Was steckt hinter dem norwegischen Wunder?

Glaubt man dem österreichischen Trainer der Norweger, dann hat die Erfolgswelle der Alpinen aus dem Land der Langläufer und Skispringer gar kein Geheimnis. Und wenn, dann heisst es: weniger Leistungsdruck, Geduld und Teamspirit. Ausnahmetalente wie Slalomkönig Henrik Kristoffersen braucht es allerdings schon.

Henrik Kristoffersen of Norway is listening next to his country's national flag to the Norwegian anthem after winning the men's Alpine Skiing World Cup slalom in Wengen, Switzerland January 17, 2016. REUTERS/Ruben Sprich

(Bild: Reuters/RUBEN SPRICH)

Glaubt man dem österreichischen Trainer der Norweger, dann hat die Erfolgswelle der Alpinen aus dem Land der Langläufer und Skispringer gar kein Geheimnis. Und wenn, dann heisst es: weniger Leistungsdruck, Geduld und Teamspirit. Ausnahmetalente wie Slalomkönig Henrik Kristoffersen braucht es allerdings schon.

Der aktuelle Sportler des Jahres? Ein Skifahrer (Kjetil Jansrud). Der Senkrechtstarter des Winters? Ebenfalls ein Skifahrer (Henrik Kristoffersen). Der Sieger bei der Wahl zum «Vorbild des Jahres»? Ein Skifahrer, wer sonst (Jansrud). Der Mann, dessen Medienkonferenz aus dem Tiroler Krankenhaus live in die Heimat übertragen wird? Klarer Fall, Skifahrer (Aksel Lund Svindal).

Die alpinen Ausnahmeathleten bringen die Sportfans im langlaufverrückten Norwegen mehr und mehr aus der Spur. Wo doch nun sogar schon traditionelle norwegische Redewendungen umgeschrieben werden: «Was hast du gemacht, als Bjørn Wirkola gesprungen ist», pflegen die Norweger in Anlehnung an die beliebte Skisprung-Legende der 1960er- und 1970er-Jahre gerne zu sagen.

» Norwegen, Norwegen, Norwegen – die Weltcup-Gesamtwertung

Seit dem historischen Wochenende am Lauberhorn, als die Norweger alle drei Bewerbe gewonnen hatten, heisst es nun: «Was hast du gemacht, als die Rennen von Wengen waren?»

Norwegens Mini-Team stellt in diesem Winter die Ski-Welt auf den Kopf. 15:5 steht es mittlerweile schon im Sieg-Duell mit der Ski-Grossmacht Österreich, nachdem Slalomstar Kristoffersen in Kitzbühel und Schladming in beeindruckender Manier seine Saisonerfolge fünf und sechs eingefahren hatte – und damit gleich häufig gewonnen hat, wie der gesamte Österreichische Skiverband (Frauen und Männer). Dazu kommen noch sieben Erfolge des mittlerweile verletzten Svindal und zwei Siege von Jansrud.

Die Methode hat gar kein System

Wieso steht das kleine norwegische Herren-Team so gross da? Warum bringen die Skandinavier immer wieder neue Stars zum Leuchten? Und stecken hinter den Erfolgen System und Methode?

«Wenn untermotivierte Leute arbeiten, bringt es nichts. Ich halte nichts von schriftlichen Konzepten. Man muss es mit Leben füllen. Wir schauen, dass wir die Nachteile, die wir haben, zu unseren Vorteilen machen», sagt Chefcoach Christian Mitter. Der Österreicher ist bereits seit neun Jahren in den unterschiedlichsten Funktionen im norwegischen Skisport tätig und hat das System, das in Skandinavien seit Jahrzehnten praktiziert wird, schätzen gelernt.



