Was vom Remis der Schweiz gegen Spanien zu halten ist

Knapp zwei Wochen vor ihrem ersten WM-Spiel gegen Brasilien erzielt die Schweizer Nationalmannschaft mit dem 1:1 in Spanien einen Achtungserfolg. Vladimir Petkovic, das war in Villarreal nicht zu übersehen, hat eine funktionierende Einheit geformt. Und der Trainer ist überzeugt: «Wir können es noch besser.»

Erzielte im 52. Länderspiel sein viertes Tor für die Schweiz: Ricardo Rodriguez, rechts Vorbereiter Stephan Lichtsteiner.

Auch das gute, alte Freundschaftsspiel erfährt inzwischen ja manchmal eine Stilisierung zum Grossereignis. Vor der Partie zwischen Spanien und der Schweiz am Sonntagabend in Villarreal wurde ausgiebig die Ankunft des heimischen Mannschaftsbusses gefeiert und sogar die Umkleidekabine neu gestaltet.

Doch auch die Gäste hatten dem Match gesteigerte Bedeutung zugemessen. Es galt, gegen einen Turnierfavoriten nicht nur den WM-Auftakt gegen Brasilien vorzufühlen, sondern auch die Hoffnung zu legitimieren, in Russland endlich mit den ganz grossen Jungs mitzuspielen.

Stets um Ausgeglichenheit bemüht

Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Insbesondere das Resultat: Ein 1:1 bei den seit fast zwei Jahren ungeschlagenen Spaniern ist aller Ehren wert. «Hierher zu kommen und nicht zu verlieren, ist extrem positiv», urteilte Routinier Valon Behrami.

Mit dem Spiel verhielt es sich zumindest ein Stück weit anders. «Nicht ganz zufrieden» war Vladimir Petkovic, der Trainer, denn natürlich war das Remis ein wenig glücklich. Wo die Spanier auch häufiger hätten treffen können als nur mit einem sehenswerten Volleyschuss des jungen Rechtsverteidigers Álvaro Odriozola (29. Minute), kam den Schweizern beim Ausgleich durch einen Abstauber von Ricardo Rodríguez eine schwache Abwehr von Torwart David De Gea entgegen (62.).

Andererseits wäre es natürlich auch sehr viel verlangt gewesen, gegen den Weltmeister von 2010 das Spiel komplett ausgeglichen oder gar dominant zu gestalten. Und so war das Wichtigste an diesem Abend wohl etwas anderes: dass sich die Schweizer zumindest bis zum 1:1 immer um diese Ausgeglichenheit bemühten.

Erst danach «haben wir zu viel reagiert und zu wenig agiert», bemängelte Coach Petkovic, der gleichwohl festhielt: «Eine Stunde lang haben wir es nicht verkompliziert. Wir haben gezeigt, dass wir den Ball kontrollieren und ordentlich Fussball spielen können».

Das Selbstverständnis einer grossen Mannschaft zu erlernen, galt als Petkovic’ Etappenziel zwischen dem EM-Aus 2016 im Elfmeterschiessen des Achtelfinals gegen Polen und der WM 2018. Beim 2:0 gegen Portugal in der Qualifikation zuhause schien man diesem Ziel schon ganz nah, beim 0:2 zum Abschluss in Lissabon dann wieder ein ganzes Stück entfernt.

Eine funktionierende Einheit

Der Auftritt in Spanien war nun das nächste Kräftemessen mit einem Spitzenteam, und es war über weite Strecken nützlicher Anschauungsunterricht, wie weit die Schweiz schon gekommen ist – und wo noch die «Baustellen» liegen, von denen Petkovic nach Spielschluss sprach.

In einem Match ohne die etatmässigen Strategen Granit Xhaka (angeschlagen – ihn erwartet Petkovic am Dienstag wieder «voll im Training») und Sergio Busquets (Magenverstimmung) auf der anderen Seite, gelang es der Schweiz beispielsweise, den Favoriten zwischen einer Doppelchance durch Koke und Thiago gleich zu Beginn und dem Rückstand nach einer halben Stunde fast komplett vom Tor weg zu halten.

Man störte aufmerksam und versuchte, sich spielerisch vom brutalen Pressing der Iberer zu befreien. Über manche Strecken gelang es sogar, mit eigenen Druckwellen die Spanier so zu beschäftigen, dass diese es mit langen Bällen versuchen mussten.

Unübersehbar ist Petkovic’ Nationalmannschaft eine solidarische, ausgearbeitete Einheit. «Komplex und kompliziert» fand sie Amtskollege Julen Lopetegui. «Sie haben eine klare Spielidee, sie wollen kombinieren, und vorne sind sie schnell», lobte auch Thiago, «ich denke, sie werden eine gute Rolle in Russland spielen.»

Behrami: «Grosse Mannschaften finden immer Alternativen»

In Villarreal war die zweite Halbzeit dann allerdings schwächer. «Da kamen fast alle ihre Chancen durch Fehler von uns hinten», bemerkte Behrami, «da müssen wir das Spiel besser lesen.»

Es gelte die «Mentalität» zu haben, immer die richtige Entscheidung zu treffen, so der Mittelfeldroutinier: «Wir haben unsere Spielidee, aber manchmal geht das nicht. Dann müssen wir auch mal einen langen Ball spielen. Spanien hat das auch gemacht. Grosse Mannschaften finden immer eine Alternative.»

Petkovic sah es grundsätzlich wohl nicht anders: «Die Gegner sind schon gut genug, wir müssen ihnen nicht noch mit eigenen Unsicherheiten helfen.»

