Ganze zwölf Tage hat es gedauert, um aus 24 Mannschaften 16 Achtelfinalisten zu ermitteln. Am Samstag geht es los, die Schweiz macht gegen Polen den Anfang. Vladimir Petkovics Team sticht mit einer formidablen Passquote heraus – Grund genug, auf die Gruppenspiele zurückzuschauen.
Nordirischer und isländischer Erfolg – fast ohne Ballbesitz
An der Europameisterschaft 2016 haben in der Vorrunde mehrere kleine Länder grosse Überraschungen geschafft: Wales hat in Person von Gareth Bale zwar einen der besten Fussballer im Kader. Dass die zweitkleinste Nation des Vereinten Königreichs die Gruppe B aber gleich gewinnen würde, hat kaum einer gedacht. Wales hat das grosse England auf den zweiten Platz verwiesen – mit einem 3:0-Abschlusserfolg gegen die Russen, denen im Vorfeld mehr zugetraut worden war als ein letzter Platz mit einem Punkt und minus vier Treffern Tordifferenz.
Und damit auf die andere Seite der irischen See, zum kleinsten Land des Vereinten Königreichs: Auch Nordirland hat sich überraschend für die Achtelfinals qualifiziert, wenngleich nicht ganz so herausragend wie Nachbar Wales. Zwei 0:1-Niederlagen gegen Deutschland und Polen sowie ein 2:0-Sieg gegen die Ukraine reichten, um sich gerade noch für die Runde der letzten 16 zu qualifizieren – als Schlechtester der vier besten Gruppendritten, so kompliziert ist das inzwischen.
Die Rangliste der Gruppendritten | |||
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4 | 0 | 3 |
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4 | -2 | 2 |
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3 | 0 | 4 |
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3 | 0 | 2 |
5. Türkei | 3 | -2 | 2 |
6. Albanien | 3 | -2 | 1 |
* Qualifiziert für die Achtelfinals |
Neben Nordirland überraschte ein weiterer Inselstaat: Ganz Europa hat mitgefiebert, wie die Isländer reüssierten. Nach dem historischen ersten Tor an einer EM, erzielt vom Basler Birkir Bjarnason («Dieses Tor ist ein Privileg»), schlossen die Blauen die Gruppenphase mit einem Sieg gegen Österreich ab. Der isländische Kommentator verlor zweimal die Kontrolle über seine Stimme – und Fussballeuropa den Glauben an Prognosen: In der Gruppe F gewannen die Ungarn vor den Isländern, Portugal erreichte die Achtelfinals nur als Gruppendritter und Marc Jankos Österreich schied mit einem Punkt aus drei Spielen auch wegen «Buhmann Dragovic» aus.
Nordirland, Wales und Island sind die grössten Überraschungen der Vorrunde. Und es fällt auf, dass diese Teams ohne viel Ballbesitz zu ihren Erfolgen kamen. Betrachtet man die fünf Spiele, bei denen der Ballbesitz am ungleichsten verteilt war, so erkennt man: Nordirland und Island erspielten sich insgesamt fünf Punkte mit einem Ballbesitz von rund 35 Prozent. Über die ganze Gruppenphase betrachtet kommen Nordirland und Island auf 34 Prozent, Wales auf 44.
Die Passgenauigkeit nimmt zu – und die Schweiz ist vorne dabei
Der Ballbesitz kann den Erfolg der Überraschungsmannschaften also nicht erklären. Die Passgenauigkeit ebenfalls nicht. Island hat 68 Prozent aller Pässe an den Adressaten gebracht, Nordirland 72 und Wales 82. Island und Nordirland belegen damit die letzten Plätze, Wales gehört ebenfalls zum unteren Viertel.
Auffallend ist, dass die Passquote im Vergleich zur Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine besser wurde:
Zu den stärksten Passnationen gehört die Schweiz. Hinter den spanischen Titelverteidigern (93 Prozent) und Deutschland (91) steht Petkovics Team, bei dem neun von zehn Pässen ankommen. Einen grossen Anteil an dieser Quote hat Granit Xhaka, der mit 307 Versuchen rund jeden fünften der 1573 Schweizer Pässe spielte. Vor allem Xhakas Leistung gegen Frankreich bleibt in Erinnerung, als er im zentralen Mittelfeld einer der Gründe war, warum nicht nur über zerrissene Trikots gesprochen wurde.