Groeden 17.12.2015, Saslong, Groeden, ITA, FIS Ski Weltcup, Herren, SuperG, Siegerpraesentation, im Bild v.l. Aleksander Aamodt Kilde (NOR, 3. Platz), Christian Mitter (Trainer), Kjetil Jansrud (NOR, 2. Platz), Aksel Lund Svindal (NOR, 1. Platz), Franz Gamper (Speed Trainer) // 3rd placed Aleksander Aamodt Kilde of Norway, Head Coach Christian Mitter, 2nd placed Kjetil Jansrud of Norway ( L ), winner Aksel Lund Svindal of Norway ( C ) coach Franz Gamper during the Award winner presentation of the men s Super G of Groeden FIS Ski Alpine World Cup at the Saslong Course in Gardena, Italy on 2015/12/17. PUBLICATIONxNOTxINxAUT EP_gro Groeden 17 12 2015 Saslong Groeden ITA FIS Ski World Cup men SuperG Siegerpraesentation in Picture v l Aleksander Aamodt Kilde NOR 3 square Christian Mitter team manager Kjetil Jansrud NOR 2 square Aksel Lund Svindal NOR 1 square Franz Gamper Speed team manager 3rd placed Aleksander Aamodt Kilde of Norway Head Coach Christian Mitter 2nd placed Kjetil Jansrud of Norway l WINNER Aksel Lund Svindal of Norway C Coach Franz Gamper during The Award WINNER presentation of The Men s Super G of Groeden FIS Ski Alpine World Cup AT The Saslong Course in Gardena Italy ON 2015 12 17 PUBLICATIONxNOTxINxAUT EP_GRO

Der österreichische Cheftrainer der Norweger, Christian Mitter (Zweiter von links), mit seinen Speedassen in Gröden (von links): Aleksander Aamodt Kilde (Dritter im Super G), Kjetil Jansrud (2. Platz), Aksel Lund Svindal (1. Platz). (Bild: Imago)

«Wobei es ja eigentlich gar kein System ist», erklärt Mitter, «dafür haben wir weder das Geld noch die Ressourcen, aber was wir machen: bei uns dürfen sich die Sportler in Ruhe entwickeln.»

Österreicher und Schweizer lernen früh enormen Leistungsdruck kennen

Und das unterscheidet etwa die Norweger schon deutlich von Österreichern oder Schweizern, wo die Sportler schon in jungen Jahren einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt sind und sich von Kader zu Kader, von Rennserie zu Rennserie hochdienen müssen. Immer mit der Angst im Hinterkopf, dass bei schlechten Leistungen schon der Nächste nachrückt.

«In Norwegen gibt’s keine Kaderzwänge. Ich halte das System sowieso für überaltert. Man muss auch die Schule, das Alter und die Entwicklung der Sportler miteinbeziehen», sagt Cheftrainer Mitter.

Und: «Es gibt genug Rennläufer, die einfach aus verschiedensten Gründen mehr Zeit brauchen. In unserem Team bekommen sie genügend Möglichkeiten, um sich zu etablieren und erhalten auch das Vertrauen, wenn sie einmal nicht gut fahren. Mein Gott, dann kommt eben das nächste Rennen. Wenn man sofort nervös wird und draufhaut, dann ist keinem geholfen.»

Der Teamspirit, der sich aus einer kleinen Gruppe ergibt

Dazu kommt der Teamspirit, der bei den Norwegern extrem ausgeprägt ist. Notgedrungen auch, denn es ist meist nur eine Handvoll Athleten, die da gemeinsam von Rennen zu Rennen um den Erdball reist. Ein Superstar wie Aksel Lund Svindal ist sich etwa nicht zu schade, sich Ratschläge vom jungen Henrik Kristoffersen einzuholen, umgekehrt unterstützt der smarte Speedspezialist die jüngeren Kollegen bei der Medienarbeit und beim Studieren der Abfahrtskurse.