Sah die «Positivität» (eine seiner Lieblingsformulierungen), die er auch an der WM von seiner Mannschaft sehen will: Vladimir Petkovic an der Seitenlinie im Estadio de la Ceramica von Villarreal. Im Hintergrund sein spanischer Kollege Julen Lopetegui.

Zur Entlastung führte Petkovic neben den üblichen Wechselorgien in Testspielen aber auch Müdigkeit an. «Wir haben viel und hart trainiert. In Russland können wir mit frischen Beinen rechnen. Damit kommt dann mehr Bewegung rein, und diese frische Luft bringt auch einen frischen Kopf. Bei der WM müssen wir so ein Spiel die ganzen 90 Minuten spielen.»

In der Angriffsauslösung noch nicht ganz auf der Höhe

So ein Spiel – oder ein noch besseres, denn in einem Bereich wussten die Schweizer fast durchwegs nicht zu überzeugen, in einem besonders schwierigen und zugleich so wichtigen Bereich: dem Auslösen von Angriffssituationen. Dem letzten Pass, dem Ausspielen einer Überzahl, der Präzision und Handlungssicherheit am Strafraum.

Mehr als jeder andere trennt dieser Aspekt gute bis sehr gute Mannschaften von Weltklassemannschaften. Doch die Schweizer wussten von etlichen vielversprechenden Spieleröffnungen in der ersten Halbzeit, insbesondere über die Flügel, nur zu wenige in Torchancen umzuwandeln.

Sie kamen oft nicht mal so weit wie in der 33. Minute, als sich Xherdan Shaqiri und Stephan Lichtsteiner wunderbar bis zur Grundlinie durchkombinierten, alles dann aber in einem Missverständnis mit Haris Seferovic endete. Der Angreifer hatte auf eine Ablage nach hinten spekuliert, doch Lichtsteiner flankte parallel zur Torlinie – über diese Szene diskutierten beide Profis noch beim Gang in die Pause.

Akanjis Stammelf-Chance

Es war sicher kein Zufall, dass Petkovic schon zur Halbzeit nicht nur in der Innenverteidigung von Fabian Schär auf Johan Djourou rotierte, sondern ein grösseres Offensivrevirement vornahm. In der Defensive spielte der Ex-Basler Manuel Akanji durch, und zwar sehr anständig, was auf sehr intakte Stammelf-Chancen hinweist. In der Offensive kamen Breel Embolo und Josip Drmic für Blerim Dzemaili und Seferovic. Und dass trotz der schwächeren Gesamtleistung in dieser zweiten Halbzeit das Tor fiel, war wohl auch kein Zufall.

Ein Moment des Haderns: Valon Behrami nach dem spanischen Führungstreffer durch Alvaro Odriozola.

Wie Embolo nach einem Zuspiel von Xhaka-Ersatz Denis Zakaria an der Strafraumgrenze den Blick für den noch besser postierten Lichtsteiner hatte, ist genau jener Qualitätsunterschied, auf den es oft ankommt. Nach dem Schuss des Kapitäns klatschte De Gea den nassen Ball im verregneten Villarreal dann Rodríguez vor die Füsse, hinter dem noch Steven Zuber bereit gestanden wäre. Auch das sicher ein gutes Zeichen: dass beide den Angriff bis zuletzt begleiteten. So wie man eben gegen einen Favoriten spielen muss, wenn man etwas erreichen will.

Petkovic verzweifelte danach noch ein paar Mal an Embolo. «Breel, Breel», hörte man ihn bis auf die Tribüne rufen, wenn es diesen zu weit vom rechten Flügel in die Mitte zog. Nach zehn Wochen Verletzungspause brachte der Ex-Basler bis auf die Torszene noch nicht allzu viel zustande, und während Spaniens Schlussoffensive galt es dann sowieso, mit seinem ehemaligen Klubkollegen Michael Lang, eine halbe Stunde vor Schluss eingewechselt, die Seite dicht zu machen.

Ein Schlenzer von Ersatzverteidiger Nacho ans Lattenkreuz (90.+1), ein Kopfball von Nacho knapp vorbei (90.+2), eine letzte Rettungsaktion von Gelson Fernandes kurz vor der Linie (90.+3), dann klatschten sich die Schweizer Nationalspieler zufrieden ab. Der Job war getan, das psychologisch so ersehnte Spitzenergebnis gegen ein Spitzenteam erreicht.

Petkovic: «Können es noch besser»

«Wir haben 90 Minuten die Positivität gezeigt, die wir auch in Russland brauchen», resümierte Petkovic und gab als nächstes Ziel vor, «gegen solche Gegner noch präziser und konkreter» vorzugehen. «Wir können es noch besser machen», sagte er im kleinen Presseraum im kleinen Villarreal.

Natürlich müssen sie das auch, denn am 17. Juni in Rostov-am-Don wird nicht nur die Bühne grösser sein. Im ersten WM-Spiel gegen Brasilien, weiss Valon Behrami, wird es «ein anderes Tempo, eine andere Stimmung und einen anderen Druck geben.»

Am Freitag, 8. Juni (19 Uhr) testet die Schweiz in Lugano gegen Japan ein letztes Mal. Am 11. Juni reist sie ins WM-Quartier nach Tojliatti. Die WM-Vorrundenspiele: 17. Juni gegen Brasilien, 22. Juni gegen Serbien, 27. Juni gegen Costa Rica (jeweils 20 Uhr MESZ).

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