Wawrinka war ausgeschossen

Stanislas Wawrinka hatte gegen Landsmann Roger Federer nicht den Hauch einer Chanche. Zu ausgezehrt war er nach einer intensiven Saison.

Ganz hat's dann doch nicht gereicht: Gegen Landsmann Roger Federer zog Stanislas Wawrinka im ATP-Halbfinale den Kürzeren.

(Bild: Suzanne Plunkett)

Stanislas Wawrinka hatte gegen Landsmann Roger Federer nicht den Hauch einer Chanche. Zu ausgezehrt war er nach einer intensiven Saison.

Der Geist war beschränkt willig, das Fleisch aber schwach. Nein, Stan Wawrinka war in der vorletzten WM-Nacht von London, im «Swiss Battle» (The Times), nicht mehr der vielgerühmte «Stanimal», der bärenstarke, bullige, zupackende Fighter.

Oft in dieser Saison war er, auf der Höhe seiner Klasse, zur Bedrohung für jedermann im Wanderzirkus geworden. Nun aber, zum Ende dieser auszehrenden Spielzeit, zum Ende auch dieses Londoner Championats, hatte der Romand nichts mehr zuzusetzen, konnte im entscheidenden Moment nicht mehr mit der Grösse der Herausforderung wachsen. Und musste, wie auch im letzten Jahr, seinem Freund, Landsmann und Davis Cup-Mitstreiter Roger Federer weichen.

Federer ungefährdet

Dieser zog komplett ungefährdet ins WM-Finale ein und dürfte sich nach dem 7:5, 6:3-Erfolg jetzt der Bewährungsprobe gegen den Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic stellen. «Es ist die letzte Partie des Jahres. Und ich werde alles, absolut alles aus mir herausholen», versprach Federer sich selbst und seinen Fans vor dem Endspiel (ab 19 Uhr).

Ähnlicher Halbfinal-Dramatik wie vor Jahresfrist im Londoner Festspielhaus des Tennis stand der ausgepumpte, sichtlich matte und erschöpfte Wawrinka im Wege. 2014 war das Spiel zwischen den beiden Schweizern zur «Partie des Jahres» gekürt worden, nicht zuletzt wegen der Zuspitzung im dritten Satz – mit vier vergebenen Matchbällen Wawrinkas und dem 8:6-Triumph von Federer im Tiebreak. Davon war der Spiel-Film am Samstagabend weit, weit entfernt. Die Partie reihte sich nahtlos in eine Abfolge weitgehend spannungsarmer Vergleiche bei diesem Championat ein, auch im zweiten Halbfinale zwischen Djokovic und Nadal (6:3, 6:3) waren die Machtverhältnisse überdeutlich klar gewesen.

Wawrinka blickt auf seine bisher erfolgreichste Saison zurück.

Wawrinka hatte, wie schon vor den ersten Ballwechseln befürchtet, zuviel in seinen entscheidenden Vorrundensieg gegen Lokalmatador Andy Murray investieren müssen. Jedenfalls konnte er nur in der Anfangsphase gegen Federer überzeugen, schaffte da sogar das erste Break. «Ich merkte selbst, dass nicht mehr genügend Substanz da war», sagte der 30-jährige hinterher.

Trotz allem konnte Wawrinka nach der dritten Halbfinal-Teilnahme bei der WM hocherhobenen Hauptes London verlassen, umso mehr, da er gleichzeitig auch noch auf die bisher erfolgreichste Saison seiner Karriere zurückblicken konnte – mit dem unbestreitbaren Höhepunkt des French Open-Triumphs gegen Frontmann Djokovic. Auch Platz 4 in der Abschlusstabelle für 2014, direkt vor Rafael Nadal, konnte er als grossen Plusposten seiner Schaffensbilanz verbuchen.



Nach seinem Sieg gegen Wawrinka trifft Federer am Sonntagabend auf Novak Djokovic.

Nach seinem Sieg gegen Wawrinka trifft Federer am Sonntagabend auf Novak Djokovic. (Bild: Suzanne Plunkett)

Anders als 2014, als Federer wegen Rückenproblemen seine Finalteilnahme absagen musste, wird nun auch um den WM-Sieg gekämpft – mit den beiden Spielern, deren sportliche Rivalität weite Strecken des Jahres prägte. Djokovic, der bei seinen letzten 15 Turnierteilnahmen jeweils das Finale erreichte, gilt als Favorit – etwas mehr auch wieder nach dem starken Halbfinalauftritt gegen Nadal.

Aber so makellos brillant wie anderswo in diesem Jahr war der Serbe auch nicht, Federer hat also durchaus seine Chancen, nicht nur wegen des Vorrundensieges über Djokovic. Er, der älteste aller Weltklassespieler, war es ja, der dem Leader am nachhaltigsten Widerstand leistete, mit insgesamt drei Siegen übers Jahr verteilt. 22:21 führt Federer in diesem ewiggrünen Tennis-Klassiker, Sieg Nummer 23 würde ihn im Hochgefühl in den Urlaub schicken. Und einen Selbstbewusstseins-Schub für die nächste Saison auslösen. «Ich bin in guter Form. Jetzt muss ich noch einmal ans Limit gehen, alles auf den Platz bringen», sagte Federer, «unmöglich ist nichts.»

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