qualifikation in Bischofshofen startet, steht in dieser Saison nicht zuoberst auf der Prioritätenliste von Gregor Schlierenzauer. Der 23-jährige Österreicher will in Sotchi unbedingt eine Goldmedaille holen. Zu rechnen ist mit «Schlieri» aber auf jeden Fall.

Schlierenzauer nach der Landung beim Springen vom 15. Dezember in Lillehammer, wo er dieses Jahr zum fünften Mal gewann. (Bild: Keystone)

Die Vierschanzentournee steht in dieser Saison nicht zuoberst auf der Prioritätenliste von Gregor Schlierenzauer. Der 23-jährige Österreicher will in Sotchi unbedingt eine Goldmedaille holen. Zu rechnen ist mit «Schlieri» aber auf jeden Fall.

Nicht dass Gregor Schlierenzauer die Vierschanzentournee links liegen lassen würde. Um Gottes Willen, nein! Wer wie der Österreicher unweit der Innsbrucker Bergiselschanze lebt und praktisch jeden Tag an die Tournee erinnert wird, der hat selbst dann noch Schmetterlinge im Bauch, wenn er bereits Feuer und Flamme für eine andere Mission ist. «Die Tournee steht heuer bei mir auf der Prioritätenliste nicht ganz oben», erklärt der 23-jährige Skisprungstar, «aber die Vorfreude ist trotzdem riesig. Ich werde deswegen nicht absichtlich schlecht springen, nur weil bei mir der Fokus auf Olympia und der Goldmedaille liegt. Was ich mitnehmen kann, das nehme ich selbstverständlich mit.»

Gregor Schlierenzauer, wie weit sind Sie denn schon auf ihrer Mission «Olympische Goldmedaille»?

Im Moment fehlen noch Kleinigkeiten, ich tüftle noch an Details herum. Deshalb auch die fehlende Konstanz in meinen Leistungen. Wenn alles funktioniert, bin ich ganz vorne, das habe ich schon gesehen. Aber wenn du nur einen Fehler machst, dann fällst du bei der aktuellen Leistungsdichte sofort zurück auf Rang 15. Das Wichtigste ist aber: Der Weg Richtung Olympia stimmt, dort muss die Form dann passen.

62. Vierschanzentournee

Oberstdorf
Sa, 28.12., 16.30 h: Qualifikation
So, 29.12., 16.30 h: 1. Durchgang

Garmisch-Partenkirchen
Di, 31.12., 14.00 h: Qualifikation
Mi, 1.1., 14.00 h: 1. Durchgang

Innsbruck
Fr. 3.1., 14.00 h: Qualifikation
Sa, 4.1., 14.00 h: 1. Durchgang

Bischofshofen
So, 5.1., 16.30 h: Qualifikation
Mo, 6.1., 16.00 h: 1. Durchgang

Heisst das, Sie ordnen alles dem Ziel Olympia-Gold unter?

Im Grund verfolge ich dieses Ziel schon seit den letzten Winterspielen in Vancouver. Und jeder weiss, dass diese Goldmedaille mir noch auf meiner Liste fehlt.

Wird der Druck für Sie in Sotschi denn nicht unerträglich, wenn praktisch nur der Olympiasieg zählt und der zweite Platz bereits als Niederlage interpretiert wird?

Was soll ich denn sonst sagen? Alles andere wäre bei mir auch unglaubwürdig. Es wäre vielleicht etwas anderes, wenn ich noch keine Olympiamedaille hätte. Aber so muss ich ja fast schon die Order ausgeben: Ich will Olympiagold. Ausserdem gefallen mir solche Herausforderungen.

Inwiefern gefallen?

Die ganze Planung, der Weg dorthin, die Puzzleteile, die man zusammenlegen muss. Das ist eine sensationelle Challenge und auch die Basis für den Olympiasieg. Die Goldmedaille kommt einem nicht zugeflogen, da muss man die Monate und Jahre vorher viel investieren. Wenn ich in den Flieger nach Sotschi einsteige, dann will ich sagen können: «Ich habe alles dafür getan.»

