Was von den ersten 94 Minuten in der Champions League bleibt

Eine Einfallsschneise, erstaunliche statistische Zahlen zur Passgenauigkeit und andere Zutaten – eine Analyse des Basler Unentschiedens gegen Razgrad zum Auftakt der Champions League. Bei aller leisen Enttäuschung lautet das Motto beim FCB: Das war kein Beinbruch.

13.09.2016 Basel ,Schweiz , Stadion St.Jakob Park Champions League Saison 2016/2017 FC Basel - Ludogorets Rasgard Bild zeigt Trainer Urs Fischer (FC Basel) Aktion Gestik (c) Anton Geisser

(Bild: Anton Geisser)

Eine Einfallsschneise, erstaunliche statistische Zahlen zur Passgenauigkeit und andere Zutaten – eine Analyse des Basler Unentschiedens gegen Razgrad zum Auftakt der Champions League. Bei aller leisen Enttäuschung lautet das Motto beim FCB: Das war kein Beinbruch.

Der Sternenstaub war rasch verflogen am Dienstagabend, die Ränge im St.-Jakob-Park bald nach Abpfiff geleert, und zurück blieb ein FC Basel mit einer diffusen Gefühlslage. Sich grämen über die verlorenen Punkte? Erleichtert sein darüber, wenigstens noch den 1:1-Ausgleich geschafft zu haben?

«Ich würde schon sagen, dass die Mannschaft einen guten Job gemacht hat, aber so wie das Spiel gelaufen ist, lag nicht mehr drin», sagte FCB-Trainer Urs Fischer in seiner ersten Analyse und schob später nach: «Normalerweise verliert man ein solches Spiel.»

Sportdirektor Heitz: «Gut, aber nicht gut genug.»

Dem mochte am Tag danach auch FCB-Sportdirektor Georg Heitz nicht widersprechen: «Die Leistung war eigentlich gut, aber nicht gut genug.» Wieder einmal bekam der FC Basel vor Augen geführt, dass es auf internationalem Niveau nicht viel verträgt und ein schwacher Moment reicht, um dem Gegner in die Karten zu spielen.

Ein Moment der defensiven Unsortiertheit, entstanden aus dem eigentlich vielversprechenden Angriff nach Matias Delgados 40-Meter-Pass auf Birkir Bjarnason, führte unmittelbar vor Seitenwechsel zum Gegentreffer. «Razgrad konnte so sein Konzept von der ersten bis zur 94. Minute durchziehen. Und das können sie», sagt Heitz.

Dieses Ludogorets Razgrad ist nicht mehr das unbeschriebene Blatt, als das es Basel 2013/14 in den Playoffs zur Champions League kennengelernt hatte (4:2-Sieg auswärts, 2:0). Seinerzeit gewannen die Bulgaren anschliessend ihre Europa-League-Gruppe ungeschlagen vor Odessa, Eindhoven und Zagreb, schalteten Lazio Rom aus und schieden erst im Achtelfinal gegen Valencia aus.

Vergleich der Statistikangaben zu den beiden Champions-League-Gruppenspielen | Quelle: uefa.com
FC Basel–Ludogorets Razgrad – ein Faktenvergleich
 

13.9.2016 | 1:1

4.11.2014 | 4:0

Ballbesitz in % 57 – 43 52 – 48
Pässe 560 – 432 547 – 488
angekommen 498 – 386 484 – 436
Passquote in % 88 – 89 88 – 89
Abschlüsse 13 – 4 17 – 5
aufs Tor 5 – 2 7 – 2
abgeblockt 4 – 1 3 – 0
vorbei 4 – 1 7 – 3
Paraden 1 – 4 2 – 4
Eckbälle 1 – 0 6 – 2
Abseits 5 – 1 2 – 5
Fouls 26 – 17 9 – 10
gelaufene Meter in km 107,5 – 105,8 121,1 – 116,5
gewonnene Bälle 43 – 50 k.A.