Norway's Henrik Kristoffersen speeds down the course on his way to win an alpine ski, men's World Cup slalom, in Kitzbuehel, Austria, Sunday, Jan. 24, 2016. (AP Photo/Shin Tanaka)

Der Herrscher über die Slalompisten: Henrik Kristoffersen in Kitzbühel auf dem Ganslernhang bei einem seiner sechs Saisonsiege. (Bild: Keystone/SHIN TANAKA)

«Wir fahren den Ansatz: Wenn das Team besser wird, dann wird jeder Einzelne auch besser. Das gilt auch für die Trainer und Serviceleute. Die Athleten haben alle gecheckt, dass es leichter geht als Mannschaft. Ich glaube auch deshalb kommen die Norweger so gut rüber», sagt Mitter.

Was es trotz allem braucht: Ausnahmetalent

Ein Konzept ohne Leistungsdruck und ein Team mit viel Spirit garantieren freilich noch lange keine Seriensiege. Dazu braucht es schon Ausnahmesportler, Könner wie etwa Henrik Kristoffersen, der mit seinen 21 Jahren den Slalomsport auf ein höheres Level geschraubt hat und in diesem Winter als schlechteste Platzierung einen zweiten Rang vorweisen kann.

«Er ist das Mass aller Dinge, im Moment unschlagbar», muss sich denn auch Marcel Hirscher eingestehen, der selbst jahrelang auf den Slalompisten die Massstäbe gesetzt hat, «aber jetzt muss man sich an Henrik orientieren.»

Der Linienvergleich von Hirscher und Kristoffersen beim Kitzbühel-Slalom im ORF-Video:

Was am 21-jährigen Skandinavier in diesem Winter so ins Auge sticht ist seine Sicherheit. Kristoffersen läuft selten Gefahr aus dem Kurs zu fliegen, Einfädler sind von ihm praktisch nicht bekannt. «Er hat für sein Alter schon so extrem viele Kilometer in den Beinen und von klein auf so viele Wiederholungen gemacht, dass er heute sehr stabil unterwegs ist», berichtet Cheftrainer Mitter.

In seinem Vater, einem Nachwuchscoach, hatte Kristoffersen einen perfekten Förderer und Wegbegleiter. Dazu gilt der Norweger als extrem ehrgeizig und fleissig. Am Morgen nach seinem Slalomsieg in Kitzbühl war Kristoffersen bei schlechtestem Wetter schon wieder auf der Piste anzutreffen, um seinen Schwung zu optimieren.

«Schön langsam kommen wir zum dem Schwung hin, den wir fahren wollen. Ein Schwung, der dann bei allen Verhältnissen und auf allen Pisten funktioniert», erklärt Mitter.

Hirscher erklärt Kristoffersen zum Topfavoriten

Heisst im Umkehrschluss: Dieser Henrik Kristoffersen ist noch gar in der Hochblüte seines Talents. Marcel Hirscher, am Dienstag in Schladming nach verwegenem zweitem Lauf mal wieder Zweiter hinter Kristoffersen, sieht das ähnlich.

Der Österreicher hat – dank der Knieverletzung von Svindal – mittlerweile zwar die Führung im Gesamtweltcup übernommen und ist auf dem besten Weg zu seinem fünften Triumph in Folge, doch der 26-Jährige hat grössten Respekt vor Kristoffersen, der keine 100 Punkte mehr zurückliegt: «Er ist für mich jetzt der Topfavorit auf die grosse Kugel.»



epa05127789 Marcel Hirscher of Austria (L) and Henrik Kristoffersen of Norway (R) react at the men's Slalom race at the Alpine Skiing World Cup in Schladming, Austria, 26 January 2016. EPA/EXPA/JOHANN GRODER

Rivalen zwischen den Slalomstangen: Marcel Hirscher (links) und Henrik Kristoffersen, hier beim Nachtrennen in Schladming. (Bild: Keystone/JOHANN GRODER)

Henrik Kristoffersen will sich mit dem Thema nicht beschäftigen. Auch sind seine Trainer nicht für Experimente zu haben. Noch nicht. Kristoffersen ist in jungen Jahren zwar auch schon Speedbewerbe gefahren, doch vorerst soll er sich auf die technischen Disziplinen konzentrieren.