Und dann herrschen dort Wetterkapriolen und Sie ziehen bei der Windlotterie eine Niete?

Damit musst du in unserem Sport immer rechnen und auch damit leben. Was dann am Tag X passiert, steht in den Sternen. Ich kann nur meine Hausaufgaben machen und dann hoffen, dass es fair runter geht.

Hätte Ihre Karriere denn einen Makel, wenn Sie nicht Olympiasieger werden?

Keinesfalls. Dafür habe ich schon genug Medaillen geholt, im Grund habe ich ja alles gewonnen. Aber natürlich: Olympia-Gold wäre eben dieses i-Tüpfelchen, das dem Ganzen die Krone aufsetzen würde. Die Welt würde für mich aber nicht untergehen, wenn es in Sotschi nicht klappen sollte.

Ist das die Gelassenheit eines jungen Mannes, der ohnehin schon genug Skisprung- Geschichte geschrieben hat?

Ich bin sicher nicht mehr so verkrampft wie früher und kann jetzt auch besser das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden. Aber wie sollst du das mit 16 auch können? Ich habe zwar ein super Umfeld (Der Onkel von Schlierenzauer, Markus Prock, 10-facher Rodelweltcupgesamtsieger, ist wichtiger Wegbegleiter), aber es ist trotzdem schwer, wenn mit 16 so viel auf dich einprasselt und du plötzlich über Nacht wie ein Star behandelt wirst, deine Stimme im Fernsehen hörst und dein Gesicht in der Zeitung siehst. Heute bin ich in dieser Hinsicht viel gelassener und setze mich auch nicht mehr unnötig unter Druck. Früher habe ich praktisch ständig nur ans Skispringen gedacht. Heute lasse ich mich manchmal einfach treiben und trainiere auch einmal einen Tag nichts.

Sie haben eine riesige Fangemeinde, sehr viele Groupies und mehr als 100’000 Facebook-Freunde. Macht Sie das stolz oder nervt das Leben als Teenieschwarm auch manchmal?

In erster Linie macht es mich schon sehr stolz, dass ich für junge Sportler ein Idol sein darf. Ich habe als Kind ja auch zu Sportlern aufgeschaut. Das ist ein Privileg, dass ich jetzt derjenige bin, zu dem die Leute aufschauen. Andererseits darf man dabei aber nicht vergessen, dass ich ein Mensch bin wie jeder andere. Ich mach’ auch Fehler. Auch wenn das manchmal die wenigsten verstehen: Ein Gregor Schlierenzauer kann nicht immer wie eine Maschine funktionieren. Mir persönlich macht es nichts aus, wenn ich einmal Fünfter oder Zwölfter werde. Aber in der Öffentlichkeit wird das als Niederlage dargestellt. Andererseits habe ich mir das wahrscheinlich selbst eingebrockt, weil ich schon so viele Erfolge gefeiert habe.

Themenwechsel: Es wird mittlerweile zwar kaum mehr ein Springen abgesagt, aber viele Fans beschweren sich, dass sie den Sport nicht mehr ganz durchblicken. Wie sehen Sie die Situation?

In den letzten Jahren hat sich wirklich extrem viel geändert. Windregel, Gateregel, Anzugregel, Skilänge – es wird immer komplizierter. Früher hat’s geheissen: Der Weiteste wird gewinnen, da hat sich auch noch jeder ausgekannt. Jetzt ist es teilweise unübersichtlich. Warum funktioniert der Fussball? Weil er ein einfacher Sport ist. Wer das Tor schiesst, gewinnt.