Vergangene Saison leisteten sie sich einen ähnlichen Ausrutscher wie der FCB im Playoff gegen Tel Aviv (2:2, 0:0) und verloren in der zweiten Qualifikationsrunde gegen den moldauischen Meister zweimal. Nun ist Ludogorets mit vier Siegen und zwei Remis zum zweiten Mal in die Gruppenphase vorgestossen, und man merkt dem Team von Georgi Dermendzhiev den Schuss mehr Erfahrung an.

Die pragmatische Einstellung

Die personelle Kontinuität beim fünffachen bulgarischen Serienmeister ist das eine. Der Zugewinn an Qualität das andere. Die Autoren des Führungstreffers sind entweder neu hinzugestossen – angefangen beim argentinischen Innenverteidiger Palomino bis zum brasilianischen Torschützen Jonathan Cafu – oder sind nach einer Verletzung zurück wie Passgeber Marcelinho, der jetzt schon seit fünf Jahren dabei ist und als eingebürgerter Brasilianer inzwischen auch das bulgarische Nationalteam befruchtet.

Die Situation vor dem Gegentor: Steffen steht zu tief, um Suchy zu erlauben, auf Abseits zu spielen, Xhaka ist zu weit von Passgeber Marcelinho entfernt, die Räume sind offen und das Unheil nimmt seinen Lauf. Was Urs Fischer und die SRF-Experten dazu sagen – mit einem Klick auf das Bild geht es zum Video. (Bild: Screenshot SRF)

Drei von bisher vier Begegnungen mit den Bulgaren in der jüngsten Vergangenheit hatte der FCB klar für sich entschieden. In Sofia unterlag der FCB vor zwei Jahren in Unterzahl (Rot für Geoffrey Serey Die) und nach einer Abwehrschlacht. Das Gegentor kassierten die Basler in der Nachspielzeit, als Paulo Sousas Mannschaft unsinnigerweise plötzlich noch selbst das Siegtor gesucht hatte.

Die fehlende Präzision

Alles zu risikieren, dazu liess sich der FCB diesmal im Joggeli nicht verleiten. Vielleicht fehlte ihm dazu nach einem 35-minütigen Anrennen nach der Pause auch der Sprit im Tank. Jedenfalls schien die Mannschaft zu erkennen, was ihr Trainer erkannt hatte – dass an diesem Tag nicht mehr zu erzwingen war gegen einen Gegner, der nicht nur kompakt, zeitweilig ultradefensiv verteidigte, sondern sich in Ballbesitz immer wieder aus der Umklammerung zu befreien wusste.

Er kam dabei erstaunlicherweise auf eine ähnliche Pass-Quote wie bei seiner 0:4-Schlappe vor zwei Jahren, und er spielte – so weisst es die Statistik aus – sogar mit einem Hauch mehr Genauigkeit als die Rotblauen.

Der FCB verpasste es, mit präzisen Flanken das Konzept Urs Fischers umzusetzen. Der Trainer hatte vor dem Spiel verlangt, über die Flügel in den Strafraum zu spielen. Unschwer ist auf der grafischen Darstellung zu erkennen, dass dies nicht gelungen ist.

FC Basel–Ludogorets Razgrad 1:1 (Champions League, 13.09.2016): Flanken des FC Basel, rot misslungen, grün erfolgreich

FC Basel–Ludogorets Razgrad 1:1 (Champions League, 13.09.2016): die Flanken des FC Basel in den Strafraum von Ludogorets Razgrad: rot kennzeichnet misslungen, grün erfolgreich (Bild: Screenshot sueddeutsche.de)


Tatsächlich liess fehlende Präzision im Angriffsdrittel so manche vielversprechende Aktion des FCB verpuffen. Interessant ist neben dem aussergewöhnlichen Eckballergebnis (einer für Basel, keiner für Razgrad) auch die Foulstatistik: 26 mal pfiff der diskutable Schiedsrichter gegen Basel; 26 Mal Gelegenheit für die Bulgaren, ihr Spiel zu ordnen. Und dass sie ihrerseits mit ihrer beinharten, kompromisslosen Art mehr Bälle eroberten als der FCB (50:43) unterstreicht durchaus die Feststellung von Trainer Dermendzhiev, der seinem Team ein gutes Spiel voller Leidenschaft attestierte – und den Punktgewinn als verdient taxierte.