«Wir werden Henrik nicht in eine Abfahrt hineinhetzen, er soll sich entwickeln», sagt Cheftrainer Mitter, «gewisse Dinge kommen von alleine.»

Das komplette Weltcup-Programm
Das alpine Weltcup-Programm
Datum
Disziplin
Austragungsort
SiegerIn
Nation
MÄNNER
25.10. Riesenslalom Sölden Ligety USA
28.11. Abfahrt Lake Louise Svindal NOR
29.11. Super-G Lake Louise Svindal NOR
4.12. Abfahrt Beaver Creek Svindal NOR
5.12. Super-G Beaver Creek Hirscher AUT
6.12. Riesenslalom Beaver Creek Hirscher AUT
12.12. Riesenslalom Val d’Isere Hirscher AUT
13.12. Slalom Val d’Isere Kristoffersen NOR
18.12. Super-G Gröden Svindal NOR
19.12 Abfahrt Gröden Svindal NOR
20.12. Riesenslalom Alta Badia Hirscher AUT
21.12. Parallel-Riesenslalom Alta Badia Jansrud NOR
22.12. Slalom Madonna di Campiglio Kristoffersen NOR
29.12. Abfahrt Santa Caterina Théaux FRA
6.1. Slalom Santa Caterina
(Ersatzrennen für Zagreb)
Hirscher AUT
9.1. Riesenslalom Adelboden abgesagt  
10.1. Slalom Adelboden Kristoffersen NOR
15.1. Kombination Wengen Jansrud NOR
16.1. Abfahrt Wengen Svindal NOR
17.1. Slalom Wengen Kristoffersen NOR
22.1. Super-G Kitzbühel Svindal NOR
22.1. Kombination Kitzbühel Pinturault FRA
23.1. Abfahrt Kitzbühel Fill ITA
24.1. Slalom Kitzbühel Kristoffersen NOR
26.1. Slalom Schladming Kristoffersen NOR
30.1. Abfahrt Garmisch-Partenkirchen    
31.1. Riesenslalom Garmisch-Partenkirchen    
FRAUEN
24.10. Riesenslalom Sölden Brignone ITA
27.11. Riesenslalom Aspen Gut SUI
28.11. Slalom Aspen
(Ersatzrennen für Levi)
Shiffrin USA
29.11. Slalom Aspen Shiffrin USA
4.12. Abfahrt Lake Louise Vonn USA
5.12. Abfahrt Lake Louise Vonn USA
6.12. Super-G Lake Louise Vonn USA
12.12. Riesenslalom Åre Vonn USA
13.12. Slalom Åre Vlhova SVK
18.12. Kombination Val d’Isere Gut CH
19.12. Abfahrt Val d’Isère Gut SUI
20.12. Riesenslalom Courchevel Brem AUT
28.12. Riesenslalom Lienz Gut SUI
5.1. Slalom Santa Caterina
(Ersatzrennen für Zagreb)
Löseth NOR
9.1. Abfahrt Zauchensee
(Ersatzrennen für St. Anton)
Vonn USA
10.1. Super-G Zauchensee
(Ersatzrennen für St. Anton)
Vonn USA
12.1. Slalom Flachau Velez-Zuzulová SVK
15.1. Slalom Flachau
(Ersatzrennen für Ofterschwang)
Velez-Zuzulová SVK
17.1. Riesenslalom Flachau
(Ersatzrennen Ofterschwang)
Rebensburg GER
23.1. Abfahrt Cortina d’Ampezzo Vonn USA
24.1. Abfahrt Cortina d’Ampezzo Vonn USA
30.1. Riesenslalom Maribor    
31.1. Slalom Maribor    

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