Welchen Trophäen und Rekorden
Ausnahmekönner Gregor Schlierenzauer noch hinterher fliegt

20,0 – So sehr sich Gregor Schlierenzauer bislang auch bemühte, bei seinen weiten Sprüngen Haltung zu bewahren, in den Rang einer V-Stil-Ikone hat’s der Österreicher bislang noch nicht gebracht. Seit der 22-Jährige im Weltcup abhebt, haben die Punkterichter noch keinen seiner Sprünge ausschliesslich mit der Höchstnote 20,0 bewertet. Diese Auszeichnung war in der Geschichte des Skispringens erst fünf Springern vorbehalten. Der erste war 1976 der Österreicher Anton Innauer, der bislang letzte 2009 dessen Landsmann Wolfgang Loitzl.

Skiflugweltrekord – Mit 14 Siegen hat Schlierenzauer zwar so viele Weltcup-Skifliegen für sich entschieden wie kein anderer, bei der Weitenjagd wurde der Tiroler aber überflügelt. Den Skiflug-Weltrekord hält Johan Remen Evensen (Nor) mit 246,5 Metern. Schlierenzauer liegt mit seinem besten Flug (243,5 m) nicht einmal in den Top drei.

Sportler des Jahres – Obwohl Schlierenzauer seit seinem Weltcup-Debüt 2006 für Superlative, Schlagzeilen und Erfolge am laufenden Band sorgt, ging er bei der Wahl zu Österreichs Sportler des Jahres bislang immer leer aus. Mal stimmten die österreichischen Sportjournalisten für einen Teamkollegen (Loitzl), mal wurde ihm von einem Skiläufer (Marcel Hirscher) die Show gestohlen. In diesem Jahr wurde Rekordmann Schlierenzauer von Bayern-Star David Alaba ins Abseits gestellt.

Olympiagold – Wer Schlierenzauer nach seiner nächsten Mission fragt, der bekommt nur eine Antwort: …Eine Einzel-Goldmedaille bei Olympia.» Der Olympiasieg fehlt ihm noch, um auf einer Stufe mit Matti Nykänen, Espen Bredesen, Jens Weissflog und Thomas Morgenstern zu stehen, die alle WM-Gold, Olympia-Gold, Tournee und Gesamtweltcup gewonnen haben. Und um den Schweizer Simon Ammann (vier Einzel-Goldmedaillen) übertrumpfen zu können, müsste Schlierenzauer auch noch 2022 bei Olympia starten.

Siege in Kuusamo, Kuopio & Titisee-Neustadt – Auf die beiden Schanzen in Finnland und die Anlage von Titisee-Neustadt scheint Schlierenzauer nicht zu fliegen. Auf allen anderen Bakken im Weltcup hat er bereits gewonnen, nur in Kuusamo, Kuopio und im Schwarzwald wartet er noch auf den ersten Sieg.

Rekordvorsprung – Vor zwei Jahren gewann Schlierenzauer in Vikersund mit 46,6 Zählern Vorsprung. Den Rekord hält aber ein Tiroler Landsmann. Andreas Felder lag 1987 sogar einmal 47,5 Punkte vor dem Zweiten.

Weltcup-Gesamtsiege – Um mit Matti Nykänen (Fin) gleichzuziehen, muss Schlierenzauer noch zwei Mal den Gesamtweltcup gewinnen. Auch Andreas Goldberger (drei Erfolge) liegt noch vor dem zweifachen Gesamtsieger.

Weltcupsiege – Im Reich der Adler ist Schlierenzauer mit seinen 52 Weltcupsiegen der König der Lüfte. In der Welt des Spitzensports gibt’s aber Athleten, die noch weit öfter im Weltcup erfolgreich waren. Ingemar Stenmark feierte im Ski-Weltcup 86 Siege, die Deutsche Gunda Niemann-Stirnemann flitzte im Eisschnelllauf sogar 98 Mal zum Weltcupsieg.

Ältester Sieger – Takanobu Okabe gewann mit 38 Jahren noch ein Weltcupspringen. Um den Japaner als ältesten Sieger abzulösen, müsste Gregor Schlierenzauer auch noch im Jahr 2028 abheben.

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