Vor einem Jahr holte sich Stan Wawrinka in Paris seinen zweiten Major-Titel. Hat der Romand die Form, um den Titel zu verteidigen? Der Blick auf einen Spieler, der seine Chancen zwar herunterredet, aber stets unberechenbar bleibt.
Wenn Stan Wawrinka von seinen Weltreisen im Wanderzirkus nach Hause kommt, hat er am liebsten seine totale Ruhe. Er schaltet ab, er entspannt, er lässt den lieben Gott einen guten Mann sein. Er geniesst den Müssiggang abseits vom Wettkampfstress. Er denkt auch gern zurück an die grossen Momente der letzten Jahre. Da stehen ihm die herausragenden Siege noch vor Augen, etwa der beim Australian Open 2014. Oder der in Paris letztes Jahr – gegen einen gewissen Novak Djokovic.
Der Erstrundenmatch von Titelverteidiger Stan Wawrinka gegen den Tschechen Lukas Rosol ist heute Montag, um 11 Uhr angesetzt. Der Regen bringt den Zeitplan des French Open allerdings etwas durcheinander. Wann es losgehen kann? SRF hält Sie auf dem Laufenden.
«Es ist ein gutes Gefühl, wenn du weisst, dass du solche Erfolge schon geschafft hast.» Man könnte meinen, dass Wawrinka daheim auch mal die Trophäen und Pokale hervorkramt und die Silberware bewundert, doch für solche Sentimentalität hat Wawrinka keinen Sinn – und keine Zeit.
«Ich habe das alles in einem Koffer aufbewahrt. Da sind sie auch gut aufgehoben», sagt er, «anschauen kann ich mir die noch genug, wenn alles vorbei ist mit dem Tennis.»
Gewinnt Wawrinka noch einen weiteren Major-Titel?
Kommt noch ein richtig wichtiger Pokal zu Wawrinkas gut verborgener Sammlung hinzu? Ein Titel dort, wo es zählt – bei einem der vier Major-Turniere? Wawrinka geht jedenfalls zum zweiten Mal in seiner bewegten Karriere als Pokalverteidiger in einen Major-Wettbewerb, und nach seinem Exploit daheim in Genf kann er sich keineswegs dagegen wehren, als Mitbewerber um die Paris-Krone genannt zu werden.
«Wawrinka ist einer dieser Spieler, die nach guten Ergebnissen und einem guten Turnierauftakt einen Riesenlauf kriegen können. Man muss ihn unbedingt auf der Rechnung haben», sagt der ehemalige Weltranglisten-Erste Mats Wilander (Schweden) über den Romand. In der ersten Runde des French Open trifft der Vorjahressieger auf den Tschechen Lukas Rosol, den Wawrinka am Freitag im Halbfinale in Genf geschlagen hat.
Der Sieg in Genf liess Wawrinka vergessen, dass er bis zum Turnier-Stopp in seiner Heimat gerade mal drei schlappe Sandplatz-Matches gewonnen hatte. «Das gibt mir einen richtigen Schub jetzt, das war wichtig fürs Ego», sagt Wawrinka.
Doch Wawrinka ist und bleibt eben einer, bei dem man nie so genau weiss, was als Nächstes kommt. Als er vor zwei Jahren als Australian-Open-Gewinner nach Paris reiste, kam gleich in der ersten Runde das frustrierende Aus – die Bestätigung des erstes Major-Coups auf höchstem Niveau blieb in weiter Ferne. «Ich kann nur versuchen, so stabil wie möglich zu spielen. Aber ich glaube nicht, dass ich die Konstanz erreichen kann, die man bei Roger, Rafa, Andy oder Novak gesehen hat», sagt Wawrinka.
Also bei den grossen vier: den Herren Federer, Nadal, Murray und Djokovic. Typisch Wawrinka, stellte sich der 31-Jährige sogar im Paris-Countdown wiederholt aus der Tennis-Spitzengruppe heraus und bekundete, die Top 4 seien «Lichtjahre entfernt» und nicht «direkte Konkurrenten, sondern eine Inspiration».
Die Bescheidenheit als Strategie
So viel Bescheidenheit mag eine Zier sein, sie ist bei Wawrinka aber stets auch Druckverringerung. Das Kleinreden der eigenen Chancen dient ihm dazu, die Nerven besser im Zaum zu halten, die Erwartungen zu reduzieren. «Ich bin erst mal froh, dass ich das Formtief vom Frühling hinter mir gelassen habe. Aber andere haben in Paris sicher grössere Chancen als ich», sagt Wawrinka, der in den Taxen der Buchmacher auf Platz vier liegt, hinter Djokovic, Nadal und Murray.
Etwas Neues hält dieser Grand Slam nun auch für ihn parat, denn erstmals startet er auf einer grossen Bühne, ohne dass Superstar Roger Federer mit am Start ist. Wawrinka hält als Einziger von Rang die Schweizer Farben hoch, hätte aber gern darauf verzichtet: «Es fühlt sich schon ein wenig komisch an, ohne Roger im Turnier. Es ist sehr schade, dass ihn diese Verletzung an der Teilnahme hindert.»
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