In Sachen Quantität steht Xhaka nur der Deutsche Toni Kroos vor der Sonne: Er hat mit 353 Versuchen am meisten Pässe gespielt – und seine Erfolgsquote von 93 Prozent ist noch höher als diejenige Xhakas (92).
Die Vorrunde der späten Entscheidungen – Spanien muss dran glauben
Zwölf Jahre (12!) hat Spanien an einer Europameisterschaft nicht mehr verloren. Im Land des iberischen Rivalen Portugal fand 2004 die Europameisterschaft statt, 0:1 gingen die Spanier gegen den Gastgeber als Verlierer vom Platz. Damals schon dabei war Torhüter Iker Casillas, der inzwischen in die zweite Reihe zurückgestuft wurde. Immerhin: Casillas musste nur von der Bank mit ansehen, wie im letzten Gruppenspiel der laufenden EM die Spanier gegen Kroatien das Tor zum 1:2 kassierten – wenige Sekunden vor dem Ende der Partie.
Bisher war die EM das Turnier der spät entschiedenen Spiele. Bei fast einem Viertel der 36 Vorrundenpartien änderte der Ausgang nach der 87. Minute. An den vielleicht nervenaufreibendsten Affichen war Gastgeber Frankreich beteiligt: Im Eröffnungsspiel erzielte Dimitri Payet in der 89. Minute das 2:1 gegen Rumänien, im Spiel gegen Albanien fielen die Tore beim 2:0 in der 90. (Antoine Griezmann) und 95. Minute (Payet).
Acht Last-Minute-Entscheidungen | ||
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Dimitri Payet (FRA) | 89′ | Frankreich siegt gegen Rumänien 2:1 |
Antoine Griezmann und Dimitri Payet (FRA) | 90′ und 92′ | Frankreich siegt gegen Albanien 2:0 |
Wassili Beresuzki (RUS) |
92′ | Russland erreicht gegen England ein 1:1 |
Daniel Sturridge (ENG) | 92′ | England siegt gegen Wales 2:1 |
Gerard Piqué (ESP) | 87′ | Spanien siegt gegen Tschechien 1:0 |
Tomas Necid (CZE) |
94′ | Tschechien erreicht gegen Kroatien ein 2:2 |
Birkir Sævarsson (ISL) |
88′ | Das Eigentor bringt Ungarn ein 1:1 |
Arnór Traustason (ISL) | 94′ | Island siegt gegen Österreich 2:1 |
Man erkennt: Auch Island hat von einem späten Tor profitiert. Wenn also weder die Passquote noch der Ballbesitz Indikatoren für den Erfolg der kleinen Nationen sind, dann sind es vielleicht die späten Treffer.
Über alle Partien betrachtet fallen mehr als doppelt so viele Tore in der Nachspielzeit als noch vor vier Jahren:
Übrigens: Läuft es nun in der K.o.-Phase gleich wie vor vier Jahren, dann dürfen wir uns auf torlose Verlängerungen und Elfmeterschiessen gefasst machen. In der Ukraine und in Polen fiel in den zusätzlichen 30 Minuten kein einziger Treffer.
Aber keine Sorge! Die Uefa hat das Turnier auf 24 Mannschaften aufgestockt, so kommen wir in den Genuss von zusätzlich acht K.o.-Spielen. Und wenn es mehr Spiele gibt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass in den Verlängerungen endlich Tore fallen.
Die Achtelfinals an der Euro 2016 | |||
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Samstag, 25.06. | 15 Uhr | Saint-Etienne | Schweiz-Polen |
18 Uhr | Paris | Wales–Nordirland | |
21 Uhr | Lens | Kroatien–Portugal | |
Sonntag, 26.06. | 15 Uhr | Lyon | Frankreich–Irland |
18 Uhr | Lille | Deutschland–Slowakei | |
21 Uhr | Toulouse | Ungarn–Belgien | |
Montag, 27.06. | 18 Uhr | Paris | Italien–Spanien |
21 Uhr | Nizza | England–Island |