Die Einfallsschneise

Die Gäste aus Bulgarien profitierten einerseits von der fehlenden Basler Schärfe bei den wenigen guten Chancen, aber auch davon, dass es Spieler wie Birkir Bjarnason gab, die ihren Tatendrang nicht richtig kanalisieren konnten. Der Isländer wirkte wie ein Ich-rette-die-Welt-Krieger, packte die Brechstange aus, übertrieb bei allem unbändigen Einsatz aber den Ego-Trip.

FC Basel–Ludogorets Razgrad 1:1 (Champions League, 13.09.2016): Heatmap FC Basel

Einfallsschneise rechts: Diese Heatmap verdeutlicht, dass es Ludogorets Razgrad wenn überhaupt, dann über die linke Basler Abwehrseite versuchte. Moichael Langs Seite erscheint fast verwaist. (Bild: Screenshot sueddeutsche.de)

FC Basel–Ludogorets Razgrad 1:1 (Champions League, 13.09.2016): Heatmap Ludogorets Razgrad

Was man mit blossem Auge auch erkennen konnte, stellt diese Heatmap dar: Razgrad fand vor dem Basler Tor so gut wie nicht statt. (Bild: Screenshot sueddeutsche.de)

Zum anderen hatten die Bulgaren die linke Basler Verteidigungsseite als ideale Einfallsschneise ausgemacht, wie in den grafischen Darstellungen unschwer zu erkennen ist. Über die Seite von Adama Traoré, Eder Balanta und Renato Steffen lancierten sie den vifen Jonathan Cafu, und mit einem einzigen perfekt gespielten Konter – unmittelbar nach Basels aussichtsreichstem Tempogegenstoss – ging diese Rechnung auf.

Frischen Wind konnte auf der anderen Seite FCB-Trainer Urs Fischer mit seinen Wechseln nicht entfachen. Seydou Doumbia – der Spieler mit den meisten Champions-League-Toren und neben Suchy der Spieler mit der grössten Erfahrung in diesem Wettbewerb – kam für den verletzten Janko, bei dem allem Anschein nach eine Zerrung vorliegen könnte. Wirkungsvoll in Szene gesetzt konnte Doumbia allerdings nicht werden.

Alexander Franssons Debütminuten verstrichen ebenso ohne Wirkung wie die des Routiniers Davide Callà. Mehr Offensivpower wie sie etwa Mohamed Elyounoussi verkörpert, sass nicht auf der Bank. Champions-League-Debütant Fischer hatte sich dort angesichts des erst aus einer Verletzung zurückgekommenen Luca Zuffi und des stark beanspruchten Taulant Xhaka für die vorsichtigere Variante entschieden.

«Der Exploit ist auch anderswo möglich»

Was bleibt also nach diesen ersten 94 Champions-League-Minuten? Dass man gegen den nominell schwächsten Gruppengegner genauso Federn lassen kann, wie man gegen die beiden Gruppenfavoriten nicht völlig chancenlos erscheint? PSG und Arsenal präsentieren sich jedenfalls (noch) nicht in unwiderstehlicher Form, und diese Spiele könnten wie geschaffen sein für den pragmatischen Fussball, den der FCB unter Urs Fischer pflegt.

«Das 1:1 ist kein Beinbruch», sagt Heitz, verweist auf das gleiche Ergebnis zwischen PSG und Arsenal («Es ist noch nichts passiert in dieser Gruppe») und meint nach dem verpassten Dreier gegen Razgrad hoffnungsfroh: «Ein Exploit ist auch anderswo möglich.»

Nach acht lockeren Siegen für den FC Basel im nationalen Geschäft das Fazit zum Razgrad-Spiel aus dem rotblaulive-Kanal bei Twitter:

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